300 Jahre Adam Smith:Rettet den Neoliberalismus!

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Der schottische Moralphilosoph Adam Smith kam 1723 zur Welt und gilt als Begründer der klassischen Nationalökonomie. (Foto: Gemini Collection/IMAGO)

Heute wird "neoliberal" oft als Schimpfwort benutzt. Dabei war schon Adam Smith ein Neoliberaler. Und der Liberalismus bräuchte dringend wieder eine Erneuerung. Ein Gastbeitrag.

Von Stefan Kolev

Vor 300 Jahren kam Adam Smith auf die Welt. Seither prägen zwei verwandte Traditionen maßgeblich unsere Welt: der Liberalismus und seine Verwandte, das ökonomische Denken. Unter Liberalismus verstand Adam Smith die Selbstorganisation des Menschen innerhalb von Regeln, die frei von Privilegien sind. Vor 300 Jahren war das eine Befreiungsidee. Doch mittlerweile ist sie in Teilen der Gesellschaft in Verruf geraten. Wer trägt die Schuld an den heutigen Krisen? Für viele Mitbürger ist die Frage schnell beantwortet: der Neoliberalismus. Im wirtschaftspolitischen Diskurs wird er fast täglich für alles Schiefgelaufene in Haftung genommen. Seine Überwindung wird gefordert.

Dabei bräuchte die liberale Moderne nicht die Abschaffung des Neoliberalismus, sondern das Gegenteil: eine Erneuerung. Ein neuer Neoliberalismus, der seine alten Erfolge an die neue Zeit anknüpft, dafür ist 300 Jahre nach Adam Smith die Zeit gekommen.

Nehmen wir ruhig einmal an, dass der Liberalismus - ob neo oder paläo - für unsere Welt mitverantwortlich ist. Da müssen wir feststellen: Wir leben in der besten aller gewesenen Welten. Es gab noch nie eine Welt, in der so viele Menschen frei lebten und in der weltweit prozentual so wenige Menschen arm waren. Noch nie waren Technologien so gleich verteilt, dass sie Zugang zu Wissen und zur global-digitalen Arbeitsteilung auch von ärmeren Ländern aus ermöglichten. Smartphones sind nicht den Eliten vorbehalten.

Ganz sicher leben wir deswegen nicht in der besten aller möglichen Welten. Auch die heutigen Probleme erfordern Reformen von Wirtschaft und Gesellschaft. Dieses ständige Neudenken und -ordnen ist die DNA des Liberalismus und hat seit Smith' Zeit nie aufgehört. Es hat die liberale Moderne fragil gemacht. Manchmal ist sie auch in die Superfragilität gekippt: Die Bürger haben ihr das Vertrauen entzogen und sich eine neue Ordnung gesucht. Das kann heute wieder passieren.

Doch es ist ausgerechnet der Neoliberalismus, der die liberale Moderne stabilisieren kann. Dem Neoliberalismus wohnt ein Wandel inne. Nicht nur im Wortsinn. Die Geschichte des Liberalismus ist eine Geschichte der vielen Neoliberalismen, der ständigen Neuerfindung und Anpassung des Liberalismus. Die bedeutenden liberalen Denker und Praktiker waren Neoliberale: Innovatoren also, die zur bisherigen liberalen Tradition Neues hinzufügten, sie der Zeit und ihren Herausforderungen anpassten, statt nur das Alte zu predigen. Smith war ein Neoliberaler gegenüber John Locke und Bernard Mandeville. John Stuart Mill wiederum war ein Neoliberaler gegenüber Smith, Locke und Mandeville und so weiter.

Jede Generation muss für die Probleme ihrer Zeit ihren eigenen Neoliberalismus formulieren. Was könnte nun der Neoliberalismus für unsere Zeit sein? Hier kommen sieben Akzente.

Der Neoliberalismus von heute sollte optimistisch und humanistisch sein. Optimismus bedeutet nicht, an "den Fortschritt" zu glauben - wohl aber an "die vielen Fortschritte". Im Mittelpunkt steht das Grundvertrauen, dass Menschen sehr viele ihrer Probleme in Selbstorganisation lösen können. Ob Klimawandel oder Armut: Wenn man Freiheit gewährt und der Regelrahmen richtige Anreize setzt, können gewöhnliche Menschen Ungewöhnliches leisten und scheinbar Unlösbares lösen.

Der neue Neoliberalismus muss auch resilient sein. Das setzt ein Stabilitätsversprechen an die Bürger voraus: Nur wenn ein Mindestmaß an Regeln und Sicherheit da ist, werden die Bürger bereit sein, sich an die Dynamik der global-digitalen Ordnung anzupassen.

Der Neoliberalismus von heute muss technologie- und innovationsaffin sein. Beim Lösen der heutigen Probleme wäre es töricht, auf Technologien zu verzichten, denn wir kennen heute eben nicht die beste Lösung in zwanzig Jahren. Dass dabei manche zeitweise den falschen Weg gehen, toleriert eine liberale Fehlerkultur bewusst. Technophobe Gesellschaften wiederum werden kreative Menschen abwandern sehen und Innovationen teuer von anderswoher einkaufen müssen.

Der neue Neoliberalismus muss wohlstands- und wachstumsfreundlich sein. Der Einzelne bleibt frei, den eigenen Wohlstand zu mehren, was makroökonomisch oft zu Wachstum führt. Das muss aber nicht mehr Ressourcen verbrauchen - unsere Kreativität prescht zu immer schonenderem Umgang mit klimawandelrelevanten Ressourcen vor, wenn der Einzelne durch richtige Preise für die verursachten Schäden haftet. Eine Klimapolitik wird aber international kaum Nachahmer finden, wenn sie im Westen zu neuer Armut führt.

Der Neoliberalismus sollte kosmopolitisch sein. Dazu gehört auch eine offene Zuwanderungspolitik. Und die sachliche Diskussion der individuellen Probleme beim Zusammenleben in der Einwanderungsgesellschaft, ohne in kollektivistische Kategorien zu verfallen.

Die neue Phase der Globalisierung nach dem russischen Angriffskrieg braucht zudem einen Neoliberalismus, der im wehrhaften Frieden fußt. Der Balanceakt zwischen Friedensbejahung und Verteidigungsbereitschaft muss den Liberalen gelingen. Sonst überlassen sie die Wehrhaftigkeit der Demokratie denjenigen, die die neue Geoökonomie mit Freund-Feind-Schemata zur Remilitarisierung der Globalisierung missbrauchen.

Zudem haben die Neoliberalen in der superfragilen Zwischenkriegszeit in die soziale Marktwirtschaft die "soziale Irenik" eingebaut, eine Kultur der Versöhnung und Kompromisssuche. Bei allen bleibenden Unterschieden ist stets nach Lösungen zu suchen, mit denen alle leben können. Angesichts der erstarkenden autoritären Ränder ist es für die politische Mitte umso wichtiger, eine solche Kultur zu pflegen.

300 Jahre nach Smith' Geburt verdeutlicht die Sehnsucht nach einer liberalen Moderne in der Ukraine auf tragische Weise, dass der Liberalismus - trotz aller Unvollkommenheit im Prozess seines ständigen Neuordnens - eine attraktive Ordnung bleibt.

Stefan Kolev ist der wissenschaftliche Leiter des Berliner Ludwig-Erhard-Forums für Wirtschaft und Gesellschaft und Professor für Wirtschaftspolitik an der Westsächsischen Hochschule Zwickau.

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