Gleich mal die These: Durch die digitale Revolution, die ja nicht nur eine technologische, sondern auch eine Informationssupernova darstellt, mit einem Überschuss an vermeintlichen und tatsächlichen Wahrheiten, sind Eindeutigkeiten und einfache Zuordnungen von Gut und Böse kaum mehr möglich.
Viele Menschen, die sich überfordert fühlen, mutmaßen daher überall eine geheime Agenda, versteckte Interessen und unlautere Absichten. Internet und Paranoia sind, wenn nicht Geschwister, so doch entfernte Verwandte. Das muss man im Hinterkopf haben, wenn man über den immer noch sehr nebulösen Fall der "Silk Road" sprechen will. Also jenes einerseits frech und offen agierenden, in seiner Technik aber schier ungreifbaren Angebots auf der Nachtschattenseite des Netzes. Davon erzählt der Regisseur Alex Winter in seinem Dokumentarfilm "Deep Web - Der Untergang der Silk Road". Ihm geht es um nichts anderes, als diese Ungewissheit zu thematisieren und zu fragen, was unter der Oberfläche eines für die US-Justiz abgeschlossenen Falles steckt. Um es kurz zu machen: Man weiß es schlicht nicht.
Die Silk Road, die Seidenstraße, war ein kriminell genutztes Angebot: die technisch gewährleistete Anonymität der Nutzer war Voraussetzung für einen florierenden Handel mit gestohlenen Identitäten, Waffen, Drogen. Sogar Auftragsmorde sollen hier ausgeschrieben worden sein. Ein Schwarzmarkt, auf dem mit der Digitalwährung Bitcoin bezahlt wurde, die nicht nachvollziehbare Geldflüsse abseits von Staat und Banken ermöglicht.
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Hinter Silk Road soll ein Mastermind gestanden haben, der sich "Dread Pirate Roberts" nannte, ein Pseudonym nach einer Filmfigur: Sie hat nicht eine Inkarnation, sondern viele, weswegen auch gemutmaßt wird, dass nicht eine Person diesen Anfang 2011 gegründeten Darknet-Markt betrieben hat, sondern mehrere.
"Eine Botschaft, nicht bloß ein Drogenumschlagplatz"
Die Behörden weltweit waren zunächst fassungslos, als Silk Road auftauchte. FBI und CIA ermittelten auf Hochtouren, was hier heißt: Sie lancierten exakt die Digitalangriffe gegen Silk Road, die sie gemeinhin als kriminell schelten. Eingeschleuste Trojaner, Rechner-Attacken, Kompromittierung von Daten.
Im Oktober 2013 wurde auf diese Weise der US-Amerikaner Ross Ulbricht ausfindig gemacht und vom FBI verhaftet. Ihm werden Verschwörung, Handel von Drogen und Waffen vorgeworfen, Computereinbruch, die Verteilung gefälschter Dokumente und Geldwäsche. Dafür wurde der heute 32-Jährige zu lebenslanger Haft ohne Bewährung verurteilt. Doch der sagt: Er sei gar nicht "Dread Pirate Roberts" gewesen und habe auf der Silk Road bloß seine libertäre politische Community finden wollen, die gegen die korrupte Zentralgewalt des Staates und seine willkürliche Strafverfolgung für Menschenrechte einstehe. Silk Road sei eine "Botschaft, nicht bloß ein Drogenumschlagplatz". Tatsächlich lassen die vielen Foreneinträge von Ulbricht auch eher auf einen politischen Spinner schließen, der Staat, Industrie und den "ganzen Yuppie-Angry-Bird-Quatsch" ablehnt und dagegen für eine Open-Source-Demokratie eintritt, als auf einen Drogendealer.
Was gilt denn jetzt? Der Film löst dies nicht auf, will er auch gar nicht. Er spielt mit dieser Ungewissheit. Kurz nach der Schließung von Silk Road ging eine Silk Road 2.0 ans Netz, danach "Agora". Eine weltweite Polizeioperation mit Namen "Onymous" legte dann 2014 Hunderte von Dark-Net-Domains still. Es sprossen danach immer neue. "Dies ist ein Katz-und-Maus-Spiel", sagt der Wired-Chefredakteur Andy Greenberg im Dokumentarfilm, "bei dem die Mäuse gewinnen werden. Doch die Katzen werden sich fett fressen. Dieser Kampf hört nie auf, er wird immer weitergehen." Ein Kampf um Wahrheit und Propaganda. Im März 2015 werden zwei leitende FBI-Agenten vor Gericht gebracht, denen man vorwirft, im Zuge ihrer Ermittlungen gegen Silk Road Bitcoins im Wert von über einer Million Dollar von dort gestohlen und auf private Konten transferiert zu haben.
Die Dokumentation Deep Web - Der Untergang der Silk Road (Koch Films) ist als DVD und Blu-ray erschienen (ab 9,99 Euro) und außerdem als Video on Demand erhältlich, zum Beispiel bei iTunes oder Google Play (ab 3,99 Euro).