Medizintechnik:Ansteckungsgefahren

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Produktion von Computertomographen: Siemens Healthineers gehört mehrheitlich weiter zu Siemens. (Foto: Aly Song/Reuters)

Wegen Corona wurden viele Routine­operationen und -untersuchungen verschoben. Die Notfallpläne bekamen auch Medizintechnik­hersteller wie Siemens Healthineers zu spüren.

Von Thomas Fromm und Claus Hulverscheidt, München

Auf den ersten Blick scheint die Sache tatsächlich etwas paradox: Ein Virus bestimmt gerade den Lauf der Welt - und ausgerechnet die Hersteller von medizintechnischen Geräten haben nun Probleme, weil Röntgenapparate, Computertomografen oder Magnetresonanztomographen nicht oder nur mit Verspätung geliefert und installiert werden können. "Die Krankenhäuser haben sich wegen Corona sehr stark auf die Notfallbehandlung konzentriert", heißt es bei Siemens Healthineers, der Gesundheitssparte des Münchner Konzerns. Mit anderen Worten: Vieles, was sonst medizinisch in den Krankenhäusern gemacht worden wäre, wurde häufig erst einmal verschoben.

Wenn sich weniger Patienten bei Ärzten oder in Kliniken behandeln lassen, hat dies auch Folgen für die diagnostischen Produkte eines Unternehmen wie Siemens Healthineers. Wenn Herzoperationen verschoben werden oder orthopädische Eingriffe wie Gelenk- oder Hüftoperationen, wenn zudem in den Reha-Anstalten nicht mehr viel los ist, dann sinkt auch die Nachfrage nach den bildgebenden Geräten, die man dafür braucht.

Zwar stieg der Gewinn bei Healthineers im zweiten Quartal, aber die Umsatz- und Gewinn-Prognosen für das laufende Geschäftsjahr wurden zurückgenommen. "Weder für die Länge noch für die Intensität der Covid-19-Pandemie existieren derzeit gesicherte Einschätzungen", sagte Vorstandschef Bernd Montag. Daher seien "keine gesicherten Annahmen zur Geschäftsentwicklung möglich". Als Maßnahme im Kampf gegen das Coronavirus hatte die Bundesregierung Mitte März Krankenhäuser und Arztpraxen dazu aufgefordert, planbare Operationen und Eingriffe - soweit medizinisch vertretbar - zu verschieben, um die Ressourcen für Corona-Patienten frei zu halten und Ansteckungsgefahren zu verringern. Es war die Phase, in der mit Blick auf die dramatische Situation in Italien befürchtet werden musste, dass auch hierzulande die Kapazitäten der Krankenhäuser wegen des Ansturms von Corona-Patienten an Grenzen stoßen oder gar kollabieren könnten.

Viele Medizintechnikausrüster begannen zu spüren, was in den Kliniken gerade oberste Priorität hatte - und was nicht. Der niederländische Siemens-Wettbewerber Philips zum Beispiel meldete für das erste Jahresquartal einen Gewinnrückgang. Einerseits stieg die Nachfrage nach Monitor-Systemen und Beatmungsgeräten zwar kräftig an - nach technischer Ausrüstung also, die insbesondere auch bei der Corona-Behandlung eine zentrale Rolle spielen. Das Geschäft in anderen Geschäftsfeldern aber wurde schwieriger. Die Corona-Pandemie schlägt auf die Gesundheitsbranche durch - anders allerdings, als man vielleicht erwartet hatte.

Viele Patienten meiden aus Angst vor dem Virus die Krankenhaus-Notaufnahmen

Besonders dramatisch lässt sich dieser Trend in den USA nachvollziehen. Weil Praxen geschlossen, Operationen verschoben und Untersuchungen abgesagt sind, verringerte sich die Zahl der Beschäftigten im Gesundheitswesen allein im März binnen weniger Tage um rund 43 000. An diesem Freitag wird das Arbeitsministerium neue Erwerbslosenzahlen vorlegen - und Experten gehen davon aus, dass sich der Negativtrend im Medizinsektor im April noch verstärkt hat. Betroffen sind vor allem Zahn- und Hausarztpraxen, aber auch viele Hospitäler, vom Landkrankenhaus bis zu renommierten Universitätskliniken. Sie alle leiden darunter, dass die gesamte medizinische Versorgung derzeit auf die Behandlung von Covid-19-Patienten konzentriert ist und viele der sonst üblichen Therapie- und Vorsorgeangebote entfallen. Doch selbst dort, wo Ärzte zur Verfügung stehen, bleiben die Patienten vielfach aus, weil sie Angst haben, sich in den Praxen mit dem Coronavirus zu infizieren. Sogar die Notaufnahmen vieler Krankenhäuser, die eigens für Nicht-Corona-Patienten freigehalten werden, sind deshalb oft leer. Den Praxen und Kliniken entgehen dadurch Einnahmen in Milliardenhöhe

"So etwas habe ich noch nie erlebt", sagte Marvin O'Quinn, Chef des Klinikbetreibers Common Spirit Health, der Los Angeles Times. Seine Branche sei normalerweise immun gegen Rezessionen, weil die Menschen auch im wirtschaftlichen Abschwung nicht auf eine gute Gesundheitsversorgung verzichteten. "Dieses Ding aber", so O'Quinn mit Blick auf die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie, "erwischt tatsächlich jeden."

Bei Siemens Healthineers setzt man für die nächste Zeit unter anderem auf zwei neue Tests, die rasch entwickelt wurden und die für hohen Umsatz sorgen sollen: einen molekularen Corona-Test sowie einen Antikörpertest, sagte Vorstandschef Bernd Montag am Dienstag in Erlangen. Und man setzt auf die klassischen Produkte: Gerade mit Computertomographen ließen sich Lungenerkrankungen schnell erkennen und diagnostizieren, heißt es bei Siemens Healthineers.

© SZ vom 06.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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