Fairer Handel:Der Mann, der den Jutebeutel nach Deutschland brachte

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Kaffee aus Nicaragua gehörte zu den Produkten, mit denen der faire Handel begonnen hat. (Foto: Susana Gonzalez/Bloomberg News)
  • Gerd Nickoleit setzte ich als einer der Ersten für fairen Handel ein.
  • Heute sagt er, die meisten Kunden könnten zwischen "fair und fair light" nicht unterscheiden und würden oft zu den billigeren fairen Produkten greifen.
  • Einige Wissenschaftler stellen sein Konzept mittlerweile in Frage.

Porträt von Caspar Dohmen, Wuppertal

Früher waren die Rollen klar verteilt: Die Kämpfer für eine bessere Welt gegen die multinationalen Konzerne. Und Gerd Nickoleit war mittendrin. Die Mitglieder der Aktion "Dritte-Welt-Handel" wollten ihre Kritik an den Verhältnissen Anfang der Siebzigerjahre unter die Leute bringen. Sie umwickelten Schokoladentafeln mit einer politischen Botschaft: "Süß für uns, bitter für andere." Und sie verteilten mit der Schokolade in der Fußgängerzone Protestkarten, mit denen die Mitbürger die Bundesregierung dazu auffordern sollten, den Zoll für Kakao zu senken. Da dies nicht reichte, forcierten die Aktivisten die Idee mit dem alternativen Handel.

Bundesweit gründeten Menschen, vor allem aus dem kirchlichen Umfeld, Weltläden, von denen es noch heute in Deutschland etwa 800 gibt. Dazu Importorganisationen wie Dwp, El Puente oder Gepa. "Wandel durch Handel", sagt Nickoleit lächelnd. Bald tranken die Internationalisten Solidaritätskaffee, den Nickoleit aus Nicaragua beschaffte. Den Kauf hatte er kurz nach dem Ende der Somoza-Diktatur mit den sandinistischen Revolutionären verabredet, als Zeichen der Solidarität. Ab einem gewissen Zeitpunkt wurde die berühmte Sandino-Dröhnung jedoch immer schlechter. Als sich Nickoleit bei den Kaffee-Kooperativen beschwerte, bekam er zur Antwort: "An wen sollen wir den denn sonst schicken? So schlechten Kaffee nimmt uns doch niemand ab." Heute lacht Nickoleit darüber, doch es war auch eine bittere Lektion für den Idealisten.

Kaum jemand hat den alternativen Handel so lange und prägend gestaltet, wie der 71-jährige Gerd Nickoleit. Er war mit der Aktion "Brot für die Welt" erster Entwicklungshelfer im Iran, arbeitete in Peru und reiste später im Auftrag der Gepa rund um die Welt, um die Kriterien für faire Waren mit zu entwickeln: Mindestpreise, Transparenz, Prämien für die Gemeinschaft. Er hat den Nicaragua-Kaffee nach Deutschland gebracht, aber auch das kratzende Symbol der Dritte-Welt-Bewegung schlechthin: Die Jutetasche aus Bangladesch.

Selbstkritischer Verfechter des fairen Handels

Dem unscheinbar gekleideten Nickoleit sieht man auch heute noch an, wie wenig er auf Äußerlichkeiten gibt. Doch wenn er einen durch seine eckige Brille anfunkelt und von der Entwicklung des fairen Handels erzählt, dann spürt man die Energie, die den Idealisten antreibt, der sich seit mehr als 40 Jahren für einen gerechteren Welthandel engagiert. Fast 30 Jahre lang war Nickoleit bei der Gepa für politische Grundsatzfragen zuständig, heute sitzt er im Beirat des größten europäischen Importeurs fairer Waren. Dabei hat sich Nickoleit von einem Streiter für den freien Handel zum Pionier des alternativen Handels entwickelt; vom begeisterten zum selbstkritischen Verfechter des fairen Handels.

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Die Gepa-Zentrale liegt in einem modernen Zweckbau neben Wiesen am Rande Wuppertals. Vor 40 Jahren von kirchlichen Organisationen gegründet, verkauft sie noch immer vor allem Waren von Kleinbauern und Handwerkern aus südlichen Ländern, die dafür mehr Geld als gewöhnlich erhalten. Kaffee, Honig, Kakao und andere Waren stapeln sich in dem Lager, wo vor allem ehrenamtliche Helfer für Weltläden einkaufen. Als "Spinner" seien sie verlacht worden, wegen ihrer Idee eines alternativen Handels, der direkt Kleinbauern im Süden mit den Konsumenten im Norden verbinden sollte, erzählt Nickoleit. Das habe ihn höchstens noch angespornt.

Mehr zugesetzt hat ihm, dass die meisten Verbraucher lieber im Supermarkt einkaufen wollten, so blieben die Umsätze der alternativen Händler ziemlich spärlich. Anfang der Neunzigerjahre entschieden sie sich für eine Kooperation mit den Gegnern von einst, um den Absatz anzukurbeln. Seitdem kann jedes Einzelhandelsunternehmen faire Produkte verkaufen, wenn es bestimmte Kriterien erfüllt. Das Transfair-Siegel sollte das sicherstellen.

