Samstagsessay:Einfach mal umsteuern - und zwar sozial gerecht

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Steuern erheben, um die Dinge in die gewünschte Richtung zu lenken - die Idee ist uralt. Auch beim grünen Umbau der Wirtschaft könnte das Konzept helfen. Und das sogar sozial gerecht.

Von Michael Bauchmüller

Arthur Cecil Pigou konnte nicht ahnen, in welch dramatischer Weise er recht haben würde. Sein Werk "Economics of Welfare" erschien 1920, zu Beginn der tosenden Zwanziger, der " roaring twenties". Die Weltwirtschaft stand vor einem Aufschwung, doch Pigou warnte vor den Tücken des Wohlstands. Es gebe eine "natürliche Tendenz" der Menschen, schrieb Pigou, zu viele ihrer Ressourcen in den Dienst der Gegenwart zu stellen, und zu wenig in jenen der Zukunft. "Manchmal erhalten Menschen das, was sie verlangen, durch Methoden, die viel mehr zerstören, etwa in der Zukunft." In Zeiten, in denen eine rasant wachsende Industrie neuen Wohlstand und grenzenlose Möglichkeiten versprach, fand der Engländer Pigou wenig Aufmerksamkeit. Leider.

Genau genommen ist das heute auch noch so, denn Pigous Ansatz ist zwar einleuchtend, aber irgendwie auch lästig. Jedenfalls für alle, die im jeweiligen Hier und Jetzt Geschäfte und Politik machen.

Denn Pigous über viele hundert Seiten hergeleitete Theorie hat einen einfachen Kern: So, wie ihr bisher gewirtschaftet habt, kann es nicht weitergehen. Nicht auf Kosten anderer Generationen, nicht auf Kosten einer Umwelt, die schwächer ist als die Maschinen.

Gefragt sei der Staat, befand Pigou; er müsse die Ungleichgewichte korrigieren. In Zeiten der Klimakrise gilt das noch viel mehr als 1920, als nicht einmal zwei Milliarden Menschen den Planeten bevölkerten und weltweit lächerliche neun Millionen Autos fuhren (heute ist es das 150-fache).

Pigou wählte seinerzeit ein Beispiel, das sich problemlos aufs Klima anwenden ließe. Angenommen, A errichtet an einem Fluss eine Fabrik. Seine Produkte verkauft er an seine Kundschaft aus lauter B's. So sind A und B zufrieden. Weiter flussabwärts aber lebt der Fischer C. Weil Fabrikant A mit seiner Fabrik den Fluss verseucht, bleiben die Netze vom C leer. Er hat den Schaden davon, dass A Gewinn hat. So etwas nennt sich dann: externer Effekt.

Bezogen aufs Klima sind A und B diejenigen, die mit fossiler Energie ihre Fabriken, Kraftwerke, Autos und Heizungen betreiben. Den Schaden haben Milliarden namenlose C's, denen mal die Dürre die Felder wegtrocknet und mal der Regen die Böden wegschwemmt, deren Grundwasser versalzt oder ufernahe Hütten wegbrechen. Und was macht der Staat?

Allein zum Tanken fährt heute kaum noch einer über die Grenze

Pigou hatte in den Zwanzigern das theoretische Fundament für Umweltsteuern geschaffen. Wenn der Nutzen des einen dem anderen zum Schaden gereicht, ohne das dabei geltendes Recht gebrochen wird, dann könnten solche Steuern die Antwort sein, nein, sie müssen es sein. Und sie können sogar so aussehen, dass sie unter dem Strich keinen zusätzlich belasten.

In Deutschland hatte das Konzept nur in den neunziger Jahren nennenswerte Freunde, vorangetrieben auch von dem Schweizer Ökonom Hans Christoph Binswanger. 1999 führte die rot-grüne Koalition die so genannte Ökosteuer ein. Sie schuf eine Stromsteuer und erhöhte in mehreren Stufen die Mineralölsteuer. Der Verbrauch von Energie sollte teurer werden, die Einnahmen flossen zum Großteil in die Rentenkasse. So sollte der Faktor Energie teurer werden, der Faktor Arbeit billiger. An sich ein guter Ansatz.

