Internet.org:Indien verweigert sich Zuckerbergs großer PR-Lüge

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Einig: Indiens Premier Modi auf Besuch bei Zuckerberg. (Foto: Jeff Chiu/AP)

Echo des Antikolonialismus: Indien sperrt sich gegen Mark Zuckerbergs Pläne, das Internet auf Facebook zu beschränken - trotz radikalen Lobbyings auf höchster Ebene.

Von Johannes Boie

Der junge Gründer von Facebook und Milliardär Mark Zuckerberg bringt derzeit viel Geld und große Anstrengungen auf, um Indien und seine Behörden von großen Plänen zu überzeugen. Den gesamten digital unterversorgten Subkontinent will er ans Internet anschließen. Sagt er. Ende Dezember 2015 erschien zum Thema in der Zeitung Times of India ein Meinungsartikel von ihm. Da schrieb er: Zugang zum Internet sei gleichbedeutend mit Zugang zum Arbeitsmarkt, zu Bildung, medizinischer Versorgung und Kommunikation. Damit Indien sich weiterentwicklen könne, benötigten eine Milliarde Menschen Anschluss ans Internet. Nur - mit dem Wort "Internet" meinte er nicht das Internet. Er meinte Facebook.

Und so dokumentiert der Text die große PR-Lüge, mit der Facebook und Zuckerberg seit nun schon einigen Jahren durch die Welt reisen. Denn tatsächlich hatte Zuckerberg nie vor, eine Milliarde Inder mit "dem Internet" zu verbinden, wie er in seinem Artikel schrieb. Zuckerberg will mit großem Aufwand eine Milliarde Inder mit Facebook zu verbinden. Und er hoffte insgeheim darauf, dass man ihm das schon durchgehen lassen würde. Sicherheitshalber und vielleicht auch, um Menschen, die sich nicht so gut auskennen, zu täuschen hat Zuckerberg sein Projekt "internet.org" getauft - und eben nicht: facebook.org.

Der junge Milliardär sparte wie gesagt nicht an Zeit, Geld und Energie, um sein Ziel zu erreichen. Er forderte Nutzer auf, Briefe an indische Behörden zu schreiben, um sein Ziel zu unterstützen. Facebook schaltete für viele Millionen Dollar Anzeigen in Indien. Bereits im September letzten Jahres hatte Zuckerberg den indischen Regierungschef Narendra Modi in der Facebook-Zentrale im kalifornischen Menlo Park empfangen. Und dann gibt es auch schon 40 ärmere Länder, die an dem Facebook-Programm teilnehmen und sich von Zuckerberg eine kostenlose Facebook-Version haben schenken lassen, die freilich ohne echten Internetzugang auskommt.

Facebook stellt sich als Wohltäter dar, dabei geht es um Kundschaft

Doch Indien sperrt sich nun. Die Regulierungsbehörde des Staates verbot die Pläne rigoros. Adressat des Verbots ist de jure der indische Telekommunikationskonzern Reliance Communications Ltd., Facebooks Geschäftspartner. Der Chef der zuständigen Behörde sagte, das Angebot von Facebook sei "weder im Interesse der Kunden noch dem Wachstum des Internets zuträglich". Seine Behörde verbietet sämtliche Dienste, die die Netzneutralität verletzen, und die Initiative verletzt sie wie kaum ein anderes Angebot, und zwar auf globalem Level.

Netzneutralität bedeutet, etwas vereinfacht gesagt, dass alles, was im Netz existiert - egal ob Videos, Bilder, Werbung, Journalismus, das Angebot eines Start-ups oder das eines Großkonzernes wie Facebook - auf dem gleichen Weg gleich schnell und ohne zusätzliche Kosten zu den Nutzern gelangen muss, ohne dass ein besonderer Dienst bevorzugt würde. Auch die USA haben ein entsprechendes Gesetz verabschiedet. Die Wahrung der Netzneutralität dient nicht zuletzt dazu, für alle Internetanbieter gleiche Voraussetzungen zu schaffen. Keiner wird bevorzugt.

Facebooks Initiative aber sieht vor, dass alleine Facebook und nur ein paar wenige zusätzliche Seiten für die Nutzer aufrufbar sind. Das ist nicht zuletzt ein kolonialistisches Gebaren des Konzerns: "Arme dieser Welt, Facebook weiß, was gut für euch ist, und gibt euch das, was ihr unserer Meinung nach braucht. (Aber keinesfalls mehr.)"

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Kein Wunder, dass sich neben den Behörden auch eine ganze Volksbewegung gegen Facebooks Pläne in Indien erhob. Aus Universitäten und auch von Unternehmenschefs wurden öffentliche Protestbriefe geschrieben. Indische Firmen unterstützten sich gegenseitig auf der Seite SaveTheInternet.in, und in den indischen Nachrichten wurde der sperrige Begriff "Netzneutralität" zum häufig gehörten Wort. Im Forum Reddit sammelten indische Gegner Facebooks Anzeigen und formulierten sie im eigenen Sinne um.

Der kalifornische Konzern ignoriert den Protest und stellt sich selbst als Wohltäter dar, so wie Zuckerberg es eben auch in seinem Artikel tat. Man schaffe Jobs, bringe den Menschen Bildung und Kommunikation. Und es stimmt ja, irgendjemand muss die ländlichen Gebiete Indiens so schnell wie möglich ans Netz anschließen.

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Doch die indischen Behörden durchschauten Facebooks Argumentation, der wie zufällig stets ein paar entscheidende Fakten fehlen: Denn eine Milliarde Inder im Netz beziehungsweise auf Facebook sind für den Konzern ein wichtiger neuer Markt. In Amerika und Europa stagniert dessen Wachstum in manchen Altersgruppen schon längst. Es bedeutet nämlich auch: Daten von einer weiteren Milliarde Menschen, von denen Facebooks Werbekunden profitieren können. Und für diesen großen Markt lohnt es sich für Facebook eben auch, "Internet" in entlegene Gebiete zu bringen. Gerade in Asien, wo Facebooks Geschäft bereits in China eine große Lücke wegen der Zensur aufweist, und gerade in Indien, wo 130 Millionen bestehende Nutzer zeigen, dass die Inder an Facebook durchaus Interesse haben.

Nur weil in den ärmsten Regionen der Welt oft schlicht keine Alternative zu seinem Angebot besteht, gelingt es Zuckerberg regelmäßig, sich damit als Philanthrop zu gerieren. So kann man die indische Ablehnung auch als Widerstand gegen die massive PR-Arbeit und das radikale Lobbying auf höchster politischer Ebene der weltverändernden Netzkonzerne begreifen: "internet.org" ist nichts anderes als der Versuch, die Bevölkerungen ganzer Länder als Nutzer zu erobern.

Wirtschaftsexperten sind davon überzeugt, dass Dienste wie Facebooks "internet.org" der Wirtschaft mittelfristig schaden, weil die neu angeschlossenen Menschen zwar auf Facebook surfen können, aber zum Beispiel nicht auf den Seiten eines kleinen Start-ups. Selbst dann nicht, wenn sie es selbst gegründet haben. So auch in Indien, wo Start-up-Gründer neben Vertretern der Landbevölkerung vehement gegen die Pläne protestiert haben.

Die indische Absage könnte für andere Schwellenländer ein Vorbild sein. Zuckerberg möchte das nicht. Auf Facebook schrieb er nach der indischen Entscheidung, er wolle "persönlich betonen", dass "wir weiterhin Barrieren durchbrechen wollen" und "Indien und die ganze Welt verbinden möchten".

© SZ vom 10.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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