Schmiergeldaffäre:Hässliche Post von Siemens

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Bislang mussten sich Topmanager über ihre persönliche Haftung kaum Gedanken machen. Bei Siemens wird das nun anders - es könnte sogar richtig teuer werden.

Hans Leyendecker und Klaus Ott

Da wird einer nun bald 73 Jahre alt, hat sein ganzes Berufsleben, immerhin 42 Jahre, für Siemens geschuftet, war all die Jahre treu und verlässlich. Sollte er eines Tages von Amts wegen dazu gezwungen sein, ein Vermögensverzeichnis zu erstellen, dann käme einiges zusammen.

Kommt am Ende der Gerichtsvollzieher? (Foto: Foto: dpa)

Der Exmanager, ein gelernter Elektroingenieur, hat es - auch dank vergleichsweise bescheidender Lebensführung - zu ansehnlichem Wohlstand gebracht. Günter Wilhelm heißt der Mann, der vor acht Jahren bei Siemens ehrenvoll verabschiedet wurde. Als Mitglied des Zentralvorstands war er seit 1992 unter anderem für Geschäfte im asiatisch-pazifischen Raum zuständig gewesen. Medien feierten ihn als "Integrator" und "Harmoniefaktor".

Alles weg?

Dieser Tage bekam der Pensionist Post von der alten Firma. Mit der Harmonie ist es vorbei. Die Neuen von Siemens teilten ihm mit, es bestünden Schadensersatzansprüche bis zu 50 Millionen Euro. Er solle, sagen Aufsichtsräte, persönlich haften, falls die Versicherung nicht zahle. Kommt am Ende der Gerichtsvollzieher mit dem Kuckuck? Das Haus - weg? Die Altersversorgung - fast weg? Das sonstige Vermögen - weg?

Wilhelm soll bei Siemens dafür gesorgt haben, dass die Betriebsräte-Organisation AUB mit Wilhelm Schelsky an der Spitze vom Konzern verdeckt finanziert wurde, um ein arbeitgeberfreundliches Gegengewicht zur IG Metall zu schaffen. 50 Millionen Euro flossen von 1991 bis 2006 an Schelsky.

Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth ermittelt wegen Anstiftung zur Untreue gegen Wilhelm. Er soll im Jahr 2000 den damaligen Siemens-Manager Johannes Feldmayer dazu aufgefordert haben, mit Schelsky einen neuen Vertrag zu schließen.

Die Zuwendungen von Siemens an den AUB-Chef stiegen. Feldmayer und Schelsky sollen im Herbst wegen Finanzdelikten vor Gericht stehen. Eine Anklage gegen Wilhelm könnte folgen. Auch von Feldmayer, der von 2003 bis 2007 dem Zentralvorstand angehörte, will Siemens Geld.

Der Konzern habe auf bis zu 20 Millionen Euro Anspruch, so das Prüfergebnis der vom Aufsichtsrat zu Rate gezogenen Kanzlei Hengeler Mueller. In deren Gutachten sind auch 50 Millionen Euro Schadensersatzanspruch gegen Wilhelm notiert. Was tatsächlich gefordert werde, solle sich nach dessen Vermögenslage richten, steht sinngemäß im Gutachten.

Das Wort "Managerhaftung", das in diesen aufgeregten Tagen durch die Welt geistert, bekommt im Fall Siemens eine nachvollziehbare Größenordnung: Eine Zahl mit mindestens sieben Nullen, das ist schon was. So viel hat auch ein Ex- Zentralvorstand nicht auf der hohen Kante.

Auch auf Feldmayers oder Wilhelms Altersversorgung, die bei Siemens-Vorständen in der Regel 28 Prozent der letzten Grundvergütung beträgt, könnte nach Ansicht von Aufsichtsräten Zugriff genommen werden. Geht das wirklich? Es gibt eine kleine Parallele zu dem wegen Untreue verurteilten früheren VW-Weltbetriebsratschef Klaus Volkert.

Ihm stünde eigentlich eine Werksrente in Höhe von 6600 Euro plus 1500 Euro gesetzliche Rente zu. Er bekommt derzeit aber nur 3600 Euro, weil der Autokonzern einen Teil der Betriebsrente als Schadensersatz einbehält.