Nur endete das Unterfangen 2003. Seither sind die Steuersätze die gleichen, die Umweltprobleme auch - die Inflation aber schritt fort. Seit ihrer Einführung ist die rot-grüne Ökosteuer real um 20 Prozent gesunken, einfach durch Lohn- und Preissteigerungen. Allein zum Tanken fährt heute kaum noch einer über die Grenze, denn Nachbarländer haben längst nachgezogen. Gleichzeitig aber sind die Preise für Mineralöl seit drei Jahren vergleichsweise günstig. Wegen der Spritpreise lassen allenfalls die Armen ihr Auto stehen.

Höchste Zeit für einen Neustart.

Das gilt umso mehr, als andere Politikinstrumente bisher versagen. Auch die Europäische Union hatte in den Neunzigern mal eine Ökosteuer ins Auge gefasst, die sich am Kohlendioxid-Ausstoß orientieren sollte. Doch europäische Steuergesetzgebung verlangt einstimmige Entscheidungen. An dieser Einstimmigkeit zerschellte der Plan. Stattdessen schufen die Europäer den Emissionshandel für den Klimaschutz, er sollte den Ausstoß von Kohlendioxid in Fabriken verknappen und damit verteuern. Der Vorteil: Als Umweltgesetz brauchte das Vorhaben keine Einstimmigkeit. Der Nachteil: Bis heute hat er zum Klimaschutz nicht viel beitragen können; dafür ist der Aufpreis einfach zu gering. Erst langsam wird es für Industriebetriebe teurer, Kohlendioxid auszustoßen.

Nicht besser sieht es mit der nationalen Gesetzgebung aus. Trotz Energiewende, trotz aller Bekenntnisse zu sauberer Mobilität und zur Energieeffizienz von Gebäuden hechelt Deutschland seinen Klimazielen hinterher. Im Straßenverkehr wird mittlerweile wieder so viel Kohlendioxid emittiert wie zu Zeiten der Wiedervereinigung: Die Autos sind zwar sparsamer geworden, aber auch mehr; jedes Jahr kommt im Schnitt eine halbe Million hinzu. Bei den Gebäuden gibt es Auflagen nur für Neubauten. Bei bereits errichteten Gebäuden dagegen bleiben die Sanierungsraten weit hinter den Regierungszielen zurück, trotz aller möglichen Förderprogramme. Und bei der Stromerzeugung kann sich Deutschland zwar im Boom der Erneuerbaren sonnen, die mittlerweile mehr als ein Drittel der Elektrizität beisteuern. Doch die Kohlekraftwerke laufen wie eh und je. Nur mehr für den Export.

Dabei könnte vieles so einfach sein: mit einer Steuer, die sich am klimaschädlichen Kohlendioxid orientiert. Pigou hätte seine Freude daran, denn Kohlendioxid ist heute das, was einst das Gift in den Flüssen war. Es ist noch nicht einmal schwer, es zu besteuern - gleich an der Zapfsäule, am Heizöllaster, an der Gasleitung oder am Kohlezug. Wie viel Kohlendioxid bei der Verbrennung frei wird, ist für jeden Brennstoff bekannt.

Oder ist das zu einfach für Politik?

Das deutsche Steuerrecht ist voll von Ausnahmen, nicht selten mit Rücksicht auf jene, die sich am lautesten gewehrt haben. Das erklärt das Wirrwarr unterschiedlicher Mehrwertsteuersätze, aber auch bei den Energiesteuern. Dieselfahrer freuen sich über Steuervorteile, die eigentlich für Berufskraftfahrer und Spediteure gedacht waren. Heiz öl wird, was den CO₂-Ausstoß angeht, hierzulande weniger hoch besteuert wird als Heiz gas, obwohl letzteres klimafreundlicher verbrennt. Es fehlt jede Systematik - dabei wäre die mit dem Maßstab Kohlendioxid so leicht zu haben.

