Andreas May weiß genau, wie wichtig Anonymität sein kann. Auf Facebook ist er nicht zu finden. "Nein, das wäre nicht sehr klug, dort unter meinem Klarnamen zu agieren", sagt der Oberstaatsanwalt. Denn Freundschaftsanfragen könnten für einen, der Verbrecher jagt, doch schnell unerfreulich werden. May leitet die Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität in Gießen. Anonymität ist für ihn allerdings dann ein Ärgernis, wenn seine Gegenspieler sie in Anspruch nehmen - wie im Darknet. Dort handeln Kriminelle mit Kinderpornografie, Waffen und Drogen und sind verdammt schwer aufzuspüren, wie May sagt.
May, ein schlagfertiger Mann mit Glatze, sitzt auf einem Podium der Republica, der größten deutschen Digitalkonferenz in Berlin. Hier in einer Halle am stillgelegten Postbahnhof in Kreuzberg wird über das Darknet diskutiert, ohne jene Panik, mit der sich die meisten Politiker und Journalisten sonst dem Thema widmen. Das Darknet ist der Teil des Internets, der nur mit einem speziellen Browser zu erreichen ist. Er verschleiert, wer welche Seiten besucht und wo die Inhalte liegen. Und das Darknet hat - wegen der Verbrecher, die es nutzen - ein schlechtes Image.
Den Begriff "Darknet" nutze in Syrien niemand
Doch es ist auch ein Raum, in dem Menschen vor brutaler staatlicher Verfolgung geschützt sind. So wie Ahmad Alrifaee. Der 25-jährige Journalist aus Syrien sitzt neben May, auch er nutzte die Technik, aber er sagt lachend: "Diese andere Welt im Darknet kenne ich gar nicht. Das ist für Waffen und Drogen." Er dagegen wollte die Welt über den Krieg aufklären, den das syrische Regime gegen die eigene Bevölkerung führt. Er dokumentierte den Krieg, schickte Videos aus dem Land. Wer das tue, müsse online anonym bleiben: "Es gibt Menschen, die ohne Darknet gearbeitet haben, aber innerhalb einer Woche oder noch am gleichen Tag verhaftet wurden." Den Begriff "Darknet" nutze in Syrien niemand.
Um sicherer zu arbeiten, betrieb Alrifaee gemeinsam mit 250 Aktivisten einen eigenen VPN-Server. Die Abkürzung steht für Virtual Private Network, eine Technik, die es Internetnutzern ermöglicht, ihren Standort zu verschleiern und staatliche Zensur zu umgehen, etwa wenn die Regierung Youtube blockiert.
Das Darknet sei "völlig zensurresistent", sagt Daniel Moßbrucker. Der Journalist ist Referent für Internetfreiheit bei Reporter ohne Grenzen und erklärt: "Dinge könnten nicht gelöscht werden, weil niemand weiß, wer welche Server betreibe und überhaupt Ansprechpartner für die Behörden wäre, die Inhalte löschen wollten." Und das sei gut so: "Solange wir in einer Welt mit autoritären Systemen leben, muss es das geben."
Das Tor-Netzwerk, über das Inhalte im Darknet erreicht werden kann, besteht aus mittlerweile mehr als 7000 Knotenpunkten, über die Daten geleitet werden, bis ihr Ursprung und ihr Ziel nicht mehr zu erkennen sind. Bis zu zwei Millionen Menschen surfen dort gleichzeitig. Der Tor-Browser, der anonymes Surfen ermöglicht, sieht aus wie ein Firefox für Arme, macht das Surfen quälend langsam - aber leitet die Informationen so oft um, dass Überwacher nicht mehr durchblicken.
Staatsanwalt May erklärt, warum das Darknet für Ermittler eigentlich zum Verzweifeln sei: "Technisch ist für uns bei Tor überhaupt nichts zu machen. Da ist Ende. Ob das für amerikanische Geheimdienste auch gilt, weiß ich nicht." NSA und FBI haben Tor tatsächlich schon mehrfach geknackt. Deutsche Ermittler müssten oft darauf hoffen, dass die US-Behörden Daten teilen. Zu der Taktik des FBI, selbst Kinderporno-Seiten übernehmen und Schadsoftware auf den Computern von Besuchern der Seite zu installieren, sagt May: "Das wäre uns komplett verboten."
Aber auch ohne Hilfe aus dem Ausland fassen May und seine Kollegen Käufer und Verkäufer aus dem Darknet. Das liege meist an den Kriminellen selbst: "Ich könnte flapsig sagen: Wir fangen nur die Doofen."
May weiß offensichtlich, dass ihm die Zuschauer skeptisch gegenüberstehen
"Diese Waffenverkäufer haben sich persönlich mit uns getroffen, um die Waffen zu übergeben." Zuvor hätten die Ermittler Accounts einzelner Käufer übernommen - auch, indem sie ihnen Kronzeugenregelungen anboten. Weil die meist keine Berufskriminellen waren, willigten sie ein: "Das waren teilweise relativ unbedarfte Menschen."
May weiß offensichtlich, dass ihm die Zuschauer skeptisch gegenüberstehen, schließlich haben die digitalen Bürgerrechtler, die sich auf der Republica treffen, ein feines Gespür für den Überwachungsstaat. Wenn er sagt: "Warum sollten Sie mit Tor Ihren Traffic verlangsamen, wenn Sie nichts Illegales tun? Es gibt keine flächendeckende Massenüberwachung", dann lacht der Saal höhnisch.
May probiert es dann selbst mit Humor, zum Beispiel, wenn er erzählt, was so alles im Darknet angeboten werde: "Halbautomaten, Vollautomaten (er meint Waffen, Anm. d. Red.), Sprengstoff, Plutonium - da würde ich bei der Bestellung auf die Verpackung achten. Wenn die Packstation ein bisschen gelber ist als sonst: Großen Bogen drum herum machen!" In diesem Fall erntet er freundliche Lacher.
Für Moßbrucker ist das Darknet schlicht die Zukunft des Internets: "Es werden immer mehr Menschen ins Darknet abwandern, weil alle immer stärker überwacht werden - und weil die Technologie einfacher zu bedienen sein wird."