Was beide Unternehmen am Montag diplomatisch als "Zusammenschluss", "Verschmelzung" oder "Kombination" verklausulierten, ist de facto eine Übernahme: Die Schaeffler AG schluckt den Antriebsspezialisten Vitesco Technologies. Während Aktionäre noch überlegen, ob sie ihre Anteilsscheine an Schaeffler verkaufen sollen, haben sich die Vorstände und Aufsichtsräte beider Unternehmen über den Deal geeinigt. Sie unterzeichneten ein Business Combination Agreement (BCA), in dem bis hin zur personellen Besetzung des künftigen Vorstands detailliert festgelegt wird, wie das künftige Unternehmen aussehen soll. "Dieser Vertrag ist ein Meilenstein auf dem Weg zur Verschmelzung beider Unternehmen, weil beide Seiten sich darüber verständigt haben, wie wir weiter vorgehen", sagte Schaeffler-Vorstandschef Klaus Rosenfeld der Süddeutschen Zeitung. "Das ist ein bisschen wie ein Ehevertrag."
Darin wurde vereinbart, dass Vitesco Technologies mit Sitz in Regensburg, eine Ausgliederung aus der Continental AG, mutmaßlich im Herbst 2024 in die Schaeffler AG eingegliedert und seinen Namen verlieren wird. Sitz des künftigen Konzerns wird Herzogenaurach bei Nürnberg werden, der Sitz von Schaeffler. Unklar ist die Zukunft von Vitesco-Vorstandschef Andreas Wolf, 63. Sein Vertrag läuft regulär am 30. September 2024 aus. Zur Frage, ob Wolf eine Funktion im neuen Unternehmen haben wird, machte eine Vitesco-Sprecherin auf Nachfrage keine Angaben. Sie kündigte "noch 2023 eine gesonderte Veröffentlichung" an. Vieles deutet auf einen bevorstehenden Abschied von Wolf hin.
Es entsteht ein Konzern mit 25 Milliarden Euro Umsatz
Was Aktionäre freuen dürfte: Einher mit der Vereinbarung hob Schaeffler am Montag sein Übernahmeangebot an. Statt 91 will das Unternehmen 94 Euro pro Anteilsschein bezahlen. Diese Offerte liegt 24,8 Prozent über dem Schlusskurs des Vitesco-Papiers am 6. Oktober, dem letzten Handelstag vor der Ankündigung des Übernahmeangebots. Verglichen mit dem durchschnittlichen Kurs in den drei Monaten zuvor liegt es 23,4 Prozent höher. Die Annahmefrist für die Offerte endet am 15. Dezember.
Wenn Schaeffler und Vitesco voraussichtlich im Herbst 2024 verschmelzen, entsteht ein Zulieferkonzern für die Automobilbranche und andere Industrien mit etwa 25 Milliarden Euro Umsatz, 120 000 Beschäftigten und mehr als 100 Fabriken weltweit. Der daraus resultierenden Synergieeffekt bezogen auf den Gewinn vor Steuern und Zinsaufwendungen (Ebit) beziffert Rosenfeld auf 600 Millionen Euro jährlich ab 2029. Dem Deal müssen noch zwei außerordentliche Hauptversammlungen beider Unternehmen ihren Segen erteilen, was eine Formsache werden dürfte. Allein schon, weil Georg Schaeffler und seine Mutter Maria-Elisabeth etwa die Hälfte der Vitesco-Aktien halten und drei Viertel an ihrem gleichnamigen Familienunternehmen. Und was die Aktienkäufe angeht - "wir sind sehr sicher, dass wir genügend Anteile bekommen werden, um die Transaktion erfolgreich durchzuziehen", sagte Rosenfeld.
Den Integrationsprozess selbst soll ein paritätisch aus Managern beider Firmen zusammengesetztes Komitee steuern, das im Dezember erstmals zusammenkommen wird. Spätestens Mitte 2024 soll es einen Geschäftsplan für das neue Unternehmen vorlegen. Vonseiten Schaeffler hieß es beruhigend in Richtung Vitesco, man sei sich "der Bedeutung der Vitesco-Standorte" und insbesondere des Firmensitzes Regensburg "bewusst". Die Integration werde "so erfolgen, dass das laufende Geschäft im besten Sinne der Kunden nicht beeinträchtigt wird".
"Gemeinsame Kultur hinbekommen"
Wie weit gediehen alles ist, zeigt allein der Umstand, dass bereits der Vorstand des neuen Konzerngebildes weitestgehend steht. Insgesamt neun Mitglieder soll er umfassen; nur eine Position ist namentlich noch unbesetzt. Den zentralen Bereich E-Mobilität wird Vitesco-Technologievorstand Thomas Stierle übernehmen. Erklärtermaßen ist der große Plan hinter der Übernahme, einen auch im Weltmaßstab bedeutenden Player in Sachen Elektromobilität zu formen. Schaeffler kündigte ein "lückenloses Portfolio" an Produkten an, mit dem man "das beschleunigte Wachstumspotenzial der Elektromobilität nutzen" wolle. Die neue Schaeffler AG wird in vier Sparten aufgeteilt: E-Mobilität, Antriebsstrang und Fahrgestell, Ersatzteile sowie Kugellager/Industrie. Auch die Chefs der vier Geschäftsregionen werden dem Vorstand angehören.
Kein Widerstand gegen die Übernahme ist vonseiten der Arbeitnehmerseite zu erwarten. Die Gewerkschaft IG Metall signalisierte bereits ihr Einverständnis. Zumal Schaeffler verspricht, nicht an der Tarifbindung oder den Vergütungen und Arbeitgeberleistungen zu rütteln. Eine 2018 mit der Gewerkschaft geschlossene Zukunftsvereinbarung über Standorte und Tarifbindung gilt auch im neuen Gebilde. "Mir ist wichtig, dass wir eine gemeinsame Kultur hinbekommen, zu der neben Stabilität auch eine kollektive und vertrauensvolle Zusammenarbeit gehört, insbesondere mit den Arbeitnehmervertretern", sagte Vorstandschef Rosenfeld der SZ. "Unser Ziel ist es, eine Truppe zu formieren, die hundertprozentig hinter dem neuen Unternehmen steht und die enormen Chancen, die sich daraus ergeben, nutzen will."