Schuldenkrise in Griechenland:Athen gewährt tiefe Einblicke

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  • Die griechische Regierung unter Premier Tsipras veröffentlicht Dokumente aus den Verhandlungen der Euro-Finanzminister.
  • In dem 30-seitigen Dokument steht, welche Punkte Finanzminister Varoufakis bei den Gesprächen ansprach.
  • Grund für die Veröffentlichung sind wohl innenpolitische Erwägungen. Die Regierung kann damit zeigen, dass sie hart und im Sinne der Syriza-Wähler verhandle.

Analyse von Cerstin Gammelin, Brüssel

Im Streit darüber, wer für die ergebnislosen Treffen der Euro-Finanzminister zur Zukunft Griechenlands verantwortlich ist, hat die Regierung von Alexis Tsipras am Mittwoch einen ungewöhnlichen Schritt getan. Der Premier ließ die Verhandlungsdokumente der beiden gescheiterten Sitzungen veröffentlichen.

Auf 30 Seiten ist nachzulesen, was der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis seinen Ressortkollegen am 11. und am 16. Februar vortrug, welche Verpflichtungen die Euro-Gruppe von ihm verlangte und wie der Kompromissvorschlag der Europäischen Kommission ausgesehen hatte.

Das Veröffentlichen von Verhandlungsunterlagen ist nicht üblich

EU-Diplomaten in Brüssel reagierten irritiert. Das Veröffentlichen von vertraulichen Verhandlungsunterlagen sei "nicht üblich". Die griechische Regierung ist allerdings nicht die erste, die sich über diplomatische Gepflogenheiten hinwegsetzt, um Klarheit zu schaffen. Zuletzt ließ der italienische Premier Matteo Renzi im vergangenen Herbst ein vertrauliches Schreiben der EU-Kommission zum italienischen Haushalt online stellen.

Die Dokumente zeigen, dass die griechische Delegation mit einigen konkreten Forderungen und Zahlen zu den Sitzungen angereist war, allein mit sechs Seiten für das zweite Treffen der Ressortchefs, das am Montagabend abgebrochen wurde und zu dem Ultimatum der Euro-Gruppe führte, wonach Athen zügig einen Brief schreiben und den Antrag auf Verlängerung des Rettungsprogramms stellen solle.

Griechenlands frisch gewählter Premierminister Alexis Tsipras irritiert die EU-Diplomaten. (Foto: Thanassis Stavrakis/AP)

Über einige Reformen sind sich Griechenland und die Gläubiger einig

Varoufakis listet in dem "non-paper", also in den vertraulichen Unterlagen, vom 16. Februar die Reformen aus dem laufenden Rettungsprogramm auf, über die sich die technischen Experten Griechenlands sowie von Europäischer Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds einig sind: Die Reform des Steuersystems, der Steuerverwaltung und des öffentlichen Finanzmanagements, der Kampf gegen Korruption, die Verbesserung des Geschäftsklimas, Reformen des Justizsystems und des öffentlichen Beschaffungswesens sowie die Umsetzung europäischer Gesetze für Netzindustrien und im Wettbewerbsrecht. Der Finanzminister definierte "rote Linien".

Die gegenwärtig vereinbarte Arbeitsmarktreform passe nicht zur wirtschaftlichen Lage. Zusammen mit der Internationalen Arbeitsorganisation ILO soll ein neuer Ansatz gesucht werden, der Schutz von Arbeitnehmern abhängig vom Wirtschaftswachstum erhöht. Ein neuer Ansatz soll auch für den Verkauf von Staatsbetriebenen gelten. Athen will laufende Privatisierungen nicht grundsätzlich stoppen, sondern Fall für Fall prüfen. Das noch gültige Ziel, bis 2020 etwa 22,3 Milliarden Euro aus den Verkäufen einzunehmen, hält sie für "unrealistisch". Alle im Jahr 2011 (50 Milliarden Euro bis 2016) und später 2012 (50 Milliarden Euro bis 2020) vereinbarten Ziele seien nicht erreicht worden. Die noch für 2015 vorgesehenen Einnahmen von 2,2 Milliarden Euro könnten durch die Auszahlung der Gewinne, welche die Europäische Zentralbank (EZB) mit griechischen Anleihen erzielt habe, ausgeglichen werden.

Zwei Milliarden Euro durch Wahlkampf verloren

Varoufakis zufolge sind dem Staatshaushalt im Januar 2015 durch den Wahlkampf zwei Milliarden Euro entgangen. Die Behörden wollen zusätzliche Einnahmen von 5,5 Milliarden Euro erzielen , indem sie illegalen Handel, Steuerflucht und Korruption bekämpfen sowie eine Vermögenssteuer einführen.

Im Jahr 2015 muss Athen 17 Milliarden Euro an einmaligen Zahlungen leisten, vor allem an den Internationalen Währungsfonds und die EZB. Um die Kredite bedienen zu können, will Athen die Rahmenbedingungen eines neuen Vertrags mit dem IWF und den Euro-Ländern aushandeln.

Varoufakis rechnet vor, dass die bisherigen Kalkulationen zur Schuldenentwicklung nicht korrekt seien. Es reiche aus, 2015 und in den folgenden Jahren einen Primärüberschuss von 1,5 Prozent zu erwirtschaften, um die Schuldentragfähigkeit bis 2020 zu erreichen. Varoufakis verweist auch auf Berechnungen aus dem IWF und dem Euro-Rettungsfonds ESM.

Griechische Regierung will zeigen, dass sie hart verhandelt

EU-Diplomaten gehen davon aus, dass Tsipras die Verhandlungsdokumente vor allem aus innenpolitischen Überlegungen heraus öffentlich macht. Er wolle den Bürgern zeigen, "dass die Regierung hart verhandelt". Und sie zugleich darauf vorbereiten, dass auch die neue Regierung einige Zugeständnisse machen muss.

Das Schreiben mit dem Antrag auf Verlängerung, so verlautete am Mittwoch aus Athen, solle am Donnerstag abgeschickt werden. An diesem Tag will Tsipras auch zwei Wahlversprechen wahr machen. Er will den Entwurf eines Gesetzes ins Parlament einbringen, das Sofortmaßnahmen zum Schutz des Erstwohnsitzes der Bürger und das Verbot des Weiterverkaufs von Immobilienkrediten an ausländische Fonds vorsieht. Zudem will Tsipras im Arbeitsmarkt die dreijährigen Laufzeiten von Tarifverträgen, die Erweiterbarkeit ihrer Gültigkeit ebenso wie Schlichtungsinstanzen wieder einführen.

Am Ende dieser Rede vom Dienstag forderte er indirekt ein Treffen der europäischen Staats- und Regierungschefs zu Griechenland. "Den Ausweg aus der beim Eurogruppen-Treffen zustande gekommenen Sackgasse können uns keine Technokraten aufzeigen", sagte der Premier, "sondern nur die politischen Führer Europas."

Die EZB zeigte sich am Mittwochabend geduldig mit den Streitenden. Sie hob die Summe für genehmigte Notfall-Hilfen der Athener Notenbank an die heimischen Geldinstitute um 3,3 Milliarden auf 68,5 Milliarden Euro an. Die Banken können damit Unternehmen und Bürger weiter mit Bargeld versorgen.

© SZ vom 19.02.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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