Altersvorsorge:Rente im Selbstversuch

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Die drei getesteten Berater nehmen sich Zeit und reden viel - ein optimales Ergebnis für den Kunden liefert aber keiner von ihnen. Illustration: Stefan Dimitrov (Foto: N/A)

Ein Berufseinsteiger lässt sich bei verschiedenen Banken zur Altersvorsorge beraten. Alle drei Kandidaten nehmen sich viel Zeit - und zeigen dann doch gravierende Schwächen.

Von Benedikt Müller

Da hat Ihr Vater recht", sagt der Bankberater feierlich: "Wer sich auf die gesetzliche Rente verlässt", kurze Kunstpause, "der wird irgendwann verlassen sein." Der Commerzbank-Mitarbeiter läuft kurz zum Drucker, um die ersten Unterlagen zu holen. Sein Kunde will nämlich wissen, was er heute tun kann, damit die Lücke später nicht so groß wird. Später, wenn er in Rente geht.

Vor dem Berater sitzt: ein Berufsstarter, Mitte 20, der nach dem Studium sein erstes Geld verdient. Jetzt solle er sich mal beraten lassen, habe sein Vater gesagt, einen ersten Schritt in Richtung Altersvorsorge machen. Jeden Monat könnte der Kunde 200 Euro zur Seite legen. Bislang habe er weder eine Lebensversicherung noch einen Bausparvertrag. So weit das Szenario.

Es ist ein Selbstversuch, der in zufällig ausgewählten Filialen der Commerzbank, der Sparkasse und der Versicherung HUK-Coburg stattfindet. Drei beispielhafte Beratungen, die für das Problem einer Generation stehen: Wer heute anfängt zu arbeiten und sich auf die gesetzliche Rente verlässt, dem droht im Alter eine finanzielle Lücke. Statistisch gesehen versorgen heutzutage drei Berufstätige einen Rentner. Bis 2050 werden es 1,5 Berufstätige sein - das Rentenniveau wird sinken. Zudem sind die Zinsen so niedrig, dass sich klassische Sparprodukte kaum rentieren. Viele Menschen haben also großen Beratungsbedarf. Banken und Versicherungen bieten Hilfe an. Doch wie nützlich sind solche Gespräche?

Der Commerzbank-Berater versucht zunächst vergeblich, dem Kunden ein Girokonto schmackhaft zu machen. Dann speist er den Computer: Adresse, Geburtstag, Gehalt, Miete, Lebenskosten. Der Rechner spuckt eine düstere Prognose aus: Wenn der Kunde in den Ruhestand geht, wird die gesetzliche Rente nur die Hälfte seines letzten Gehalts abdecken. Jeden Monat könnten deutlich mehr als 2000 Euro zum Leben fehlen. Was tun?

Der Banker empfiehlt, 125 Euro pro Monat in eine Riester-Rente "Index-Select" der Versicherung Allianz zu zahlen. Jahr für Jahr könne der Sparer auswählen, ob seine Anlagen festverzinst werden sollen oder ob die Rendite von der Entwicklung des Euro-Stoxx abhängen soll, des Aktienindex mit den 50 größten europäischen Firmen. Die Versicherung garantiert, dass der Sparer nie Verluste macht, auch wenn der Index sinkt. Im Gegenzug bekommt er immer nur eine Höchst-Rendite, selbst wenn der Index stark steigt. Es ist ganz schön kompliziert. Am Ende steht eine "modellhaft berechnete" Zusatzrente von 1073 Euro pro Monat - falls die Anlagen im Schnitt sechs Prozent Rendite pro Jahr abwerfen.

Für weitere 71 Euro pro Monat könne der Kunde eine Berufsunfähigkeitsversicherung abschließen. Sie sichere gegen Nervenkrankheiten, Bandscheibenvorfälle und sonstige Rückschläge ab. Nach anderthalb Stunden Beratung hat der Sparer seinen "persönlichen Vorsorgeplan" in der Hand und allerlei Datenschutzformulare unterschrieben. Nur: War das jetzt gut?

