Gewinnwarnung bei Siemens Gamesa:Windkrafttochter lässt Siemens-Energie-Aktie abstürzen

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Windturbinen in einer verschneiten Landschaft in Sachsen. Der Windkraftanlagen-Bauer Siemens Gamesa steckt tief in den roten Zahlen. Ausgerechnet in einem Zukunftsgeschäft. (Foto: Emmanuele Contini /imago images)

Eigentlich sollte die Windenergie-Tochter Gamesa die Zukunft von Siemens Energy sein. Stattdessen wachsen die Probleme. In München wird der Ärger immer größer - und für den Chef wird es nach der dritten Gewinnwarnung eng.

Von Thomas Fromm

Wenn ein Wirtschaftsminister von Berlin ins ferne München reist, weil ihm der Ausbau der Windkraft nicht schnell genug geht, dann ist das für diejenigen, die solche Anlagen bauen, ja ein sehr gutes Zeichen: Denn wenn Politiker mehr Windräder bauen wollen, dann steigen irgendwann die Umsätze der Hersteller, dann müsste das Geschäft bald brummen. Und wenn der grüne Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck dann auch noch bis 2030 an die 80 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien gewinnen will, vor allem auch aus Windkraft, dann dürfte der Verkauf von solchen Anlagen eigentlich eine sichere Bank sein. Denn ohne massenhaft neue Windräder dürfte es schwierig werden, die Energiewende auf die Reihe zu kriegen. Zwei Prozent der Fläche Deutschlands sollten für Windenergie reserviert werden, so wünscht sich das der Minister. Im Grunde doch ein Selbstläufer, Windenergie-Ausrüster müssten die Gewinner dieser Tage sein. Sind sie aber nicht.

Der Ausbau der Windenergie kommt seit Jahren nicht richtig voran, die Genehmigungsverfahren sind lang und kompliziert, die Kosten steigen immer weiter. Insofern ist die Siemens-Energy-Tochter Gamesa ein ganz gutes Beispiel für eine Branche, der es eigentlich gut gehen könnte. Allerdings kommt bei dem spanischen Windturbinenbauer noch mehr dazu: Eine sehr verschachtelte und komplizierte Unternehmensstruktur, bei der vieles nicht richtig funktioniert. Die Lage sei "sehr komplex", sagt ein Insider, was vermutlich noch ziemlich untertrieben ist.

Ausgerechnet mit Kohle und Gas wird das Geld verdient

Dabei schien die Sache am Anfang ziemlich klar. Als der Siemens-Konzern sein Energiegeschäft vor über einem Jahr unter dem Namen Siemens Energy abspaltete und dann an die Börse brachte, da ging es vor allem um zwei sehr unterschiedliche Teile. Da war zum einen das alte Geschäft mit Kohle, Gas und Kraftwerken, eigentlich ein Auslaufmodell. Einige meinten damals sogar: eine Art bad bank der Energietechnik. Die ebenfalls zu Siemens Energy gehörende moderne Windenergie-Sparte (Gamesa) hingegen stand für Zukunft. Im Laufe der Monate wurde dann aber immer klarer, dass auch das, was man für Zukunft hält oder halten könnte, zu einem Milliardengrab werden kann.

Am späten Donnerstagabend teilte das Unternehmen mit: Der Umsatz ist bei Gamesa im abgelaufenen Quartal um über elf Prozent gefallen, dazu kamen Millionenverluste, an die 309 Millionen Euro zwischen Oktober und Dezember. Und es ist nicht so, dass das Unternehmen zum ersten Mal solche Überraschungen bot.

"Dreimal ist einmal zu viel"

Die Krise ist inzwischen chronisch geworden. Drei Gewinnwarnungen in der Windenergiesparte in nur einem Jahr, während ausgerechnet das Siemens-Energy-Geschäft mit den fossilen Energieträgern - wenn man so will, die Beschäftigung mit der Vergangenheit - gut läuft. Gamesa erklärte das sonderbare Phänomen am Freitag so: Es gebe Lieferkettenprobleme, vor allem bei Metallen und seltenen Erden, dazu kämen steigende Rohstoffpreise für Stahl oder Kupfer - und Schwierigkeiten beim Hochlauf einer neuen Turbine für Windräder an Land. Das sind natürlich plausible Erklärungen, allerdings: Haben nicht alle gerade Lieferprobleme? Sind Rohstoff- und Energiekosten nicht für alle gerade sehr hoch? Die Lage ist nirgendwo einfach, aber bei Gamesa ist sie besonders vertrackt.

