Nahaufnahme:Dafür - und dagegen

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"Der CBI hat in der Tat einige Mitglieder, die finden, dass das Vereinigte Königreich die EU verlassen sollte", sagt Carolyn Fairbairn. (Foto: Reuters)

Carolyn Fairbairn ist für Europa - und damit derzeit unter britischen Wirtschaftsvertretern eher die Ausnahme. Trotzdem rückt sie nun an die Spitze des wichtigsten Lobbyverbands der Industrie.

Von Björn Finke

Die Neue gibt sich versöhnlich: Unternehmern, die eine andere Ansicht vertreten, werde der Verband zuhören und "ihre Meinung respektieren". Das schrieb Carolyn Fairbairn am Montag, ihrem ersten Arbeitstag, an die Mitglieder der CBI, der größten britischen Wirtschaftsvereinigung. Fairbairn ist nun Geschäftsführerin der wichtigen Lobby-Organisation.

Die 54-Jährige fängt in turbulenten Zeiten an: Die Confederation of British Industry - dafür steht die Abkürzung - sprach sich sehr früh sehr klar dafür aus, dass Großbritannien in der Europäischen Union bleiben solle. EU-Gegner im Unternehmerlager werfen dem Verband daher vor, nicht die Vielfalt der Meinungen in der Wirtschaft abzubilden und ohne Rückendeckung der Mitglieder für die EU zu werben.

Die neue Chefin - die erste Frau an der Spitze in der 50-jährigen Geschichte der CBI - räumt in ihrem Schreiben ein, dass unterschiedliche Standpunkte zu dem Thema existieren: "Die CBI hat in der Tat einige Mitglieder, die finden, dass das Vereinigte Königreich die EU verlassen sollte." Fairbairn, die in England, den USA und Frankreich studiert hat, wird jedoch nicht nur das Verhältnis zu rebellischen Mitgliedern kitten müssen, sondern auch das zur konservativen Regierung. Wirtschaftsminister Sajid Javid klagt, die EU-freundliche Haltung der CBI untergrabe die Verhandlungsposition von Premier David Cameron in Brüssel. Der Konservative wird die Briten bis spätestens 2017 über einen Austritt aus der EU abstimmen lassen.

Vorher will Cameron das Verhältnis seines Landes zur Union neu austarieren. Vergangene Woche skizzierte er in einem Brief an den EU-Ratspräsidenten erstmals, welche Änderungen er durchsetzen will, damit er danach zu Hause guten Gewissens für den Verbleib in einer reformierten EU werben könne. Unter anderem möchte er Einwanderern nicht sofort Sozialleistungen zahlen müssen und die Belastung der Firmen durch Regeln der EU verringern.

EU-Gegner in Großbritannien sehen das Referendum als einmalige Chance, den Austritt aus der verhassten Union zu erreichen. Es formieren sich bereits diverse Kampagnen und Unterstützergruppen - für und gegen den sogenannten Brexit.

Die großen Verbände von Industrie und Banken warnen vor dem Verlassen der Union. Schließlich ist Europa wichtigster Handelspartner. Trotzdem gibt es im Königreich auch viele Unternehmer und Manager, die der EU ausgesprochen skeptisch gegenüberstehen. Sie wollen einen Austritt entweder in jedem Fall oder zumindest dann, wenn Cameron bei seinen Verhandlungen in Brüssel keine bedeutenden Erfolge verbucht. Zuletzt machten Hedge-Fonds-Manager Schlagzeilen, die - genervt von EU-Regeln für ihre Branche - das Brexit-Lager mit Millionen päppeln.

Fairbairn muss als Chefin der CBI, einer Organisation mit 190 000 Mitgliedern, einen schwierigen Balanceakt zwischen EU-Gegnern und Befürwortern meistern. Sie muss diplomatisches Geschick zeigen - bei Unternehmern, Politikern und Journalisten. Ihre Erfahrungen dürften dabei helfen: Sie studierte Politik und Wirtschaft, schrieb für das Magazin The Economist und arbeitete im Büro des ehemaligen Premiers John Major sowie bei der Weltbank.

Zudem stieg sie bei der Beratungsgesellschaft McKinsey zur Partnerin auf; bei den Sendern BBC und ITV war sie Direktorin für Strategie. Vor ihrem überraschenden Wechsel zur CBI saß die verheiratete Mutter dreier Kinder in mehreren Aufsichtsgremien, unter anderem bei der Bank Lloyds und dem britischen Kartellamt.

Fairbairn gönnte sich 2004 eine einjährige Auszeit von der Karriere, um mit der Familie um die Welt zu reisen. In ihrem neuen Job bei der CBI braucht sie an so etwas gar nicht erst zu denken.

© SZ vom 17.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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