Das Dokument ist eine Abrechnung. Nicht nur mit Panama, sondern auch mit den USA und der Europäischen Union. Vor allem aber ist es - zumindest derzeit - eine Vision. An diesem Mittwoch stellt Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph E. Stiglitz dem Panama-Papers-Untersuchungsausschuss des Europaparlaments seinen Report vor. Ein 25-seitiges Dokument, das er gemeinsam mit dem Schweizer Antikorruptionsexperten Mark Pieth verfasst hat. Der Titel: "Die Schattenwirtschaft beseitigen". Es ist ein Aufruf zum weltweiten Kampf gegen Steueroasen.
Wenn es nach der panamaischen Regierung ginge, wäre dieser Report wohl nie erschienen. Zwar hatte Präsident Juan Carlos Varela nach den Panama-Enthüllungen mit viel Tamtam eine internationale Expertenkommission einberufen, die Vorschläge erarbeiten sollte, wie illegale Geschäfte am Finanzplatz Panama unterbunden werden können. Ob die Ergebnisse überhaupt veröffentlicht werden, wollte am Ende jedoch offenbar einzig und allein die Regierung entscheiden.
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Ausgerechnet die beiden prominentesten Mitglieder der Kommission warfen deshalb hin. Schweigen wollten sie aber nicht.
Würden die Empfehlungen der beiden umgesetzt, würde die internationale Finanzindustrie von einem Tag auf den anderen umgekrempelt. Es wäre das Ende sämtlicher Steueroasen - und genau darauf haben es Stiglitz und Pieth abgesehen. Sie sehen in Steueroasen nicht weniger als eine dunkle Seite der Globalisierung, eine Seuche, die es zu stoppen gilt. Steuerhinterziehung, Verbrechen und ein "unakzeptables Maß an globaler Ungleichheit" - all das wird durch undurchsichtige Firmenkonstrukte in Panama, auf den Britischen Jungferninseln und anderswo begünstigt. Damit müsse jetzt Schluss sein. "Heimlichtuerei muss weltweit bekämpft werden", schreiben Stiglitz und Pieth.
Die Panama Papers, Swiss-Leaks, Offshore-Leaks, Bahamas-Leaks und andere Enthüllungen der vergangenen Jahre, haben den Vorhang der Geheimhaltung ein Stück weit geöffnet. Sie haben gezeigt, wer sich in der geheimen Offshore-Welt alles tummelt: Autokraten und ihre Verwandten, Großkonzerne, Superreiche, Waffendealer, Drogendealer und andere dubiose Gestalten. "Die meisten sozial destruktiven Aktivitäten finden unter dem Mantel der Geheimhaltung statt", schreiben Stiglitz und Pieth. Die beiden sehen nicht nur einzelne, sondern alle Länder weltweit in der Pflicht.
Sie fordern die Schaffung von sogenannten Ultimate-Beneficial-Owner-Registern - also von Datenbanken, welche die wahren Eigentümer von Briefkastenfirmen preisgeben: jenen Personen, die sich gerne hinter Scheindirektoren, Scheineigentümern und allerlei anderen undurchsichtigen Konstrukten verstecken. Niemand soll seine Bankkonten, Villen, Yachten und Beteiligungen mehr hinter anonymen Firmen verstecken können. Weder vor den Steuerbehörden noch vor der Bevölkerung. Deshalb dürfe ein solches Register nicht nur für Ämter zugänglich sein, sondern müsse für jedermann offen stehen. "Offene Register erlauben es der Zivilgesellschaft und den Medien, an der Überprüfung der Informationen teilzunehmen", schreiben die Ökonomen.
Faktisch wäre es das Ende des Geschäfts mit Briefkastenfirmen. Denn dieses fußt vor allem auf Geheimhaltung. Stiglitz und Pieth fordern auch im Immobilienbereich mehr Transparenz - ein Sektor, in dem auch deutsche Fahnder großen Nachholbedarf sehen. Denn mit Immobiliengeschäften lässt sich hervorragend Geld waschen. Allerdings gibt es in Deutschland bis heute kein zentrales Immobilienregister, in dem Fahnder, geschweige denn Journalisten, nachschauen könnten, welche Immobilien eine verdächtige Offshore-Firma besitzt. "Die Panama Papers haben der Welt die Beweise geliefert, dass die Offshore-Finanzplätze für die schändlichsten Vorgänge benutzt werden, von Steuerhinterziehung über Korruption bis hin zu Kinderpornografie", schreiben die beiden Experten.
