MAN-Korruptionsaffäre:Piëch gnadenlos

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Der MAN-Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch dreht in der Korruptionsaffäre mächtig auf: Der ehemalige Vorstandsvorsitzende Samuelsson soll mehr als 200 Millionen Euro zahlen - aus eigener Tasche.

Klaus Ott

Heinrich von Pierer, langjähriger Vorstandschef von Siemens, hat fünf Millionen Euro gezahlt. Es war aus Sicht des Konzerns ein symbolischer Schadenersatz für den weltweiten Schmiergeldskandal, der das Unternehmen 2,5 Milliarden Euro gekostet habe. Noch mehr Geld haben einige deutsche Großbanken mit riskanten Geschäften im Ausland verloren. Auch hier sollen frühere Vorstände haften, etwa bei der BayernLB und der ehemaligen SachsenLB. Mehrere Millionen Euro pro Kopf sind im Gespräch, etwas mehr als bei Siemens.

Ferdinand Piëch greift durch - sechs ehemalige Vorstandsmitglieder von MAN sowie der beiden Tochtergesellschaften Turbo und Nutzfahrzeuge sollen zahlen. (Foto: APN)

Das wäre fast gar nichts im Vergleich zu dem, was derzeit beim Nutzfahrzeugkonzern MAN geschieht. Der Münchner Lastwagen- und Bus-Hersteller hat, ähnlich wie Siemens, eine Korruptionsaffäre überstanden und fordert nun ebenfalls Schadenersatz vom früheren Management. Sechs ehemalige Vorstandsmitglieder von MAN sowie der beiden Tochtergesellschaften Turbo und Nutzfahrzeuge sollen zahlen.

Die höchste Rechnung hat Ex-Konzernchef Hakan Samuelsson präsentiert bekommen: 237 Millionen Euro. Diesen Betrag soll der 59-jährige Schwede aus eigener Tasche zahlen. So hat das ihm die international agierende Rechtsanwaltskanzlei Wilmer Hale mitgeteilt, die für den Aufsichtsrat von MAN tätig ist. Chef des Kontrollgremiums ist der österreichische Industrielle Ferdinand Piëch, der mit VW den größten Fahrzeugkonzern der Welt schmieden will, inklusive Porsche, MAN, des schwedischen Lkw-Herstellers Scania und anderen Marken. VW ist mit knapp 30 Prozent Hauptaktionär bei MAN. Piëch, Aufsichtsratsvorsitzender von VW und MAN, hat schon viele Manager das Fürchten gelehrt.

Große Kämpfe gewinne man "nicht mit Freundlichkeit", lautet das Motto des alten Herrn aus Salzburg. Wohl noch niemand hat (rein finanziell betrachtet) Piëchs Härte so sehr zu spüren bekommen wie jetzt Hakan Samuelsson, der Ende 2009 als MAN-Chef vorzeitig gehen musste. Nach außen hin wegen der Korruptionsaffäre, inoffiziell aber weil er angeblich Piëchs Plänen einer Lkw-Allianz von MAN und Scania unter VW-Herrschaft im Wege stand. 237 Millionen Euro Schadensersatz-Forderung, das ist Rekord in Deutschland seit Beginn des Siemens-Skandals, der vieles verändert hat.

Vorstände in Industrie und Wirtschaft sind mehr denn je in der Pflicht, undurchsichtige oder gar unsaubere Geschäfte zu verhindern, weil sie sonst selbst zur Rechenschaft gezogen werden. Die Ausflucht, man habe nichts gewusst, zählt nicht mehr. Seit Siemens gelten neue Maßstäbe. Setzen nun auch MAN und Piëch neue Maßstäbe, was die Höhe der Buße anbelangt? Oder ist das nur ein Versuch, Samuelsson und dessen alten Kollegen einen Schrecken einzujagen, damit sie einem Vergleich zustimmen?

MAN macht den gesamten mutmaßlichen Schaden geltend, der durch die Korruptionsaffäre entstanden sei. 150 Millionen Euro hat die Münchner Staatsanwaltschaft kassiert. Die hatte die Schmiergeldzahlungen aufgedeckt, mit denen früher bei MAN der Verkauf von Lastwagen, Bussen und Industrieanlagen im In- und Ausland angekurbelt worden war. Nun sagt der von Piëch geleitete Aufsichtsrat, Samuelsson und seine Kollegen hätten nicht genau genug kontrolliert, was im Unternehmen geschehen sei, und müssten deshalb zahlen. Zu den 150 Millionen Euro, die an die Staatskasse gingen, kommen die Kosten für teure interne Ermittlungen bei MAN hinzu, weitere Ausgaben infolge der Affäre und Sonstiges. Macht insgesamt 237 Millionen Euro. Eine Kontonummer für die Überweisung hat Samuelsson auch gleich genannt bekommen.

