Thomas Enders kennt sich in etlichen Bereichen des Lebens ziemlich gut aus. Von Sicherheitsangelegenheiten versteht der Manager, der im Konzern nur Tom heißt, ganz besonders viel. Über die Sicherheitspolitik der SPD hat er promoviert, er gehörte zum Planungsstab im Bundesverteidigungsministerium und er ist Major der Reserve.
Der 53-Jährige hält, auch weil er die USA mag, schon mal Vorträge vor Soldatenanwärtern an US-Militärakademien. Enders steht zwar im Ruf, ein Draufgänger zu sein, aber selbst seine Gegner meinen, dass der Hobbyflieger und Fallschirmspringer Risiken ganz gut überschauen kann.
Seit Ende Mai ist der Top-Manager Vorstandschef des Luft- und Raumfahrtkonzerns EADS (49,1 Milliarden Euro Umsatz, 133000 Mitarbeiter), und in dieser Eigenschaft hat er diese Woche einen zweiseitigen Brief an die Führungskräfte geschrieben: Erst ging es um Zahlen, Umsätze und Entwicklungen, also das Übliche, dann wies er darauf hin, dass gute Ergebnisse "großartig" seien, "aber nicht zu jedem Preis". Enders verwarnte seine Leute: Das Gesetz zu brechen sei "keine Option". In dem Unternehmen sei kein "Platz für betrügerisches und unethisches" Verhalten - da gebe es "null Toleranz".
Diese Anmerkungen sind eine Reaktion auf einen Vorgang, der für den Konzern noch unabsehbare Risiken birgt. Am Dienstag durchsuchten die Münchner Staatsanwaltschaft und die Polizei im Zusammenhang mit einem von den Strafverfolgern unter dem Aktenzeichen 406 Js 139727/12 frisch eingeleiteten Ermittlungsverfahren die Konzernzentrale von EADS Deutschland und weitere Objekte. Auch in Österreich und der Schweiz erfolgten Razzien. Die Strafverfolger ermitteln grenzüberschreitend wegen eines Milliardengeschäft gegen mindestens dreizehn Beschuldigte. Es geht um Bestechung und Untreue, Geldwäsche und Betrug.
Österreichische Beamte und Politiker sollen geschmiert worden sein
Beim Verkauf von 15 Kampfflugzeugen des Typs Eurofighter Typhoon an das österreichische Heer soll die EADS Deutschland GmbH im vergangenen Jahrzehnt kräftig geschmiert haben. Mindestens 70 Millionen Euro, so der Verdacht der Ermittler, seien auf Umwegen in dunkle Kanäle geflossen. Die Ermittler versuchen, das mutmaßlich korrupte System zu dechiffrieren. Es gibt den Verdacht, dass in Österreich Beamte und vielleicht auch Politiker geschmiert worden sind. Entscheidungsträger jedenfalls.
Europaweit laufen Ermittlungen. Besonders eifrig ist die Wiener Anklagebehörde, die im Vorjahr ein Strafverfahren eingeleitet hat: "Im Rahmen des EADS-Konsortiums wurde eine kriminelle Vereinigung gegründet, um über Scheinverträge Gelder ... für korrupte Zwecke verfügbar zu machen" , notierte die österreichische Justiz. Die Wiener schickten Rechtshilfeersuchen in sieben Länder. Als die Münchner Ermittler vor wenigen Wochen die Bitte um Hilfe auf den Tisch bekamen, leiteten sie gleich ein eigenes Verfahren ein.
Beim Vergleich der Listen der Verdächtigen in Österreich und Deutschland gibt es Überschneidungen bei den Namen, aber auch Unterschiede. Unter den 13 derzeit von der Münchner Staatsanwaltschaft Beschuldigten sind Lobbyisten, stille Vermittler sowie einige EADS-Leute aus der mittleren Ebene. Keine ganz großen Namen, mit einer Ausnahme. Auch ein früherer Top-Manager des Unternehmens ist ins Visier der Ermittler geraten. Da es sich derzeit nur um einen Anfangsverdacht handelt und weil sich nicht absehen lässt, ob der Manager am Ende mitverantwortlich war für all die jetzt schon erkennbaren Tricksereien, veröffentlicht die Süddeutsche Zeitung seinen Namen nicht.
Boeing-Werk in den USA:Wo die Riesenvögel fliegen lernen
Die Arbeiter sehen im Vergleich winzig aus: Aufnahmen aus den Produktionshallen des Flugzeugherstellers Boeing zeigen, wie die großen Maschinen zusammengeschraubt werden.