Zwei Welten prallten nun aufeinander: Weltverbesser trafen auf Manager. Man habe faire Produkte nicht aus sozialer Verantwortung ins Sortiment genommen, sondern wegen der Kundennachfrage, stellte Lidl-Manager Robin Goudsblom später klar. Heute verkauft Edeka in seinen Filialen bis zu 70 verschiedene Fair-Trade-Produkte, bei Rewe sind es knapp 100, bei Kaiser's und Tengelmann 130 bis 150 Produkte. Von dem gesamten Umsatz mit fairen Waren in Deutschland von gut einer Milliarde Euro entfiel 2014 der Großteil mit 797 Millionen Euro auf Produkte mit dem FairTrade-Siegel, eine Verzehnfachung seit 2005. Pioniere wie die Gepa und die Weltläden machen nur noch ein Viertel des Geschäfts und legen sehr viel langsamer zu.

Die Kooperation mit dem gewöhnlichen Handel fand Nickoleit richtig, schon bald warnte er jedoch davor, sich "immer stärker am kommerziellen Handel auszurichten", womit der faire Handel Gefahr laufe, eine "verblassende Variante" aus der Vielzahl ethischer Konzepte zu werden. Alarm schlägt heute auch Violetta Stevens von Café Direct aus England, an dem sogar Kooperativen aus dem Süden beteiligt sind. Die Marke haben vier Organisationen des Fairen Handels gegründet, um den Verkauf von fairem Kaffee in Supermärkten anzukurbeln, mit Erfolg. "Aber der Verkauf über die Supermärkte wird immer schwieriger für uns", sagt Stevens. Die Händler würden zunehmend eigene faire Marken verkaufen. Und die meisten Kunden könnten zwischen "fair und fair light" nicht unterscheiden und würden oft zu den billigeren fairen Produkten greifen. Für die Supermärkte ist dieser Schritt logisch: Deren Margen sind bei Eigenmarken höher und ihnen geht es letztlich nur um die Rendite.

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Auch in Deutschland steigt der Anteil von Eigenhandelsmarken bei fairen Produkten. Ergeht es den ethischen Pionieren genauso wie den Bioläden, die verdrängt wurden? "Die Gefahr besteht", sagt Nickoleit. Umso wichtiger sei es, dass die Pioniere eigene Wege gingen, strengere Maßstäbe in puncto Fairness anlegten oder faire Zutaten aus dem Norden verwendeten.

Studien haben die Wirksamkeit für bessere Lebensbedingungen der Kleinbauern bezweifelt

Der faire Handel steckt aber generell in einer Zwickmühle, wenn es um sein Verhältnis zum konventionellen Handel geht. Einerseits ist der Handel der wichtigste Absatzkanal, zum anderen ist dessen Marktmacht vielen sozialen und kirchlichen Trägerorganisationen des fairen Handels ein Dorn im Auge: Die Ketten Aldi, Carrefour, Lidl, Tesco und die Metro-Group kontrollierten die Hälfte des Marktes in der EU, in Deutschland beherrschten fünf Unternehmen gar 90 Prozent des Marktes. Deshalb sei das Verbot des Kartellamts für die Fusion von Edeka und Kaiser's zu begrüßen.

Die Verhandlungsposition des fairen Handels mit den Handelskonzernen war schon immer schwach und ist noch weiter gesunken, seit andere das Geschäft mit der Moral entdeckt haben. Bei der Beschaffung fairer Zutaten sind Handel und Industrie längst nicht mehr von den Pionieren abhängig, sondern können wählen, weil mittlerweile mehr als 20 Organisationen mitmischen. "Was jemand unter fair versteht, ist dabei ihm überlassen", sagt Nickoleit. Denn der Begriff fair ist ungeschützt, anders als beispielsweise bei Biowaren, wo es das EU-Biosiegel gibt - mit definierten Standards, die Behörden überprüfen.

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Aber auch die Pioniere des fairen Handels müssen sich Kritik gefallen lassen. Einige Studien, auch von renommierten Universitäten, haben zuletzt die Wirksamkeit des fairen Handels für bessere Lebensverhältnisse der Kleinbauern infrage gestellt. Harsche Kritik kommt auch von dem Fair-Trade-Aussteiger Ndongo Sylla: Die Wirtschaft habe den fairen Handel gekapert, schreibt er in dem Buch "The Fair Trade Scandal". Nickoleit findet, der faire Handel müsse wieder "an seine Ursprünge anknüpfen und politischer werden". Gerade jetzt fühlt er sich an die Anfänge erinnert, als es um die Veränderung der Welthandelsordnung ging. Viel werde über die negativen Aspekte des geplanten Freihandelsabkommens TTIP für die USA und Europa diskutiert. Es berge aber auch erhebliche Risiken für die Landwirte im Süden. Agrarprodukte aus den USA und der EU könnten weitere Kleinbauern in Afrika, Asien und Lateinamerika verdrängen, fürchtet Nickoleit. Hier könne auf einen Schlag sehr viel mehr zerstört werden, als der faire Handel in 40 Jahren geschaffen habe. Er ist jedenfalls ziemlich ernüchtert über die Strukturen des Welthandels. Diese seien "ungerecht wie eh und je".

© SZ vom 04.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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