Es geht um nicht weniger als um "die nächste Milliarde". Menschen nämlich, die in den kommenden Jahren mit dem Internet verbunden werden sollen. IT-Konzerne wie Facebook oder Google sind ganz begierig auf neue Nutzer. Sie finden sie naturgemäß vor allem in Entwicklungsländern und bieten dort Zugang zum Netz und ausgewählten Inhalten oft sogar gratis an.
Diese Art von Netzkolonialismus ist bei den Beglückten zum großen Unverständnis der Gönner aus dem Silicon Valley manchmal gar nicht so gern gesehen. Viele Kritiker halten die Bemühungen der Firmen für eine schlecht kaschierte Methode, einen Wettbewerbsvorteil zu erlangen. Immerhin stimmt in Ländern wie Indien, Indonesien und Nigeria in Studien schon heute mehr als die Hälfte der Befragten der Aussage "Facebook ist das Internet" zu. Kein Wunder also, dass in Indien die nationale Regulierungsbehörde das Facebook-Angebot Free Basics erst vor Kurzem für illegal erklärt hat, weil es der sogenannten Netzneutralität schade.
Was aber, wenn fragwürdige Gratisdienste gänzlich anders genutzt werden, als von den Spendern beabsichtigt? Ende März etwa wurde ein kreatives Beispiel aus dem afrikanischen Land Angola bekannt. Dort hatte die Wikimedia Foundation eine Abmachung mit dem Telekommunikationskonzern Unitel geschlossen, die besagt, dass der Zugang zu den Angeboten der Online-Enzyklopädie kostenlos bereitgestellt wird. Findige Nutzer nutzen das Gratis-Datenvolumen jedoch zweckfremd: Sie speichern Filme, Musik und Videospiele auf den Servern der Wikimedia Foundation. Oftmals maskiert als harmlose Bild- oder Textdateien. Auf einer geschlossenen Facebookgruppe werden die entsprechenden Links zu den raubkopierten Dateien dann verbreitet - auch Facebook ist in Angola im Rahmen seines sogenannten Free Basics Programms kostenlos. So ist ein komplett kostenloses klandestines Filesharing-Netzwerk entstanden.
Wikimedia-Stiftung:Wie sich die Wikipedia-Gemeinschaft öffentlich zerfleischt
Die Chefin der Wikimedia-Stiftung musste zurücktreten. Das erfolgreichste Freiwilligen-Projekt des Webs ist bedroht.
Es sind nur ein paar Tausend Mitglieder, die sich auf der entsprechenden Facebookgruppe tummeln. Im Vergleich zu den gigantischen Tausch-Plattformen wie Pirate Bay dürfte sich der Schaden für die Rechteinhaber also in überschaubaren Grenzen halten. Trotzdem stecken die Wikipedia-Administratoren nun in einem Dilemma: Wie geht man gegen die Piraten aus dem Gratis-Web vor? Man kann schließlich nicht jedem angolanischen Nutzer verbieten, das Lexikon zu editieren. Bislang wird zu gleichen Teilen geduldet und gelöscht.
Lässt man sämtliche Rechtsfragen beiseite, ist die angolanische Episode vor allem ein Lehrstück in Sachen modernes Leben. Man könnte wohl fast eine Art von Naturgesetz der digitalen Welt postulieren, dass Daten einen Weg finden, zu zirkulieren. Egal, welche Restriktionen existieren, egal, ob es den Herren der Netzwerke nun passt oder nicht. Manchmal ist dafür nicht einmal ein Internetanschluss notwendig.
Zum Beispiel in Kuba. Auf der ganzen Insel gibt es nur ein paar Dutzend öffentliche Wlan-Hotspots - und die vor allem in großen Hotels, die für die durchschnittliche Bevölkerung kaum erreichbar sind. Trotz allem gibt es Magazine, Musik-Tauschbörsen und Kleinanzeigenportale auch in elektronischer Form. Sie werden auf USB-Sticks verbreitet.