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Renditeannahmen sind kaum zu schaffen

Andreas Beck, Leiter des Instituts für Vermögensaufbau in München, sieht viel Licht und viel Schatten. Die Aufteilung auf Berufsunfähigkeits- und Riester-Rente sei nachvollziehbar, sagt der Wissenschaftler. Die empfohlene Rente verursache aber hohe Kosten für den Sparer. "Index-Select ist ein ungewöhnlich komplexes und teures Produkt", sagt Beck. "Es wäre eine Doktorarbeit wert, aufzudröseln, wer daran wie viel verdient." Allein der Abschluss der Versicherung kostet 1660 Euro - die müsste der Kunde erst mal reinholen. Und wenn er das Geld wirklich auf Festverzinsung und Euro-Stoxx aufteilt, wären sechs Prozent Rendite zurzeit kaum zu schaffen.

Die Commerzbank verteidigt auf Nachfrage die Kostenstruktur der Index-Select-Rente. Effektiv lägen die Kosten bei 0,74 Prozent pro Jahr; diese Quote sei "marktgerecht". Und bei Riester-Produkten sei nun mal garantiert, dass der Sparer mindestens seine eingezahlten Beiträge zurückerhalten muss; diese Sicherheit gehe zulasten der Rendite.

Ob eine Sparkasse, die ja der Stadt und somit den Bürgern gehört, ihre Kunden anders berät? Zumindest geht es hier am freundlichsten zu: Die Beraterin fragt nicht nur nach dem Lebenslauf ihres Kunden, sondern stellt gleich ihren eigenen vor. Ein "alter Sparkassen-Hase" sei sie. Zum Kaffee gibt es einen Keks mit dem Sparkassen-Logo. Dann speist die Beraterin ihren "Altersvorsorge-Rechner" mit Einkommen und Zielen des Sparers. Auch sie rät, den Sparbetrag aufzuteilen: Der Großteil solle in ein sicheres Produkt fließen. Dafür empfiehlt sie eine Riester-Rente der Versicherungskammer Bayern. Jeden Monat sollen 117 Euro eingezahlt werden. Die würden zur Hälfte festverzinst, zur anderen Hälfte in einen Dachfonds fließen, der das Geld auf mehrere Produkte weltweit verteilt. Welche Fonds das sein sollen, könne der Sparer theoretisch selbst aussuchen, aber das sei "sehr schwierig", dazu müsse man sich gut auskennen. Am Ende springt eine voraussichtliche Zusatzrente von 448 Euro pro Monat heraus. Alternativ empfiehlt die Beraterin eine Privat-Rente ohne Riester-Förderung. Damit landet man ebenfalls bei 446 Euro pro Monat - die staatliche Förderung scheint dem Kunden nicht viel zu bringen.

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Auch für den restlichen Sparbetrag macht die Beraterin zwei Vorschläge: entweder eine weitere Versicherung, die bei 98 Euro Monatsbeitrag voraussichtlich 888 Euro Zusatzrente im Alter beschert - allerdings nur, wenn die Anlage im Schnitt sechs Prozent Rendite pro Jahr abwirft. Eine "sehr sportliche" Annahme, wie die Beraterin einräumt. Alternativ könnte der Kunde auch regelmäßig in drei oder vier Fonds einzahlen, die das Geld in unterschiedlichen Märkten anlegen. Dies müsste man aber in einem separaten Termin klären, vertröstet die Beraterin. Denn nach anderthalb Stunden Gespräch erwartet sie ihren nächsten Kunden.

Dachfonds gehören zu den teuersten Produkten überhaupt

Die Beratung war ausführlich, keine Frage. Doch auch hier kritisieren Experten unnötig hohe Kosten für den Sparer. "Abschlusskosten von 1800 Euro sorgen dafür, dass die Rendite erst nach zehn Jahren ins Positive dreht", sagt Niels Nauhauser von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Die empfohlenen Dachfonds gehören zu den teuersten Produkten überhaupt: Sie bezahlen Fondsmanager dafür, dass sie das Kundengeld auf andere Fonds verteilen, deren Manager wiederum Verwaltungskosten verursachen. Das Urteil des Verbraucherschützers: "Von effizienten Produkten keine Spur."

Dass es auch anders geht, zeigt bei dieser kleinen Stichprobe der Vertreter der Versicherung HUK-Coburg. Zunächst zeichnet er eine halbe Stunde lang das große, düstere Bild der Altersvorsorge: Schon zu Adenauers Zeiten habe man gewusst, dass die Renten ab der Jahrtausendwende bedrohlich sinken würden. Doch nun sei auch noch dermaßen viel Geld im Markt, dass die klassischen Lebensversicherungen, die der Vertreter jahrzehntelang verkauft hat, nichts mehr abwerfen. Da helfe nur eins: in Aktien zu investieren. Der Vertreter empfiehlt, die ganzen 200 Euro pro Monat in eine ETF-Fondsrente zu investieren. Dieses Produkt bildet die Entwicklung eines Aktienindex nach, verursacht deshalb weniger Verwaltungskosten.