Als der Siemens-Aufsichtsrat am Dienstag Schadensersatzforderungen gegen elf ehemalige Zentralvorstände beschloss, wirkte die Runde einig. Doch bei den Gesprächen auf dem Gang war es schon vorbei mit der Harmonie. "Ich bin nicht bereit, den Leuten das letzte Hemd auszuziehen", sagte ein Vertreter der Kapitalseite.

"Wenn Lieschen Müller goldene Löffel klaut und fristlos gekündigt wird, dann verliert sie alles, auch die Betriebsrente", entgegnete ein Arbeitnehmervertreter. "Wir verlangen Gleichbehandlung". Bei Feldmayer und Wilhelm, sagt ein Gewerkschafter, werde es "keine Gnade geben. Da machen wir keine Zugeständnisse".

Bei der Düsseldorfer Kanzlei Hengeler Mueller war Michael Hoffmann-Becking Vormann des Anwalts-Teams, das die Ansprüche von Siemens gegen die frühere Konzernspitze in der Korruptionsaffäre und im Fall AUB geprüft hat. Hoffmann-Becking ist einer der erfahrensten deutschen Gesellschaftsrechtler. Über Siemens redet er nicht, aber über Grundsätzliches. Viele Haftungsfälle würden geräuschlos durch Vergleich erledigt.

Normalerweise gelte die Regel: Je kleiner der Schaden, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass der Geschädigte einen Ausgleich erstreite. Je größer der Schaden, umso wahrscheinlicher, dass die Sache ohne Aufhebens erledigt werde. Hoffmann-Becking hat in diversen Gutachten Aufsichtsräten davon abgeraten, gegen den Vorstand vorzugehen, weil große Nachteile für die Firma drohten, wenn die Probleme publik würden.

Die alten Regeln und Normen gelten allerdings nicht mehr bei Siemens. Der Streit wird auf dem offenen Markt ausgetragen. Auch mit Blick auf die US-Börsenaufsicht SEC, die eine Milliardenstrafe verhängen könnte, findet der Reinigungsprozess öffentlich statt. Unklar ist, wie sich die Versicherung im Fall AUB bei Wilhelm und Feldmayer, aber auch bei den Schadensersatzforderungen in der Korruptionsaffäre verhalten wird.

Siemens hat, wie fast alle anderen Dax-Konzerne, eine "Directors and Officers Liability Insurance" abgeschlossen, die für einen Schaden bis zu 250 Millionen Euro aufkommen soll. Konsortialführer der Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung für das Siemens-Management ist die Allianz, deren Chef Michael Diekmann im Aufsichtsrat des Konzerns sitzt. Er hat den Beschluss, Schadensersatz zu fordern, mitgetragen.

Sorge um die eigene Zunft

Der Düsseldorfer Fachanwalt Oliver Sieg schreibt in einem Buchbeitrag, es könne davon ausgegangen werden, dass die betroffenen Manager bei Vergleichen oftmals nicht mit dem eigenen Vermögen hafteten. Ein Großteil der Schadensfälle werde "zwischen Versicherer und Anspruchsteller ... einvernehmlich und wirtschaftlich vernünftig beendet".

Was heißt das in Fällen wie Feldmayer oder Wilhelm? Wenn Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit infrage kommen, lehnen Versicherungen meist ab, zu zahlen. Damit rechnet man im Siemens-Aufsichtsrat. Auf Vergleiche, die frühere Topmanager schonten, wollen sich manche Vertreter der Arbeitnehmerseite im Kontrollgremium nicht einlassen. "Das wird uns doch sofort um die Ohren gehauen."

Ein Teilnehmer der Aufsichtsratssitzung vom Dienstag hat beobachtet, dass einige Herren auf der Kapitalseite "ganz grau im Gesicht geworden " seien. Sie befürchteten offenbar, dass die raue Gangart von Siemens auch andere Manager treffen könnte. Der Aufsichtsrat: "Die sorgen sich um die eigene Zunft".

© SZ vom 31.7.2008/hgn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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