Illustration: Dalila Keller (Foto: Dalila Keller)

Es wäre eine Steuer, die wirklich etwas bewegen könnte, ganz im Sinne Pigous. Klimafreundliche Brennstoffe würden günstiger als solche, die mit viel CO₂-Ausstoß verbrennen; sparsames Haushalten mit begrenzten Ressourcen würde belohnt. Selbst ein Mindestpreis auf Kraftwerks-Emissionen ließe sich so schrittweise einführen, auch parallel zum bestehenden Emissionsrechtehandel: Die Ausgaben für die Zertifikate ließen sich mit denen für eine Steuer verrechnen. So käme immer der Preis zum Tragen, der die Nutzung des Gemeinguts Atmosphäre am meisten verteuert. Eine eigene Kommission, wie sie der Bund nun über die Zukunft der Kohle einberufen will, wäre dann nicht nötig. Die Sprache der Preise ist klar, ihre Wirkung auch langfristig absehbar. Unternehmen und Beschäftigte hätten Zeit, sich darauf einzustellen.

Verteilungswirkung Nummer zwei ließe sich über die Ausschüttung der Steuereinnahmen bewerkstelligen: einen "Ökobonus". Genau so läuft es in der Schweiz, die seit 2006 eine CO₂-Abgabe auf fossile Heizstoffe erhebt - 96 Franken je Tonne Kohlendioxid. Doch zwei Drittel des Ertrags, immerhin 1,2 Milliarden Franken, werden an die Schweizer zurückerstattet - für jeden der gleiche Betrag. Überwiesen wird er von der Krankenversicherung: letztes Jahr 88,80 Franken, also rund 80 Euro.

Das klimafreundliche Leben muss billiger werden, das klimaschädliche teurer

Als das Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FOES) im vorigen Jahr eine CO₂-Steuerreform in einer Studie für Deutschland durchrechnete, kam es auf ein Steueraufkommen von knapp zehn Milliarden Euro von privaten Haushalten - zu zwei Dritteln wegen höherer Spritpreise, zu einem Drittel wegen der teureren Heizstoffe. Die Studie war von einem einheitlichen CO₂-Preis von 30 Euro ausgegangen. Dieses Aufkommen wiederum ließe sich an die Bürger ausschütten, und zwar an jeden Einzelnen. Im konkreten Fall wären das 120 Euro pro Nase.

Weil einkommensschwächere Haushalte in der Regel weniger Energie verbrauchen als solche mit höheren Einkommen, wären sie auch Gewinner der Reform. Für alle anderen aber wüchse - angesichts teurerer fossiler Brennstoffe - der Anreiz, entweder weniger oder andere Energie zu verbrauchen. Das Ganze ließe sich auch durch eine Senkung der Stromsteuer flankieren: Denn so manche Alternative wird künftig elektrisch laufen, seien es die Wärmepumpen bei Häusern oder aber Elektroautos.

Und auch die Mehrkosten für die Industrie - in der Beispielrechnung gut zwei Milliarden Euro - ließen sich rückerstatten; und sei es als Zuschuss zur Lohnsumme. Auch so ließe sich der Faktor Arbeit im Verhältnis zum Faktor Energie stärken, wie einst bei der ersten Ökosteuerreform.

Die "große Transformation" führen viele im Munde, bis hinauf zur Bundeskanzlerin. Besondere Prophetie verlangt das nicht, denn wenn ein Industriestaat binnen 32 Jahren seine Emissionen um mindestens 72 Prozent senken muss, dann steht am Ende ein anderes Land, mit anderen Häusern, Autos, Fabriken. Doch dieses Land entsteht nicht allein mit Ordnungsrecht und nicht allein aus technologischer Innovation. Es braucht auch klare Preissignale. Oder, um Pigou anders zu wenden: Das klimafreundliche Leben muss billiger werden, das klimaschädliche teurer.

Das verlangt viel Mut und politische Weitsicht. Denn die Profiteure dieser Politik zum großen Teil noch gar nicht geboren sind und die Leidtragenden des Klimawandels so fern leben, dass sich ihre Stimmen kaum vernehmen lassen. Laut aber werden abermals diejenigen sein, die klimaschädlich wirtschaften. Letztendlich geht es darum, Ziele nicht nur in schönen Klimaabkommen und Erklärungen zu bestimmen, sondern sie auch zu verfolgen. Um als Staat Ziele zu erreichen, muss man steuern. Auch mit Steuern.

© SZ vom 12.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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