Die Rente hängt stark von der Entwicklung des Index ab

Dafür gibt es Lob von Wissenschaftler Beck: "Es ist erfreulich, dass die HUK-Coburg eine ETF-Police und kein teures, aktiv gemanagtes Produkt empfohlen hat." Welche Zusatzrente dabei herausspringt, hängt hier stark von der Entwicklung der Aktienmärkte ab. Bei drei Prozent jährlicher Rendite wären es am Ende 750 Euro pro Monat. Doch diese Annahme sei "unrealistisch" niedrig, sagt der Vertreter. Bei sechs Prozent Rendite komme man schon auf 1550 Euro Zusatzrente.

Doch dann macht der Vertreter, der in seinem hellgelben Büro wirklich alles verkauft, von der Auto- bis zur Rentenversicherung, eine umstrittene Empfehlung: In welchen ETF man nun investiere, ob in den Dax oder in einen weltweiten Index, sei langfristig egal. Der Berater würde den Dax empfehlen; die Firmen kenne man wenigstens. Experten raten dagegen, das Anlage-Risiko auf möglichst viele Regionen der Welt zu streuen. "Der Vertreter hat kein vernünftiges Portfolio empfohlen, wenn er dazu rät, sämtliches Geld in einen Dax-ETF anzulegen", sagt Beck. Diese Beratung hatte somit vor allem ein Risikoproblem.

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Die HUK-Coburg nimmt auf Nachfrage ihren Vertreter in Schutz. "Mit den 30 größten börsennotierten Unternehmen einer der führenden Industrienationen der Welt lässt sich durchaus von einer breiten Risikostreuung reden", teilt die Versicherung mit. Zudem könne der Kunde jederzeit in einen anderen Fonds wechseln, wenn es ihm nötig erscheine.

Fast zwei Stunden dauert das Gespräch an jenem Abend bei HUK-Coburg. Keine Frage: Alle drei Berater haben sich Zeit genommen. Doch die vielen Zahlen, Annahmen und Möglichkeiten sind ganz schön ermattend. Spaß macht es nicht, sich heute mit einer Versorgungslücke zu beschäftigen, die erst in Jahrzehnten droht.

Und dann ist da noch diese Unsicherheit: Wäre es nun falsch gewesen, vertrauensvoll den Tipps der Berater zu folgen? "In allen drei Beispielen ist der ernstzunehmende Versuch einer guten Beratung erkennbar", resümiert Wissenschaftler Beck. "Aber es wurden fast ausschließlich unnötig teure Produkte empfohlen." Sowohl Beck als auch Verbraucherschützer Nauhauser vermissen echte Produkte zum Vermögensaufbau: Warum hat man dem Sparer nicht empfohlen, zunächst sein Geld zu vermehren, etwa mit einem günstigen Fondssparplan? Dann hätte er immer noch entscheiden können, ob er die Ersparnisse im Alter verrenten lässt oder sie vielleicht doch für eine Immobilienfinanzierung oder aber für eine Weltreise nutzt.

Nauhauser führt dies auf eine Vertriebsstrategie zurück. "In den Gesprächen wurden Rentenversicherungen empfohlen, weil die Banken damit bei Abschluss eine hohe, einmalige Vertriebsprovision erhalten", sagt der Verbraucherschützer. "Hätten die Banken dagegen Produkte zum Vermögensaufbau angeboten, zum Beispiel einen Fondssparplan, hätten sie nicht auf einen Schlag so viel Geld verdienen können." Die Bankberater seien nun mal keine Berater, sondern Verkäufer, betont Nauhauser. "Und das wird auch so bleiben, wenn die gesetzlichen Rahmenbedingungen sich nicht ändern."

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Reicht die Rente in Zukunft zum Leben? Wie kann ich zusätzlich vorsorgen? Wie ändert sich das Leben alter Menschen? Die SZ-Serie "Unsere Zukunft, unsere Rente" beschäftigt sich mit den wichtigsten Aspekten des Ruhestands.

© SZ vom 25.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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