Bundeshaushalt:"Sind Schulden sexy?"

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Finanzminister Olaf Scholz hat im vergangenen Jahr 130 Milliarden Euro Schulden gemacht, in diesem Jahr plant er mit 180 Milliarden Euro. (Foto: dpa)

Wie viele Milliarden Euro der Staat in der Krise ausgeben darf, ist im Bundestag eine große Debatte. Die Kritik: Schuldenmachen sei gerade zu verführerisch.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

Wenn der Bundestag über sperrige Themen debattiert, kann das interessanter werden als man gemeinhin annimmt. So wie an diesem Donnerstag. Die Abgeordneten kreisten vordergründig um die Zukunft der Schuldenbremse - tatsächlich aber um politische Mehrheiten in Deutschland.

Die wichtigste Botschaft der einstündigen Debatte ist zweifelsohne die: Keine Partei ergreift die ausgestreckte Hand der AfD. Die größte Oppositionspartei hatte die Debatte durchgesetzt, sie hält den Bundeshaushalt wegen der ausgesetzten Sparklausel für verfassungswidrig und will in Karlsruhe vor dem Bundesverfassungsgericht klagen. Die Schuldenbremse sei auch in der Pandemie einzuhalten, argumentierte Peter Boehringer, Haushaltsexperte der AfD, man müsse nur sofort den kompletten Lockdown aufheben, erst die "staatliche Überreaktion" habe die hohen Schulden nötig gemacht. Er hoffe, wandte sich Boehringer insbesondere in die Richtung FDP, dass sich weitere Abgeordnete finden werden, um das Bundestags-Quorum für eine Normenkontrollklage zu erfüllen.

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Was vor allem rhetorisch gemeint war. Niemand in der AfD dürfte davon ausgegangen sein, dass die FDP auch nur ansatzweise den Fehler von Thüringen wiederholen könnte, wo sie vor einem Jahr einen FDP-Abgeordneten mit den den Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten wählen ließen - im Bundestag erinnert im Februar 2021 nichts an die Situation im Landtag in Erfurt im Februar 2020. Die FDP lässt sich nicht locken. Er sei der AfD "dankbar", dass man über den Haushalt streite, sagte FDP-Haushälter Otto Fricke. "Aber wir werden der AfD nicht folgen auf dem Gang nach Karlsruhe." Der Haushalt müsse selbstverständlich im Bundestag entschieden werden und nicht vor Gericht. Mit dieser Forderung hatte die FDP am Donnerstag die ganz große Mehrheit hinter sich - Union, SPD, Grüne und Linke.

Wenn es aber konkret um die Zukunft der Schuldenbremse geht, zerfällt die große Mehrheit in Minderheiten entlang der Parteifarben - die einen wollen die vorhandene Schuldenbremse am liebsten so lassen wie sie ist (mehrheitlich die Union), andere finden, der Müllhaufen der Geschichte sei der richtige Platz für die Regel (Linke) - wieder andere wollen sie reformieren (Grüne) oder für längere Zeit aussetzen (SPD).

Man mag sich wundern, dass um die Regel so heftig gerungen wird. Tatsächlich ist sie essenzielle Grundlage jeder Haushaltsplanung. Sie setzt der Regierung eine Grenze bei den Ausgaben, deren Einhaltung der Bundestag überwacht. Die Regel steht seit 2009 im Grundgesetz. Sie soll die Aufnahme von neuen Krediten begrenzen, auf 0,35 Prozent bezogen auf das nominale Bruttoinlandsprodukt, also ohne Berücksichtigung der Inflation. Festgelegt sind zwei Ausnahmen: Naturkatastrophen und Wirtschaftskrisen.

Ist das gefährlich - zu zeigen, dass massenhaft Geld in der Krise da ist?

Weil Corona nach Ansicht der ganz großen Mehrheit im Bundestag eine Naturkatastrophe darstellt, gilt für 2020 und 2021 die Ausnahme von der Schuldenbremse. Der Bund hat im vergangenen Jahr 130 Milliarden Euro Schulden gemacht, in diesem Jahr plant er mit 180 Milliarden Euro. Angesichts der enormen Belastungen durch die Pandemie hat Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) gefordert, die Schuldenbremse auszusetzen und dafür das Grundgesetz zu ändern. Auch bei ansonsten strenger Ausgabendisziplin ist sie absehbar nicht einzuhalten. "Deshalb ist es sinnvoll, eine Erholungsstrategie für die Wirtschaft in Deutschland mit einer Grundgesetzänderung zu verbinden, die begrenzt für die kommenden Jahre einen verlässlichen degressiven Korridor für die Neuverschuldung vorsieht und ein klares Datum für die Rückkehr zur Einhaltung der Schuldenregel vorschreibt."

Die Union kann dem Vorstoß von Braun bislang wenig abgewinnen. "Was denken die normalen Bürger, der Bürgermeister, der Landrat bei einer Debatte, die Schuldenbremse muss weg", warnte Eckhardt Rehberg, Haushaltsexperte der Union. "Sind Schulden sexy?", fragte er in Richtung des Koalitionspartners SPD, der in Gestalt von Bundesfinanzminister Olaf Scholz auf der Regierungsbank saß. Müsse das wirklich sein, so viel Geld ins Schaufenster zu legen, das dann gar nicht gebraucht werde. Er sehe das "hoch kritisch".

Was die Zukunft betrifft, ist es allerdings auch so, dass Rehberg seine politische Karriere in diesem Jahr beendet - was von der Grünen Anja Hajduk nicht bekannt ist. Die Haushaltsexpertin stellte sich im Bundestag hinter den Kanzleramtsminister. Der Mut von Braun, die "finanzielle Herausforderung" zu thematisieren, sei "bemerkenswert". Zuzugeben, dass auch 2022 die Schuldenbremse nicht eingehalten werden kann, sei nicht skandalös, "sondern ehrlich". Die Zukunft der Schuldenbremse wird sich erst nach der Bundestagswahl entscheiden.

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