Der "Autonome Kreis der Jamal-Nenzen" gehört nicht wirklich zu den behaglichen Gegenden dieser Erde. Obwohl doppelt so groß wie Deutschland plus einmal Bayern obendrauf, leben nur eine halbe Million Menschen in dem Landstrich am Polarkreis 3600 Kilometer nordöstlich von Moskau. Der Winter dauert hier bis zu neun Monate, und die Temperaturen sinken weit unter minus 40 Grad. Am 8. Juli 2008 ist der Himmel jedoch blau, und die Sonne scheint.
Der Besucher aus Deutschland trägt trotzdem eine gefütterte Jacke, um den Kopf hat er sich ein weißes Netz wie ein Piratentuch gebunden. Fröhlich wie ein Tourist lacht er in die Kamera. Es ist Wolfgang Heni, der wichtigste Atommanager des deutschen Energiekonzerns EnBW. Er besichtigt an diesem Tag die Gasfelder von Urengoj. Mit dabei: Andrej Bykow, 49.
Vier Jahre später ist Wolfgang Heni, 66, neben dem schillernden Moskauer Lobbyisten Bykow die Schlüsselfigur in der merkwürdigen Russland-Affäre der EnBW. Sie dreht sich um womöglich krumme Geschäfte in dreistelliger Millionenhöhe. Nun hat das Unternehmen Wolfgang Heni auf 93 Millionen Euro Schadenersatz verklagt.
Bis zu seiner Pensionierung 2009 ist der Schwabe mit dem gemütlichem Leibesumfang jahrzehntelang das Gesicht der EnBW und ihrer Vorgängerfirmen in Russland. 1973, mitten im Kalten Krieg, begann Heni damit, dort Uran für deutsche Kernkraftwerke einzukaufen. Unzählige Male bereist er das Land. Er spricht kein Russisch, kennt vor Ort aber Gott und die Welt. An jenem Julitag 2008 in Urengoj besichtigt Heni Gasfelder, die zu den größten dieser Erde gehören. Erdgas für zig Milliarden Euro schlummert hier im Boden. Doch solche Dimensionen bereiten ihm kein Kopfzerbrechen. Wenn er Geschäfte macht, geht es immer um sehr viel Geld.
Kompetenzen maßlos überschritten
Es sind diskrete Geschäfte in einem sensiblen Umfeld. Heni ist einer von drei ehemaligen Topmanagern, die der drittgrößte deutsche Energieversorger EnBW auf Schadenersatz verklagt hat. Ein vierter ist noch in Amt und Würden: Hans-Josef Zimmer, 54, Vorstandsmitglied der EnBW AG. 2010 trat er von seinem Posten in Zusammenhang mit den Russlandgeschäften zurück. Anfang 2012 holte man ihn überraschend zurück. Die Schadenersatzklage gegen ihn verfolgt EnBW dennoch weiter - eine ebenso skurrile, wie einmalige Konstellation.
Bei alledem geht es um fragwürdige Geschäfte mit Andrej Bykow. Im großen Energie-Monopoly um Uran und Gas war Wolfgang Heni - wenn man so will - Bykows wichtigster Spielkamerad.
Als 2009 Prüfer im Auftrag des EnBW-Vorstands das Beziehungsgeflecht zwischen dem Konzern und Bykow untersuchen, stoßen sie ständig auf den Namen Heni. Sie werfen ihm vor, als Geschäftsführer der EnBW-Atomsparte EnKK seine Kompetenzen maßlos überschritten zu haben. Es geht um Lieferungen von Uran aus russischen Militärbeständen, den Rückbau des Kernkraftwerks Obrigheim, Beratungs- und Darlehensverträge, sowie ein geplantes Überwachungssystem für Atomtransporte in Russland namens "Easy-Toll".
Heni, so der Vorwurf, soll mit Bykow eigenmächtig Millionenverträge abgeschlossen und das Geld nicht selten noch am selben Tag überwiesen haben. Von "Vorauszahlungen ohne angemessene Sicherheiten" ist die Rede. Heni und Co. hätten "gegen ihre Sorgfaltspflichten verstoßen", so die Prüfer. Das Schadenersatzverfahren vor dem Landgericht Heilbronn steht noch ganz am Anfang. Ob die EnBW am Ende obsiegen wird, ist allerdings fraglich.