High-Tech-Industrie:Chip-Zulieferer Siltronic soll nach Taiwan verkauft werden

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Hightech - noch - aus Deutschland: Siltronic stellt Wafer her, hochmoderne Siliziumscheiben. (Foto: Steffen Wirtgen/Siltronic/oh)

Wirtschaftlich gesehen ist der Schritt des Münchner Unternehmens durchaus logisch. Doch es gibt ein Problem: Wieder mal wandert High-Tech nach Asien ab.

Von Thomas Fromm, München

Es geht um ein Unternehmen, das - zugegeben - nur einigen wenigen in der Branche ein Begriff ist. Weil es keine bekannten Autos baut wie Daimler und nicht einmal irgendwelche Chips für E-Fahrzeuge wie der nicht ganz so weit entfernte, aber doch bekanntere Branchenverwandte und Dax-Konzern Infineon. Siltronic stellt hochmoderne Siliziumscheiben her, sogenannte Wafer, auf denen dann die Mikrochips entstehen. Kleine, speziell beschichtete Sandwiches, ohne die in der digitalen Welt nichts ginge. Smartphones, Laptops, Autos, Kühlschränke - irgendwie basiert inzwischen so ziemlich alles auf Wafern, und je mehr die Welt digitalisiert wird, desto mehr braucht man von all dem.

Dafür, dass das Geschäft mit 200- oder 300-Millimeter-Wafern so wichtig ist, gibt es ziemlich wenige wichtige Anbieter: Insgesamt fünf sind es, die sich 90 Prozent des Weltmarktes teilen und Chiphersteller wie Intel, Infineon oder Samsung zuliefern. Siltronic ist der kleinere unter den Großen, und er soll jetzt für 3,75 Milliarden Euro an den taiwanesischen Konkurrenten Global Wafers, die Nummer drei der Branche, verkauft werden, um den japanischen Hersteller Sumco, die Nummer zwei des internationalen Wafer-Quintetts, zu überholen. Die Gespräche seien "weit fortgeschritten", teilte Global Wafers mit. Dass der Hauptaktionär verkauft, galt am Montag als ziemlich sicher: Das Münchner Familienunternehmen Wacker Chemie ist offenbar bereit, seinen 30,8-Prozent-Anteil an Siltronic an die Taiwaner abzugeben. Der Rückzug aus dem stark schwankenden und zyklischen Geschäft war erwartet worden, die Verhandlungen liefen schon seit einigen Monaten.

Ein guter Plan?

Börsianer und Analysten finden das gut, loben die "Marktkonsolidierung", denn wo in einer Branche Stühle enger gerückt werden, da fallen, so die Hoffnung, vielleicht auch bald die Preise. Allerdings, und das ist die andere Seite der Geschichte, wandert mit Siltronic der einzige große Wafer-Hersteller Europas nach Asien ab - in einer Zeit, in der Politiker gerne über die wirtschaftliche Bedeutung des alten Kontinents in der digitalen Welt der Zukunft debattieren. Auf heimische Standorte soll das erst einmal keine Auswirkungen haben.

Betriebsbedingte Kündigungen sollen bis 2024 ausgeschlossen sein

Zwei Drittel der etwa 3700 Mitarbeiter arbeiten derzeit in Deutschland, und wie es heißt, soll der Bestand der Werke im bayerischen Burghausen und im sächsischen Freiberg bis Ende 2024 garantiert sein - auch betriebsbedingte Kündigungen sollen bis dahin ausgeschlossen sein. Für die sehr zyklische und kurzlebige Chipindustrie ist das wahrscheinlich eine halbe Ewigkeit. "Siltronic alleine könnte kaum eine solche Garantie aussprechen", meint ein Brancheninsider. Nur: Was wird dann nach 2024 sein? Gerne hätte man vom Betriebsrat gewusst, wie er die Lage sieht, doch der sagt, dass er die Verkaufsverhandlungen nicht kommentieren möchte. Man sollte daraus vermutlich nicht sofort den Schluss ziehen, dass die Arbeitnehmervertreter zur Stunde keine Meinung zu dem Thema haben. Global Wafers dagegen kommunizierte und lobte das Angebot, beide Unternehmen würden "sich in ihren Fähigkeiten" ergänzen "und könnten nach dem Zusammenschluss mehr in den Ausbau ihrer Kapazitäten investieren".

Die Chipbranche steht seit jeher unter Dampf: Die Preise rauschen rauf und runter, Unternehmen kaufen zu, übernehmen, manche verschwinden, andere machen Mega-Deals: Der Prozessorproduzent AMD übernimmt für 35 Milliarden Dollar den weltweit größten Anbieter von programmierbaren Logikchips Xilinx, der amerikanische Konzern Nvidia übernimmt den britischen Chipspezialisten ARM für 40 Milliarden Dollar, Infineon aus München schnappte sich für neun Milliarden Euro den US-Wettbewerber Cypress - es steckt eine Menge Geld in diesem Geschäft.

Jetzt, wo die Sache mit dem Siltronic-Verkauf offiziell am Markt ist, geht es vor allem um Aktienkurse, Verkaufserlöse und die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt. Siltronic, der Chipzulieferer mit einer Zentrale in München und Produktionsanlagen an so unterschiedlichen Orten wie Burghausen, Singapur und Portland/Oregon könnte sich schon in der ersten Dezemberhälfte mit Global Wafers in Taiwan handelseinig werden. 125 Euro pro Aktie des im M-Dax notierten Unternehmens werden geboten, das wären elf Prozent mehr als der Schlusskurs am Freitag. Ein Extra-Aufschlag: "Attraktiv und angemessen" sei der Preis, ist sich der Siltronic-Vorstand einig. "Die Verkaufsgespräche wurden immer wieder eingeholt vom Aktienkurs", heißt es aus Finanzkreisen. Eine hübsche Umschreibung für das, was sich im Hintergrund solcher Verkaufsgespräche abspielt: Gerade hat man sich auf einen satten Aufschlag auf den Aktienkurs geeinigt, steigt der Aktienkurs - und die Prämie ist futsch. Jetzt also: 125 Euro. Oder, wie es ein Insider sagt: "Take it or leave it."

Wie immer, wenn ein Unternehmen weitergereicht wird, kann man auch hier die Frage stellen: Wäre es auch anders gegangen? Hätten die Bayern nicht auch selbst ein Unternehmen kaufen können, um durch eine Übernahme am Markt zu wachsen? Ein Insider sagt: schwierig. 2019 kam Global Wafers auf einen Umsatz von zwei Milliarden Dollar, Siltronic erreichte 1,3 Milliarden Euro. Außerdem hätte da der Hauptaktionär Wacker mitspielen müssen. Der hatte die Tochter aber bereits 2015 an die Börse gebracht, weil er sich das ständige Auf- und Ab der Chipbranche nicht länger antun wollte. 2017 dann gab Wacker die Mehrheit ab. Die strategische Entscheidung, auszusteigen, war also schon längst getroffen.

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