Es sind kaum drei Absätze nötig, um das Selbstbild der Deutschen ins Wanken zu bringen. Die Deutschen? Klar, denken viele: ein Volk von Sparern und wohl wirtschaftenden schwäbischen Hausfrauen. Der Schuldneratlas der Auskunftei Creditreform jedoch belegt schon auf der ersten Seite das Gegenteil: Jeder Zehnte hierzulande kann seine Rechnungen nicht mehr zahlen. Knapp sieben Millionen Bundesbürger müssen also regelmäßig Mahnungen aus dem Briefkasten fischen, finden sich in Schuldnerverzeichnissen oder mussten gar einen Antrag auf Privatinsolvenz stellen - Überschuldung heißt das in der Sprache der Experten. Akribisch hat die Auskunftei das Wesen der Schuldner vermessen: von Stadt über Land, von Jung bis Alt, von Nord bis Süd. Und fördert fünf interessante Fakten zutage.
Fakt 1: Im Osten stehen die Menschen seltener in der Kreide
Zumindest in der Weltsicht vieler Wessis stehen sie selbst als Finanzkönner da, während die Menschen aus dem einstmals sozialistischen Osten ihre Finanzen nicht auf die Reihe kriegen. Mit Blick auf die Überschuldung ist das allerdings Quatsch, es verhält sich genau umgekehrt: Im Westen stecken immer mehr Menschen tief in den Miesen, während sich die Bürger im Osten aus der Schuldenfalle sogar befreien können. Im Westen nahm die Quote der Überschuldeten von 9,6 Prozent im Jahr 2004 auf heute knapp 10 Prozent zu.
In den neuen Bundesländern dagegen zeigt sich trotz aller Debatten um Perspektivlosigkeit ein ganz anderes Bild: Der Anteil der überschuldeten Ostdeutschen hat sich verringert von 10,5 auf heute 10,3 Prozent. "Die Überschuldungsspirale dreht sich im Westen schneller als im Osten", notieren die Autoren des Schuldnerreports. Sogar besonders hohe, drückende Verschuldung bauen die Menschen zwischen Greifswald und Chemnitz schneller ab als ihre Mitbürger im Westen. Dass die Ostler ihre Verschuldung besser in den Griff bekommen, liegt auch daran, dass sich gerade ältere Schuldner auf dem Land dort viel stärker Dinge vom Mund absparen, um Schulden zu tilgen. Damit sind die Ostdeutschen offenbar schwäbischer, als viele Wessis gedacht hätten.
Fakt 2: Probleme bei der Arbeit können Schulden befördern Klar, wer Arbeit hat und Geld verdient, muss sich um Schulden oft weniger Sorgen machen. Mehr noch: Arbeit ist der wichtigste Faktor, um das Schuldenrisiko gering zu halten, sagen die Experten. Aber Arbeit kann auch zum Stein des Anstoßes für einen fatalen Dominoeffekt werden. Denn in vielen Berufen müssen Arbeitnehmer heute so viel schuften, dass sie latent unter Stress stehen. Die Folge: Mitarbeiter werden krank, fallen aus - und müssen während solcher Ausfallphasen mit weniger Geld auskommen, warnen die Schuldenexperten bei Creditreform. Wenn dann feste Raten zum Beispiel fürs eigene Häuschen abzustottern sind, kann es schnell eng werden.
Fakt 3: Trotz Rezessionssorgen können die Deutschen sogar Schulden tilgen
Seit Monaten schon malen Finanzexperten die wirtschaftlichen Aussichten in den düstersten Farben: Handelsstreit, Brexit und Hongkong-Krise könnten die Weltwirtschaft schwer belasten. Die Menschen in Deutschland scheint das allerdings kaltzulassen: Denn auch wenn es in der Industrie kriselt, profitieren die Bürger zwischen Nordsee und Alpen im Gesamten immer noch von geringer Arbeitslosigkeit und guten Lohnabschlüssen. Das hält nicht nur das Risiko für neue Schulden klein, in den vergangenen zwölf Monaten hat sich die Zahl der überschuldeten Deutschen sogar auf knapp sieben Millionen leicht verringert.
Fakt 4: Bei den Rentnern nimmt die Überschuldung drastisch zu
Wenn es nach dem Volksmund geht, dann drehen viele ältere Deutsche jeden Pfennig dreimal um. Dieses Gesetz scheint allerdings in Rekordgeschwindigkeit an Geltung zu verlieren. Denn innerhalb der vergangenen zwölf Monate ist die Zahl überschuldeter Menschen jenseits der 70 um sage und schreibe 45 Prozent gestiegen. Und nicht nur das: Ältere Menschen stecken im Durchschnitt auch noch viel tiefer in den Miesen. Während Überschuldete unter 25 nur etwa 8000 Euro Schulden zu schultern haben, sind es bei den älteren Schuldnern etwa 47 000 Euro. Klar, denn sie haben ja bereits über etliche Jahre Schulden aufgehäuft.
Eine solche Schuldenlast ist doppelt problematisch: Sie ist nicht nur höher, sondern im Alter nach Renteneintritt auch kaum noch abzutragen. Eine massenhafte Altersverschuldung sehen die Experten bei Creditreform jedoch nicht. Auch wenn die Überschuldungsfälle bei den Senioren rasant zunehmen, kommen sie von einem äußerst niedrigen Niveau. Nur knapp drei Prozent der Menschen über 70 sind überschuldet - bei den Bundesbürgern in ihren Dreißigern sind es hingegen knapp 20 Prozent.
Fakt 5: Frauen wirtschaften besser als Männer
In den Werbespots vieler Banken und Broker wimmelt es nur so vor Männern: Mit Geld umgehen? Das sei Männersache, so wollen es die Werbestrategen der Finanzhäuser suggerieren. In Sachen Schulden strafen sie solche Vorurteile allerdings Lügen: Während 12,46 Prozent der Männer hierzulande überschuldet sind, stehen bei den Frauen nur 7,65 Prozent tief in der Kreide. Nicht umsonst heißt es in der bekannten Redewendung schließlich auch schwäbische Haus frau - und nicht schwäbischer Hausmann.