Politikersprache:Auch die "Höchstspeicherfrist" beschneidet Rechte

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Wortakrobat: Bundesjustizminister Heiko Maas (Foto: REUTERS)
  • Justizminister Heiko Maas nennt die Vorratsdatenspeicherung "Höchstspeicherfrist".
  • Derartige Wortneuschöpfungen sind Euphemismen und sollen beschönigen.
  • Ob die Taktik aufgeht, hängt von den tatsächlichen Verhältnissen ab.

Von Hermann Unterstöger

Ein paar Tage nach Ostern stellte Bundesjustizminister Heiko Maas die neuen Leitlinien "zur Einführung einer Speicherpflicht und Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten" vor, und man kann, jenseits einer fachlichen Wertung dieser Leitlinien, jetzt schon sagen, dass er uns mit dem Terminus Höchstspeicherfrist ein ganz rares Ei ins Nest der politischen Sprache, Unterabteilung Euphemismen, gelegt hat. Die Kritiker haben das Überraschungsei unverzüglich herausgeholt und sind sich weitgehend einig, dass uns unter dem Begriff Höchstspeicherfrist das Gleiche aufs Auge gedrückt werden soll wie unter dem Vorläuferbegriff Vorratsdatenspeicherung: eine Beschneidung unserer Rechte.

Freunde der Wortbildung werden den neuen Terminus ähnlich misslungen finden wie den alten. Schon vor Monaten wurde ein SZ-Leser in der Redaktion vorstellig und fragte, welche Vorräte mit einem Titel wie "Merkel will Vorratsdaten speichern" denn gemeint seien: "Lebensmittel? Heizöl? Spermavorräte von Samenbanken?" In der Tat werden bei diesem Vorgang keine Vorratsdaten gespeichert, sondern Daten auf Vorrat, weswegen die Vorratsdatenspeicherung besser Datenvorratsspeicherung genannt werden sollte.

Ähnlich sind Heiko Maas' Textarbeiter mit der Höchstspeicherfrist in die Wortbildungsfalle getappt. Es handelt sich um ein Determinativkompositum, dessen zweiter Teil durch den ersten definiert und eingeschränkt wird. Unter den vielen Fristen - der Schonfrist, der Gewährleistungsfrist, der Verjährungsfrist - wäre die Höchstspeicherfrist demnach die Frist, binnen deren Höchstspeicher sagen wir mal vom TÜV überprüft werden müssen. Doch was sind Höchstspeicher?

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"In offizieller Funktion wird's plötzlich scheiße"

Nach einem nicht nur "gefühlten", sondern durch zahllose linguistische Arbeiten unterfütterten Vorurteil verhält es sich mit der Sprache der Politik respektive der Politiker so, wie der Blogger Erik Flügge das jetzt für die Sprache der Kirche, also der Geistlichen, konstatiert hat. "Wenn man mit euch ein Bier trinkt, dann klingt ihr ganz normal", schrieb er, "sobald ihr in einer Kirche in offizieller Funktion sprecht, wird's plötzlich scheiße." Sie sollten, meint Flügge, um Abstrakta wie Ganzheitlichkeit einen weiten Bogen schlagen, schließlich habe sich Jesus, ihr Chef, "doch auch Mühe gegeben, irgendwie verständlich zu sein".

Einen Chef wie Jesus haben die Politiker nicht, doch dass sie auch ohne einen solchen beim Bier anders reden können als im Parlament, weiß man. Nichtsdestoweniger ist vieles von dem, was offiziell formuliert wurde, längst auf den Tresen und die Biertische hinübergeschwappt. Wer dort das außerordentlich seltsame Wort Ehegattensplitting gebraucht, wird meist für einen Kenner der Besteuerung von Eheleuten gehalten. Käme jedoch einer hinzu, der die vergangenen Jahrzehnte auf dem Mond verbracht hat, so würde der denken, dass hier über eine grausige Art der Scheidung geredet werde.

