Juni 2022 in einem der heruntergekühlten WM-Stadien in Doha: Qatar-Airways-Chef Akbar Al Baker hält die Eröffnungsrede für die Jahresversammlung der International Air Transport Association (IATA). Die meisten Fluggesellschaften hätten ihre Passagiere während der Corona-Pandemie im Stich gelassen, erklärte er seinem erstaunten Publikum. Qatar Airways hingegen habe Verbindungen in alle Welt aufrechterhalten. Noch während der Rede standen einige der Kollegen auf und gingen aus Protest. Al Baker ließ sich nichts anmerken und ließ anschließend Jennifer Lopez auftreten. Die hatte er samt Band für einen 45-Minuten-Auftritt aus den USA einfliegen lassen.
Man kann also nicht behaupten, dass Al Baker ein Mann der Kompromisse und des Ausgleichs war. Intern war der 62-Jährige ein eisenharter Alleinherrscher, extern stellte er seine Geschäftspartner auch gerne bloß - Airbus-Leute können dazu Dutzende nicht so erfreuliche Anekdoten erzählen. Er verweigerte schon einmal die Abnahme seines ersten Airbus-Langstreckenjets A350, weil ihm der Farbton eines Teppichs an einer kleinen Stelle nicht gefiel. Ein bereits komplett vorbereiteter Galaabend für Hunderte Gäste in Toulouse musste abgesagt werden. Doch das mit dem Herrschen und den Anekdoten ist jetzt vorbei: Qatar Airways kündigte in einer kurzen Mitteilung an, dass Badr Mohammed al-Meer vom 5. November an neuer Vorstandschef wird. Die Ära Al Baker ist nach 27 Jahren beendet.
Das Aus Al Bakers zeichnete sich auch aus anderen Gründen schon seit Monaten ab, so heißt es aus informierten Kreisen. Aufsichtsratschef Saad Sherida al-Kaabi - in Personalunion auch Energieminister und Chef des mächtigen Öl- und Gaskonzerns Qatar Energy - forderte wohl seit einiger Zeit, dass Al Baker eine zeitgemäße Corporate Governance bei seiner Airline installiere, in der die Aufgaben und Verantwortung auf mehrere Köpfe verteilt werden. Dazu war Al Baker offenbar nicht mehr bereit. Nachfolger al-Meer war bislang operativer Chef des Flughafens von Doha, ein Insider also, den aber außerhalb Katars selbst in der Branche kaum jemand kennt.
In Al Baker verlässt eine der umstrittensten, aber auch einflussreichsten Figuren weltweit die Luftfahrtindustrie. 1997 rückte der damals 35-Jährige an die Spitze einer Mini-Fluggesellschaft mit ein paar Flugzeugen, die international keine Rolle spielte. Er bekam das Mandat, ähnlich wie Emirates in Dubai ein Mega-Drehkreuz aufzubauen, und durfte sehr zum Ärger der Lufthansa, die über die aus ihrer Sicht unfairen Wettbewerbsbedingungen schimpfte, locker einen hohen zweistelligen Milliardenbetrag in Flugzeuge und alles, was eine Airline braucht, stecken. Unter Al Baker wurde die Airline auch eine ganz große Nummer im Sponsoring, unter anderem als Sponsor bis Sommer 2023 beim FC Bayern München. Geld schien keine Rolle zu spielen, Wachstum eine umso größere, und so gewann die Airline Preise um Preise für ihr gutes Bordprodukt.
Aber alle haben irgendwann öffentlichen Streit mit ihm aushalten müssen. "Boeing hat klar versagt", erklärte Al Baker 2010 wegen der Verspätungen beim Langstreckenflugzeug 787 und kaufte mehr Flugzeuge bei Konkurrent Airbus. Gut zehn Jahre später stritt er mit Airbus über Mängel an der Rumpfoberfläche etlicher seiner A350-Jets, weigerte sich, fertige Flugzeuge zu übernehmen, zog vor Gericht und verlangte mehr als eine Milliarde US-Dollar als Entschädigung. Airbus annullierte daraufhin alle ausstehenden Aufträge. Die Geschichten wurden immer wilder, und wer nicht betroffen war, für den waren sie äußerst unterhaltsam.
Doch in Katar selbst kam die ständige Eskalation trotz aller unbestreitbaren Verdienste um die Airline offenbar nicht mehr so gut an. Am Ende gab es dem Vernehmen nach eine klare politische Ansage des Emirs von Katar, den Konflikt zu beenden. Und Al Baker war auch in der Heimat geschwächt. Am vergangenen Sonntag wurde er schon als Chef der katarischen Tourismusorganisation ersetzt, einen Tag später bei Qatar Airways. Es sei "die größte Ehre im Leben" gewesen, "meinem Land zu dienen", ließ Al Baker wissen.