Rettung des Euro:Seltsame Ruhe in Euro-Land

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Der Euro scheint wieder Stabilität zu gewinnen, der Druck der Finanzmärkte lässt nach. Für die ruhige Lage gibt es zwei Erklärungen. Die erste wäre, dass die Reformen greifen. Die zweite: Euro-Land befindet sich im Auge des Sturms, wo es trügerisch ruhig ist - und in den Staaten bald wieder das Chaos toben könnte.

Alexander Hagelüken

Es ist ruhig geworden in Euro-Land, verdächtig ruhig. Natürlich gibt es immer wieder Debatten, ob die Probleme eines Krisenstaats noch größer sind als bekannt oder ob er zusätzliche Hilfen braucht. Doch der Druck der Finanzmärkte, der Europa so lange in Atem hielt, lässt nach. 7,5 Prozent Zinsen musste Spanien noch Ende Juli neuen Gläubigern bieten, inzwischen sind es weniger als sechs. Bei Italien ist Ähnliches zu beobachten. Irland wiederum robbte vor zwei Jahren als erstes Land unter den Rettungsschirm, heute vertrauen private Investoren Dublin wieder ihr Geld an. Diesen Erfolg meldete diese Woche auch Portugal, zu bezahlbaren Zinsen.

Finanzmärkte funktionieren stark über Psychologie und Herdentrieb. Jahrelang liehen Investoren Südeuropa trotz der Defizite billig Geld, jetzt übertreiben sie ihr Misstrauen, weil sie die fundamentalen Reformen ignorieren. (Foto: dapd)

Wenn die Lage ruhig erscheint, gibt es dafür zwei Erklärungen. Die erste wäre, dass die Reformen und Hilfen zu wirken beginnen und die Währungsunion auf dem Weg der Besserung ist. Die zweite Erklärung: Euro-Land befindet sich im Auge des Sturms, wo es trügerisch ruhig ist - bald wird die Staaten wieder das Chaos umtoben. Diese Skepsis, die in Deutschland verbreitet ist, hat einen selbstverstärkenden Effekt: Wenn viele glauben, dass es schlimm werden muss, handeln sie entsprechend und steigern die Wahrscheinlichkeit, dass es schlimm wird.

Vieles spricht dafür, dass nicht das Katastrophenszenario zutrifft, sondern dass Euro-Land tatsächlich, wenn auch zaghaft, auf dem Weg der Besserung ist.

Wie sieht es denn aus? Einige Staaten vor allem in Südeuropa lebten in der ersten Euro-Dekade über ihre Verhältnisse. Die durch Banken ausgelöste Finanzkrise brachte diese Misswirtschaft zum Kippen. Unter hartem Druck haben Irland und Italien, Spanien und Portugal ihre Löhne, Renten und Defizite reduziert. Dieser Prozess schmerzt, aber er muss noch weitergehen, unterstützt durch den Euro-Rettungsschirm.

Weil zahlreiche Investoren noch misstrauisch sind, springt zusätzlich die Europäische Zentralbank ein. Deren Finanzmittel sind unerschöpflich, sodass Spekulanten gegen den Euro vorsichtig werden - und die Zinsen der Krisenstaaten auf bezahlbare Höhen sinken. Kritiker monieren, die EZB manipuliere die Zinsen, die dauerhaft hoch sein müssten, weil die Staaten eben schlecht gewirtschaftet hätten. Das ist eine Marktgläubigkeit, die mit dem tatsächlichen Verhalten der Investoren wenig zu tun hat. Handelten die Märkte vollends rational, als sie US-Immobilienpapiere in den Himmel spekulierten, bis die Finanzkrise ausbrach? Handelten danach die Banken rational, als sie sich keinen einzigen Euro mehr liehen?

Finanzmärkte funktionieren stark über Psychologie und Herdentrieb. Jahrelang liehen Investoren Südeuropa trotz der Defizite billig Geld, jetzt übertreiben sie ihr Misstrauen, weil sie die fundamentalen Reformen ignorieren. Ist es wirklich gerechtfertigt, Spanien keine Anleihen abzukaufen, aber ohne jeden Zweifel US-Staatsanleihen aufzusaugen, obwohl Amerikas Schulden auf 100 Prozent der Wirtschaftsleistung steigen?

Es spricht viel dafür, dass sich Investoren an Institutionen orientieren, die ein klares Signal geben. Die Europäische Zentralbank gibt dieses Signal: Sie unterstützt die Reformen der Krisenländer - und verschafft ihnen damit die Zeit, ihren mühseligen Prozess zu absolvieren, ohne dass das Geld ausgeht und die Bürger Straßenschlachten anzetteln. Sie zeigt, dass der Euro nicht auseinanderbrechen muss, wenn sich die Wirtschaftspolitik seiner Mitglieder annähert.

Es ist zu erwarten, dass sich viele Investoren an diesem klaren Signal für die Währungsunion orientieren, das der Euro-Kakophonie der Regierungschefs fehlte. Es gibt geschichtliche Vorbilder: Nach der Finanzkrise stabilisierte die US-Notenbank das Geldsystem und verhinderte Schlimmeres. Anders lief es nach Ausbruch der Depression in den dreißiger Jahren: Die Notenbanken standen abseits und ließen die Welt ins Chaos driften.

Natürlich kann die EZB auf Dauer keinen Trend vorgeben, der der wirtschaftlichen Leistung der Krisenstaaten widerspricht. Nur wenn Südeuropa den Reformprozess fortsetzt, wird es das Vertrauen von Anlegern grundsätzlich zurückgewinnen. Es kommt jetzt auf die Bürger und Politiker in Italien, Spanien und anderswo an, ob der Euro bleibt - alles andere wäre eine Illusion.

Die Notenbanker greifen in der Übergangsphase ein und gehen hohe Risiken ein. Wenn die Krisenstaaten zurückfallen und gar auf eine Pleite zusteuern, verlieren die Steuerzahler viele Milliarden. Deshalb ist es so wichtig, dass Spanien und die anderen Krisenländer nur dann Anleihen an die Zentralbank loswerden, wenn sie strikte Auflagen einhalten. Die Regierung in Madrid muss unter den Rettungsschirm, selbst wenn dies dem stolzen Premierminister Mariano Rajoy noch so missfällt. Die Euro-Regierungen müssen alle Versuche abwehren, mit Tricks an Hilfsgelder zu kommen.

Wenn die Zentralbank nur Länder stützt, die reformieren, dann begrenzt sie die Risiken für die Steuerzahler. Dann begleitet sie den Modernisierungsprozess, ohne zum Dauerklempner der Währungsunion zu werden. Dann könnte die umstrittene Strategie von EZB-Präsident Mario Draghi zum Erfolg werden.

In einem haben die Kritiker allerdings recht: Die Risiken sind gewaltig. Doch es war gut, dass Draghi gehandelt hat. Ein Kollaps des Euro wäre so teuer, dass die Rettung die bessere Alternative ist.

© SZ vom 22.09.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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