Wenn stimmt, was von vielen befürchtet wird, nämlich dass die Privatsphäre des unbescholtenen Bürgers via Vorratsdatenspeicherung alias Höchstspeicherfrist angebohrt werden soll, wären beide Begriffe klassische Beispiele einer euphemistisch vernebelnden, den wahren Tatbestand verhehlenden Sprache. Wertfrei gelesen wirken sie ja unverdächtig und solide, man könnte an Dinge wie mündelsichere Papiere denken, bei denen freilich schon der Dichter Wolfgang Hildesheimer rätselte, was es mit dem anheimelnden Prädikat mündelsicher auf sich hat: Sind die Papiere für die Mündel sicher oder vor ihnen.

Bei den Wörtern Vorratsdatenspeicherung und Höchstspeicherfrist kommen solche Bedenken erst gar nicht auf. Im bibelfesten Leser leuchten möglicherweise Bilder aus früher Kindheit auf. Er sieht Joseph, den Sohn Jakobs, der vom Pharao mit dem Management der Nahrungsvorsorge betraut wird und der die Herausforderung mittels einer Vorratshöchstspeicherung meistert, dazu vielleicht sogar Leitlinien erlässt, die in der Genesis nur aus Platzgründen nicht wiedergegeben werden. Übertrüge man diese schöne Geschichte auf die Gegenwart, könnte man die beiden Begriffe so deuten, dass der Staat jetzt, in den fetten Jahren, unsere Kommunikationsdaten einsammelt und speichert, damit wir in allfälligen mageren Jahren auch noch was zu "beißen" haben.

Beschönigungen aus Takt - oder aber aus Zimperlichkeit

Nicht jeder Euphemismus ist verlogen oder gar schurkisch. Man kann ihn aus Respekt vor sozialen Normen verwenden oder weil man die Gefühle anderer schonen will, etwa wenn man am offenen Grab davon spricht, dass der Tote heimgegangen sei. Auch da passiert es natürlich, dass Spötter einander zuzwinkern, aber generell gelten solche harmlosen rhetorischen Figuren als durchaus erwünschtes soziales Schmiermittel. Grenzwertig wird es in den Augen mancher, wenn aus übertriebener Korrektheit sprachliche Rücksicht genommen wird, ohne dass diese nötig wäre. Im Zug dieser Zimperlichkeit wurde der ehrbare Lehrling zum exotischen Azubi und die dito Putzfrau zur Raumpflegerin - ein Titel, dessen ranzige Würde durch die Parkettkosmetikerin parodistisch weitergeführt und bloßgestellt wurde.

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Wie immer es mit dem Datenspeichern weitergeht: Es wird nicht ohne Wortakrobatik zu machen sein, und man darf gespannt sein, ob das Wortfeld Vorrat/Speicher weitere Früchte trägt. Geschichte und Systematik des Euphemismus lassen die Vermutung zu, dass es zu einer "Kette" von beschönigenden Ausdrücken kommt. Man kennt diese Kettenbildung von Euphemismen, die ihren Job als "Hehlwörter" zunächst tadellos erfüllten, irgendwann aber semantisch dermaßen absackten, dass sie durch einen Nachfolge-Euphemismus ersetzt werden mussten. Beispiele dafür gibt es zur Genüge, etwa den Schulversager, der zunächst zum Bildungsfernen aufgestuft wird, um irgendwann als ein vom Bildungssystem nicht Erreichter seiner ungewissen Zukunft entgegenzuwanken.

Warum dieses ständige Aufbessern und Verlängern der Euphemismus-Ketten? In der Euphemismus-Tretmühle richtet man sich nach dem Gesetz, wonach Euphemismen die negative Konnotation ihres Vorgängerausdrucks annehmen, solange sich die tatsächlichen Verhältnisse nicht ändern. Es liegt also an dem Projekt des Datensammelns selbst, ob es mit Begriffen wie Vorratsdatenspeicherung und Höchstspeicherfrist nun ein Ende hat oder nicht.

© SZ vom 05.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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