Prokrastination nennt man die krankhafte Neigung, unangenehme Dinge immer weiter aufzuschieben, umgangssprachlich ist die Rede von "Aufschieberitis". Diesen Begriff wählte Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir nach seinem Amtsantritt im Dezember 2021 für ein Problem, das er von seinen Vorgängerinnen und Vorgängern geerbt hatte: das Vertragsverletzungsverfahren der EU wegen zu hoher Nitratbelastung im deutschen Wasser.
Mehr als zehn Jahre lang haben es deutsche Regierungen nicht geschafft, der EU-Kommission einen Plan vorzulegen, der dieses Problem behebt. Özdemir hat die Aufschieberitis beendet, das Strafverfahren ist eingestellt, wie am Donnerstag bekannt wurde. "Dass wir die hohen Strafzahlungen abwenden konnten, ist ein großer Erfolg, zu dem viele beigetragen haben", ließ Özdemir verlauten. Im Fall einer Verurteilung hätte Deutschland laut Özdemirs Ministerium eine pauschale Strafe von 17 Millionen Euro und ein tägliches Zwangsgeld von einer Million gedroht.
Nitrate stammen meist aus Düngern der Landwirtschaft. Ein Übermaß schadet der Umwelt und birgt Gesundheitsrisiken für Menschen. Deutschland reißt den Nitrat-Grenzwert der EU von 50 Mikrogramm je Liter Grundwasser seit es ihn gibt, das heißt seit 30 Jahren. Überschreitungen finden sich in fast jedem Bundesland, vor allem aber dort, wo viel Gülle anfällt, also im Norden Deutschlands. Das Vertragsverletzungsverfahren wurde 2013 eröffnet. Mehrere Änderungen der deutschen Düngeverordnung reichten der Kommission nicht, zuletzt ging es vor allem um die Größe der "Roten Gebiete", in denen weniger gedüngt werden darf. Özdemir fand nun einen Kompromiss mit der Brüsseler Behörde.
Mit dem Entwurf des neuen Düngegesetzes, der am Mittwoch durch das Bundeskabinett ging, will Özdemir zudem die Grundlagen dafür legen, dass das Verursacherprinzip angewendet werden kann. Wer durch Überdüngung das Wasser belaste, werde stärker in die Pflicht genommen, wer Wasser schütze, werde entlastet.