Bauteile in einer Fertigungshalle in Cuxhaven: Die Kosten steigen, Lieferengpässe machen dem Unternehmen zu schaffen. (Foto: Jörg Sarbach/picture alliance/dpa)

Die Probleme der Tochter schlagen bis auf die Münchner durch - wegen der Schwierigkeiten in Spanien ist auch Siemens Energy in den roten Zahlen und muss seine Prognose für das laufende Geschäftsjahr senken. Der Aktienkurs am Freitagnachmittag: Fast 17 Prozent im Minus, der tiefste Stand seit Oktober 2020. Und die Stimmung in München? Rauscht mit jeder Gewinnwarnung immer weiter in den Keller. "Dreimal ist einmal zu viel", hieß es am Freitag aus unternehmensnahen Kreisen. Die Geduld in München sei am Ende. Vom Management bis zur verschachtelten Konzernstruktur - gut möglich, dass hier schon bald vieles neu sortiert wird.

Das Domino-Prinzip: Erst kommen die schlechten Nachrichten, dann rauscht die Aktie ab

Es beginnt mit der Frage, ob Siemens Energy die in Spanien börsennotierte Firma ganz übernehmen soll. Zurzeit hält man 67 Prozent an Gamesa, der Rest würde wohl noch einmal drei bis vier Milliarden Euro kosten - das wäre eine Menge Geld für ein Unternehmen wie Siemens Energy, das selbst erst vor kurzem unabhängig wurde. Bislang galt ein Kauf als zu teuer. Andererseits: Der Fall Siemens Energy - Siemens Gamesa ist auch ein Lehrstück dafür, wie aus einer Milliarden-Kapitalbeteiligung ein nur schwer zu regierendes, paneuropäisches Konstrukt werden kann. Die Risiken für die eigene Bilanz und den eigenen Aktienkurs? Groß. Die Kontrollmöglichkeiten und die Chancen, durchzuregieren? Weniger groß. Jedes Mal, heißt es in München, sei es dasselbe: Man werde von den schlechten Nachrichten aus Spanien überrascht. Dann geht es stets nach dem Domino-Prinzip: Erst rauscht die Gewinnwarnung rein, dann stürzen die Aktienkurse ab. Das größte Problem, sagt einer, sei die fehlende Transparenz im spanisch-deutschen Verhältnis. Einerseits mit Milliarden im Feuer stehen, andererseits immer erst spät über Probleme informiert zu werden - das könne auf die Dauer ziemlich nerven. Dazu käme, sagen sie in München: Ein deutscher Großaktionär aus München auf der einen und ein stolzes spanisches Unternehmen auf der anderen Seite, so etwas berge durchaus eine Menge Konfliktpotential. Vielleicht hat man auch deshalb den Ball immer flach gehalten.

Bis jetzt jedenfalls.

Und dann ist da die Frage, wie es mit Siemens-Gamesa-Vorstandschef Andreas Nauen weitergehen soll. Bis jetzt hatte Siemens-Energy-Chef Christian Bruch an jenem Mann, der im Sommer 2020 als Sanierer geholt wurde, festgehalten. Ruhig, vielleicht sogar verdächtig ruhig. Kann das noch lange so weitergehen? "Das Gamesa-Management ist nicht auf der Höhe", sagt nun ein Insider. Möglich, dass Bruch gar nichts anders übrig bleibe, als auf einen Wechsel an der Spitze hinzuarbeiten. Allerdings: Die Suche nach einer Nachfolgerin oder einem Nachfolger wäre alles andere als einfach, denn wer möchte schon Chef eines börsennotierten Unternehmens werden, das möglicherweise kurz davorsteht, komplett bei einem Großkonzern wie Siemens Energy eingemeindet zu werden?

Am Freitag sagte Nauen, der "Entwicklungszeitplan" sei "vielleicht hier und da ein bisschen zu optimistisch" gewesen. Und dass man nun auf höhere Preise für Windräder setze, um steigende Rohstoffpreise und Logistikkosten an die Kunden weiterzugeben. Kosten einfach so weiterreichen, ob das funktioniert? Ein dänischer Analyst sprach am Freitag von einem "perfekten Sturm", was in diesem Zusammenhang natürlich ein ganz hübsches Wortspiel ist.

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