Kaufverhalten:Warum Konsumenten glauben, Einfluss zu haben

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Es gibt keinen Konsum mehr, der nicht auch politisch ist - weil der Käufer nicht mehr nur ein Produkt wählt, sondern zugleich ein Weltbild. (Foto: picture alliance / dpa)

Die Eier bio, der Kaffee fair gehandelt: Wer bewusst einkauft, kann durchaus die Welt verändern. Doch das richtige Verhalten im Supermarkt ist kein Ersatz für politische Teilhabe.

Kommentar von Claudia Tieschky

Man kann gar nicht genau sagen, seit wann das so ist, aber an gewissen Tagen fällt es plötzlich auf. Die Sachen zusammenzubekommen, die man eben braucht - das Gemüse, eine neue Jogginghose, die Glühbirne für die alte Wohnzimmerlampe - das alles ist ziemlich aufwendig geworden. Ist die Glühbirne quecksilberfrei? Hat der Textilhersteller eine überprüfte Compliance zur Kinderarbeit und Umweltverschmutzung oder ist er ein Fast-Fashion-Schurke? Wird am Wochenende mit Eiern aus Belgien gekocht, die bio sind, aber zum massenhaften Warenverkehr auf der Autobahn beitragen? Oder mit denen vom Regionalvermarkter, die aber nicht bio sind? Wie die Gans gelebt hat, bevor sie geschlachtet wurde, ist genauso wichtig wie die Oberhitze am Schluss im Ofen. Wir denken mehr nach über das, was wir kaufen. Ist womöglich der achtsame Konsum die zeitgemäße Form politischer Teilhabe?

Ob wir es wollen oder nicht: Jedes Mal, wenn wir in der globalisierten Warenwelt etwas kaufen, treffen wir eine Entscheidung für oder gegen bestimmte Werte, ach was, für eine ganze Weltordnung. Wir entscheiden nach Kriterien, die mit unserer Haltung zusammenhängen: ob wir zum Beispiel Plastik in den Weltmeeren als Bedrohung empfinden, ob es den Einzelhandel trotz Internet weiter geben soll. Und es ist doch einfach ein unglaublich gutes Gefühl, das Richtige zu tun. Das Private ist politisch, hieß es einmal. Heute gibt es keinen Konsum mehr, der nicht auch politisch ist - weil der Käufer nicht mehr nur ein Produkt wählt, sondern zugleich ein Weltbild. Selbst wer mit dem Einkaufswagen durch den Discounter fegt und möglichst viel fürs Geld einpackt, ist nicht neutral. Er stützt ein Billigpreismodell, mit allem, was dazugehört.

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Der mündige Bürger ist heute auch mündiger Konsument. Er entscheidet, ob Geschäftsmodelle funktionieren oder nicht. Er hat Macht. Selbst Unternehmen, die vor allem auf Masse ausgerichtet sind, werben um diesen mündigen Konsumenten, wenn sie, mal mehr und mal weniger glaubwürdig, eine Bio-Sparte einführen, Finanzanlagen nach ökologischen und sozialen Kriterien anbieten oder Rohstoffe aus fairem Handel verarbeiten. Notfalls bewirbt man sogar noch die angeblich nachhaltige Tragetasche. Das alles sind Folgen einer neuen Konsumentenmacht.

Den richtigen Braten zu wählen ist noch keine Demokratie

Machtausübung durch Konsum passt auch deshalb so gut in die Zeit, weil sie es erlaubt, Einfluss zu nehmen, ohne sich mit dem Staat zu identifizieren, in dem man lebt. Der Staat mit seinen klassischen demokratischen Institutionen ist im Narrativ der Skeptiker sowieso machtlos gegen den Druck, den die Globalisierung, der Finanzkapitalismus und die Internetökonomie erzeugen. Dem mündigen und medial aufgeklärten Käufer in der globalisierten Konsumgesellschaft wird dagegen das verlockende Angebot einer politischen Teilhabe unterbreitet, für die man sich nicht zur Kandidatur für den Gemeinderat und noch nicht mal zur Entscheidung für eine Partei durchringen muss. Man kann noch so politikverdrossen sein, so lautet dieses verführerische Angebot: Mit dem richtigen Einkaufsverhalten kann man etwas ändern. Politik durch Kauf, die direkte Demokratie der Warenwelt. Aber stimmt das?

Zweifellos hat Konsumverhalten eine Wirkung. Konsum als neue Graswurzelbewegung, dafür hat sich der Begriff "Lifestyle Politics" etabliert. Ersetzt es aber das politische Handeln von Regierungen? Es gibt Argumente für diese Sichtweise. Die Empörung über Arbeitsbedingungen in den Sweatshops Asiens oder das tonnenweise Verbrennen von unverkauften Kleidern der Modelabels kann bei Käuferinnen in unterschiedlichen Ländern einen gemeinsamen Boykott auslösen, der schneller Wirkung zeigt als jeder politische Prozess. Trotzdem geht es dabei nicht in erster Linie um Menschenfreundlichkeit, um das Wohl der Näherinnen oder einer ganzen Gesellschaft. Es geht um das Wohl des Unternehmens, also um seinen Gewinn. Der Käufer soll bekommen, was er will. Aber kaufen muss er, denn dafür ist er da.

Der demokratische Staat dagegen, der angeblich so schlecht sein soll, mit all seinen langsamen und mühseligen Prozessen, gehört ganz und gar den Bürgern. Es gibt ihn überhaupt nur, weil sie ihm ihre Macht übertragen. Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus, heißt es im deutschen Grundgesetz. Das bedeutet auch, wäre der Staat wirklich schlecht und machtlos, müssten sich durchaus die Bürger selber fragen lassen, warum sie das erlauben.

Vor allem aber ist das Wahlrecht nicht an irgendeinen Konsum und die politische Teilhabe nicht ans Geldausgeben gebunden; das ist der unbezahlbare Gegenentwurf in einer sonst fast ausschließlich materialistischen Zeit. Politik ist mühsam, ein hartes Geschäft, mit Streit und Konflikt. Es ist anstrengend. Aber ein Bürger ist ein Bürger, ein Käufer dagegen bleibt ein Käufer. Den richtigen Braten zu wählen ist noch keine Demokratie.

© SZ vom 28.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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