Konzern:Warum Siemens Energy Rekordverlust macht - aber Siemens selbst Rekordgewinn

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"Ein Jahr mit zahlreichen Rekorden": Siemens-Finanzchef Ralf Thomas (links) und Vorstandschef Roland Busch bei der Jahrespressekonferenz in München. (Foto: Leonhard Simon/Getty Images)

8,5 Milliarden Euro Gewinn, elf Prozent mehr Umsatz: Siemens geht es so gut wie nie. Woran das liegt und warum der Schein dennoch trügt.

Von Thomas Fromm

Ein Industriefilm wird als Werbespot vor eine Pressekonferenz gesetzt, so etwas kennt man schon seit Jahren. Viele Unternehmen machen das, vor allem die, die etwas zu zeigen haben. Autobauer zum Beispiel lassen ihre Vierzylinder gerne groß auffahren, am liebsten in spektakulärer Kulisse. Also eher portugiesische Algarve-Küste als A42 kurz vor dem Autobahnkreuz Castrop-Rauxel-Ost.

Weil Siemens keine Autos baut, gibt es an diesem Donnerstag Züge zu sehen, Schaltkreise, digitale Animationen, automatisierte Fabriken, künstliche Intelligenz, winkende, zufriedene Mitarbeiter in blinkenden Rechenzentren, und immer mittendrin: Siemens-Chef Roland Busch. Früher, als Siemens noch um einiges größer war als heute, da konnte man in den Werbefilmen noch Kraftwerke, Gasturbinen und Röntgengeräte zeigen. Aber seit das Energiegeschäft unter dem Namen Siemens Energy und die Medizintechnik als Siemens Healthineers abgespalten und selbst an der Börse notiert wurden, ist der Bildervorrat für solche Filme begrenzt.

Siemens ist also kleiner geworden, an Bildern und an Sparten, aber weil man sich jetzt schwerpunktmäßig auf Digitalgeschäfte und Fabrikautomatisierung konzentriert und Züge ausliefert, ist man so profitabel wie nie. Das vergangene Geschäftsjahr hat der Konzern mit einem Rekordgewinn abgeschlossen, 8,5 Milliarden Euro. Der Umsatz stieg um elf Prozent auf 77,8 Milliarden Euro. Die Siemens-Aktie legte um bis zu sechs Prozent auf über 146 Euro zu. "Das Geschäftsjahr 2023 war ein Jahr mit zahlreichen Rekorden", sagte Konzernchef Roland Busch. Die Strategie zahle sich "nachhaltig aus".

Zumindest der Blick auf die Gewinne zeigt: Die Aufteilung hat sich gelohnt

So gesehen, hat es sich für Siemens vor allem ausgezahlt, sein Energietechnikgeschäft abgespalten und im September 2020 als Siemens Energy an die Börse gebracht zu haben. Denn ansonsten hätte der Konzern heute vermutlich einige Probleme mehr.

Gerade mal 24 Stunden vor Buschs Auftritt hatte die Ex-Tochter Siemens Energy, an der Siemens immer noch 25,1 Prozent hält, eine Pressekonferenz abgehalten, die dann doch ganz anders war. Die Kollegen von der Energietechnik mussten am Mittwoch vor allem wegen der Probleme im Geschäft mit Windkraftanlagen einen Rekordverlust von 4,6 Milliarden Euro vermelden. Das Unternehmen muss nun mit staatlichen Garantien gestützt werden, auch die Ex-Konzernmutter soll helfen.

Selbst wenn man gemeinsam noch Siemens im Namen führt, es sind am Ende doch die Probleme der anderen. Und so dankte ein sehr gut gelaunter Siemens-Chef Busch dem "gesamten Team" für die "hervorragenden Leistungen". Sein Kollege Christian Bruch, Chef bei Siemens Energy, tat es Busch gleich und dankte am Mittwoch erst einmal allen Kolleginnen und Kollegen. Aber hier war es vermutlich vor allem eine Art Motivationsschub von oben. Denn dass ein Siemens-Konzern Garantien in Höhe von 15 Milliarden Euro benötigt und dafür auch auf staatliche Bürgschaften angewiesen ist, das passiert in der sonst so selbstbewussten Siemens-Welt nicht so oft und verunsichert daher viele Mitarbeiter. Sie fragen sich: Wie schlimm ist es denn um mein Unternehmen bestellt, und wie wird es weitergehen?

Auch deshalb war es wohl Bruchs Botschaft: Hey, das liegt nicht an den meisten von Euch, das liegt an der spanischen Windkrafttochter Siemens Gamesa.

Zur Wahrheit gehört aber auch: Siemens, ein Konzern, der bei Künstlicher Intelligenz mit dem US-IT-Riesen Microsoft kooperiert, profitiert in diesen Jahren erheblich vom digitalen Umbau der Gesellschaft, vom Aufbau von immer mehr Rechenzentren und der Automatisierung der Fabriken. Siemens Energy dagegen verdient sein Geld mit klassischer Technik zur Energieerzeugung und -übertragung, baut Kraftwerke und Netze für Stromübertragung und seit einigen Jahren auch große Windkraftanlagen. Ein schwieriges Geschäft, in dem einiges schiefgehen kann. Und gerade im Windgeschäft ist ein den vergangenen Jahren einiges schiefgegangen. Schließlich ist es ein Geschäft mitten im Umbau des Energiesystems, mitten in der Energiewende. Jetzt bekommt Siemens Energy Milliarden-Garantien vom Bund und von den Banken sowie Milliardenunterstützung durch den früheren Mutterkonzern, der seiner Ex-Tochter einen Teil des gemeinsamen Indien-Geschäfts abkauft und dafür Milliarden überweist.

Mit weniger Geschäften mehr Gewinn machen, das ist die Strategie

Auf einige lukrative Digital-Geschäfte konzentrieren, große Geschäftssparten auslagern und damit auch immer mehr Risiken rausnehmen und abgeben, mit immer weniger Geschäftsfeldern mehr Gewinne machen - das ist seit einigen Jahren die Strategie von Siemens. Bislang hat sie gut funktioniert, zumindest für den Mutterkonzern, der sich immer weiter verschlankt hat.

Und die Zeit der Trennungen ist bei Siemens noch lange nicht vorbei, die Abspaltungen laufen weiter. Diesmal will sich Siemens von seinem Geschäft mit Motoren und Großantrieben trennen. Die Tochter mit dem Namen Innomotics hat über 15 000 Mitarbeiter und könnte an die Börse gebracht werden. Die Vorbereitungen dafür sollen beginnen, man habe aber auch "andere Optionen", sagte Busch.

Auch bei Siemens könnte es demnächst wieder anders laufen; nach seinem Jahr mit Rekordgewinnen bereitet der Münchner Technologiekonzern schon mal auf ein geringeres Wachstum vor. Das hat auch damit zu tun, dass mit China eines der großen Kundenländer schwächelt. Und es wird auch an diesem Morgen in München klar: Wie es einem Welt-Konzern wie Siemens geht, hängt auch entscheidend davon ab, wie es dem Rest der Welt wirtschaftlich geht. Und wie es mit den geopolitischen Krisen weitergeht.

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