Anwälte und Vermögensverwalter haben dabei eine wichtige Rolle gespielt. Sie sind die Anlaufstellen, um Briefkastenfirmen zu gründen und zu verwalten. So ist auch Mossack Fonseca - jene Firma, die im Mittelpunkt der Panama-Papers-Enthüllungen steht - eine Anwaltskanzlei. Und genau da müsse man nach Meinung von Pieth und Stiglitz ansetzen: Jeder Anwalt, der wissentlich ein Unternehmen oder einen Trust registriert, dessen Ziel darin besteht, Geld zu waschen, Steuern zu minimieren oder zu hinterziehen, müsse im Wiederholungsfall seine Lizenz verlieren. Außerdem müsse die Zahl der Firmen begrenzt werden, denen eine einzelne Person vorstehen darf. Eine solche Obergrenze würde verhindern, dass sogenannte Scheindirektoren (wie im Fall einer Mossack-Fonseca-Angestellten) - zumindest auf dem Papier - mehr als 20 000 Firmen leiten.
Pieth und Stiglitz warnen in ihrem Schattenwirtschafts-Report vor einem ungesunden Wettlauf unter den Ländern, der dazu führe, dass Konzerne wie Apple einen effektiven Steuersatz von lediglich 0,005 Prozent haben. "Aus globaler Sicht ist diese Form des Wettbewerbs zerstörerisch." Es ist Kritik an einem Wettbewerb, in dem auch einige Länder der Europäischen Union mitspielen. Irland hat das 0,005-Prozent-Konstrukt von Apple abgesegnet. Und auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker feuerte solche Steuersparmodelle einst als luxemburgischer Finanz- und Premierminister an.
Steueroasen müsse man behandeln wie Überträger von Krankheiten
Das Gegenmittel, das die beiden Experten der Welt verschreiben möchten, heißt: radikale Transparenz. Sämtliche Steuerdeals - die derzeit meist geheim sind - müssten veröffentlicht und überwacht werden. Ein Albtraum für Länder wie die Niederlande, Luxemburg und Irland. Nach den Panama-Papers-Enthüllungen lobten sich viele Politiker für die großen Schritte, die bereits gemacht worden seien - und meinten damit meist den Austausch von Finanz- und Steuerdaten zwischen Ländern. Solange dieser Austausch jedoch nur zwischen ausgewählten Ländern bestünde, könne man die aggressive Steuervermeidung, durch die den Staaten nach Schätzung der OECD jedes Jahr zwischen 100 und 240 Milliarden Dollar entgehen, nicht bekämpfen.
Der multilaterale Informationsaustausch, also aller Länder mit allen, kranke immer noch daran, dass Länder wie die USA entscheidende Abkommen nicht unterzeichnet haben. Nur wenn alle mitmachten, könne man aber Steueroasen austrocknen, schreiben die Ökonomen: "Wenn es in einer globalisierten Welt eine letzte Insel der Geheimhaltung gibt, werden die Gelder genau dorthin fließen." Gerade Großbritannien und die USA seien zwar gut darin, Offshore-Zentren wie Panama zu kritisieren. Gleichzeitig würden aber ausgerechnet innerhalb ihrer eigenen Landesgrenzen allerlei dunkle Geschäfte abgewickelt. Steueroasen, schreiben Pieth und Stiglitz, müsste man behandeln wie die Überträger von gefährlichen Krankheiten: Man müsse sie isolieren. "Wenn das Land die Transparenzvorschriften nicht selbst durchsetzt, dann sollte die internationale Gemeinschaft die Lücke schließen."
Uneinsichtige Länder müssten vom globalen Finanz- und Wirtschaftssystem abgeschnitten werden. Außerdem müsste das Unterhalten von Konten, Firmen, Stiftungen und Trusts mit Sitz in solchen Steueroasen für grundsätzlich illegal erklärt werden. Eine besondere Rolle falle dabei den USA und Europa zu. Als Wirtschaftsmächte hätten sie die Verpflichtung, andere Länder zu zwingen, die globalen Transparenzstandards einzuhalten. Im Kampf gegen den Terrorismus hätten sie bewiesen, dass sie zu solchen Maßnahmen in der Lage seien. "Dass sie dies nicht im Kampf gegen Korruption, Steuerumgehung und Steuerhinterziehung tun, ist ein Zeugnis für die Macht derer, die von der Verschwiegenheit profitieren." Es ist die Macht der Offshore-Industrie und ihrer Profiteure.