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Gemessen am Vorgehen von MAN hätte Siemens von Pierer zwei Milliarden Euro fordern müssen. Und Bayerns Landesbank müsste von Ex-Chef Werner Schmidt 3,7 Milliarden Euro verlangen. So viel hat die Landesbank bei ihrer Expansion nach Österreich und auf den Balkan draufgezahlt. Doch kein angestellter Manager kann Milliarden aufbringen, auch keine 237 Millionen Euro. Samuelsson hat in Stockholm studiert, seine Karriere beim schwedischen Lkw-Hersteller Scania begonnen und ging dann zu MAN. Dort hat er zuletzt drei bis vier Millionen Euro im Jahr verdient, seine Steuern in Deutschland gezahlt und sich darüber gefreut, dass "ja genügend übrig bleibt".

Machten MAN und Piëch Ernst, dann bliebe nichts mehr übrig. Samuelsson wäre pleite. Ebenso wie Karlheinz Hornung, Ex-Finanzchef von MAN, und Anton Weinmann, Ex-Vorstandschef der MAN Nutzfahrzeuge AG, sowie drei weitere Manager, die wegen der Korruptionsaffäre vorzeitig gehen mussten und nun Schadenersatz leisten sollen. Sie alle haben ebenfalls horrende Bescheide bekommen; teils über 100, teils über 200 Millionen Euro. Bei ihnen lagen die Briefe "unterm Weihnachtsbaum", wie aus ihrem Umfeld berichtet wird. Die von MAN beauftragte Kanzlei Wilmer Hale hatte die Post noch im Dezember verschickt, um zu verhindern, dass Ansprüche verjähren. Samuelsson war schon deutlich vorher drangewesen, bereits im Sommer, ohne dass dies bislang an die Öffentlichkeit gedrungen wäre.

Samuelssons Anwalt Wolf-Dieter von Gronau weist die von MAN erhobenen Vorwürfe zurück: "Der Anspruch ist nicht begründet." Hornungs Anwalt Walther Graf sagt, sein Mandant halte die Forderungen ebenfalls für falsch und sehe eventuellen Gesprächen oder gar Gerichtsverhandlungen "gelassen" entgegen. Weinmanns Anwalt äußert sich derzeit nicht. Auch MAN schweigt. Das sei eine Angelegenheit des Aufsichtsrats, erklärt ein Konzernsprecher.

In Unternehmenskreisen wird derweil kräftig Stimmung gegen das alte Management gemacht. Man müsse die Ex-Vorstände "maximal angreifen" und so viel Schadenersatz eintreiben wie nur möglich. "Es geht um Gerechtigkeit." Piëch agiere "sehr entschlossen und konsequent". Unter den Anwälten der Ex-Vorstände wird das ganz anders gesehen. Die Forderungen seien absurd und erschwerten Gespräche über einen vernünftigen Kompromiss.

Das gelte auch für die Allianz und Züricher Versicherung. Bei den beiden Assekuranz-Unternehmen und weiteren Versicherern hat MAN eine Haftpflicht-Police für seine Vorstände abgeschlossen, die knapp 200 Millionen Euro betragen soll. Auf diese Police hat es MAN offenbar abgesehen. Die Versicherungen halten die Vorgehensweise des Konzerns gegen das alte Management angeblich für wenig überzeugend. Fallen Allianz und deren Partner aus, dann bliebe die Sache an Samuelsson und den anderen Vorständen hängen. Dass sich das auch anders regeln ließe, weiß der Schwede aus eigener Erfahrung. Seit Anfang 2008 sitzt er im Aufsichtsrat von Siemens und hat dort die Vergleiche mit Pierer und den meisten anderen Ex-Vorständen aus nächster Nähe mitbekommen. Pierer zahlte und erklärte, das sei kein Eingeständnis von Schuld. Aber Pierer hatte es auch nicht mit Piëch zu tun.

© SZ vom 17.01.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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