Aber sein Name lässt ahnen, wo die Affäre enden könnte: Ziemlich weit oben in der alten Zeit, und das könnte dann sehr unangenehm werden: Der Verdachtsfall EADS ist zwar, derzeit zumindest, nicht mit dem Korruptionsfall Siemens vergleichbar. Aber Europas größter Luftfahrtkonzern kämpft ebenso wie Siemens auf dem amerikanischen Markt auch um Staatsaufträge. Derzeit versucht EADS, Hubschrauber an das US-Militär zu verkaufen. Da können Gesetzesverstöße zu ganz großen Hindernissen werden. Wer beim Schmieren erwischt wird, fliegt raus.
Dass die Rüstungsbranche besonders anfällig ist und die Geschäfte dort nicht immer nach den Regeln des ehrbaren Kaufmanns abgewickelt werden, ist kein Geheimnis. Korrupte Staatsbedienstete gehören zu diesem Milieu wie das Krokodil zum Kasperletheater. Die britische Antikorruptionsbehörde Serious Fraud Office ermittelt derzeit wegen Bestechungsverdachts bei einem Milliardengeschäft der EADS-Tochter Astrium in Saudi-Arabien. Da floss Geld auf Konten in die Karibik. Ein bekanntes Muster. Der Verkauf der Eurofighter an Österreich im Jahr 2003 zum Preis von letztendlich 1,7 Milliarden Euro stand sofort unter Schmiergeldverdacht.
Es handelte sich um das größte Rüstungsprojekt der in den vergangenen Jahren ziemlich korruptionsanfälligen Alpenrepublik. EADS bekam gegen härteste Konkurrenz den Zuschlag, und schon früh gab es Hinweise auf Schiebereien. Aber die Ermittler brauchten eine Weile, um die Regeln bei diesem speziellen Eurofighter-Geschäft zu verstehen zu können. Das Zauberwort klang harmlos: "Gegengeschäfte". Beim Eurofighter-Kauf hatte Österreich mit der Eurofighter Jagdflugzeug GmbH vereinbart, dass innerhalb von fünfzehn Jahren Gegengeschäfte in Österreich im Wert von vier Milliarden Euro laufen sollten. Die österreichischen Ermittler hatten früh einen Verdacht, der ins Nichts führte.
Doch dann brachte sie der italienische Finanzjongleur Gianfranco Lande, der seit März 2001 in Rom wegen Anlagebetrug im Gefängnis sitzt, auf eine neue Spur. Lande hatte nach Erkenntnissen der im Jahr 2004 im Auftrag zweier deutscher EADS-Manager in London die Firma Vector gegründet. Inhaber waren zwei Waffenhändler aus Wien. Vector hatte angeblich den Auftrag, die Gegengeschäfte in Österreich zu vermitteln. Lande erzählte den Ermittlern in Rom, wie viel Geld er von EADS bekomme habe, wohin die Millionen angeblich transferiert worden seien, und dass sich auf seinem Computer die Belege dazu fänden.
Das Geld landet am Wörthersee
Die Italiener reichten das Material an die Kollegen in Österreich weiter. Die leiteten ein neues Verfahren ein, bei dem immer mehr merkwürdige Details zutage traten. So war die Vector dem für die Gegengeschäfte zuständigen Wirtschaftsministerium in Wien völlig unbekannt. Stattdessen fanden sich ganz andere Beziehungen, zu offenkundigen Briefkastenfirmen mit Konten in Steueroasen, bei denen das Geld von EADS erst einmal landete. Von dort aus sollen Beamte und Geschäftsleute bedient worden sein. Und Politiker?
Vier Millionen Euro aus dem EADS-Topf sind nach dem Stand der Ermittlungen im Jahr 2006 in Kärntens Hauptstadt Klagenfurt am Wörthersee angekommen. Bei der Privatstiftung "Lakeside", Seeseite, die Gutes für das Land tut. Stiftungszweck: die "nachhaltige Schaffung hochwertiger Hightech-Arbeitsplätze".
Das war natürlich im Interesse des früheren, inzwischen verstorbenen Kärntner Regierungschefs Jörg Haider. Der hatte mit seiner Partei, der rechten FPÖ, ursprünglich heftig opponiert gegen die Anschaffung der Kampfflugzeuge. Nach einer kleinen Weile schwenkte der Kärntner Landeshauptmann um. War das ein abgekartetes Spiel zwischen der EADS-Zentrale in München und Haider? Finanzielle Hilfe für Kärnten gegen politische Hilfe für den Eurofighter? Der Rüstungs- und Luftfahrtkonzern äußert sich zu der Angelegenheit ebenso wenig wie zum ganzen Fall, da es sich um ein laufendes Ermittlungsverfahren handele.
In seinem Rundschreiben betont EADS-Chef Enders, das Unternehmen werde die Ermittlungsbehörden unterstützen. Volle Kooperation mit den Ermittlern gehört zu den Standards, die Amerika Staat erwartet. Von europäischen Lieferanten ganz besonders. Sonst gibt es keine Aufträge.