Luftverkehr:Lufthansa begibt sich in den Winterschlaf

Lufthansa Zentrale Hauptsitz mit Leitwerk Flughafen Frankfurt Frankfurt, Deutschland - 7. April 2020: Lufthansa Zentrale

Das Leitwerk vor der Konzernzentrale ist normalerweise wohl das Einzige, das dauerhaft am Boden steht. Doch was ist gerade schon normal?

(Foto: Markus Mainka via www.imago-images.de/imago images/Aviation-Stock)

Bei dem Luftfahrt-Konzern ist die Lage so dramatisch, dass er alle Aktivitäten auf ein Minimum reduziert.

Von Jens Flottau, Frankfurt

Im Reich der Tiere gibt es das Phänomen des Winterschlafs. Der Igel etwa verlangsamt Atem, Puls und Stoffwechsel. Seine Körpertemperatur sinkt, sodass er vom Herbst bis zum darauffolgenden Frühjahr möglichst wenig Energie verbraucht und auch einen harten Winter übersteht. Nur selten wachen die Tiere auf.

Angesichts der dramatischen und sich weiter verschlechternden Lage im Luftverkehr will die Lufthansa nun das Konzept aus der Tierwelt aufgreifen und weite Teile des Konzerns in einen "Wintermodus" versetzen. In einem sechsseitigen Schreiben an die Mitarbeiter macht der Vorstand klar, dass die Zeiten für die Fluggesellschaften noch härter werden, als sie ohnehin schon sind. Statt im vierten Quartal wieder die Hälfte des eigentlichen Programms anzubieten, wird es höchstens ein Viertel sein. Die Zahl der Passagiere werde bei weniger als 20 Prozent des Vorjahresniveaus liegen. Bei vielen Mitarbeitern im Unternehmen herrscht längst so etwas wie Panik und Endzeitstimmung. "Wir haben im Moment eigentlich keine Hoffnung mehr", sagt einer. Hoffnung darauf, dass sich die Lage schnell verbessert.

Der Wintermodus beinhaltet Einschnitte, die bis dato kaum vorstellbar waren. Die Konzernzentrale in Frankfurt, das "Lufthansa Aviation Center (LAC)", wird von Mitte Dezember bis Februar geschlossen, nur wenige Arbeitsplätze sind ausgenommen. Das LAC befindet sich direkt am Flughafen, in Laufdistanz zu Terminal 1 und zur großen Wartungsbasis. Wer ein Büro im Süden abbekommen hat, der hat einen Blick über das Vorfeld und die beiden parallelen Start- und Landebahnen dahinter.

In den vergangenen Jahren wurde das Innenleben der Konzernzentrale komplett umgestaltet. Es gibt jetzt Großraumbüros, in denen man sich flexibel Schreibtische aussuchen kann, und einen Newsroom wie bei einer Zeitung. In den breiten Gängen zwischen den Abteilungen haben die Innenarchitekten Bänke und Tische mit Kaffeemaschinen installieren lassen - so soll die Kommunikation unter den Angestellten verbessert werden. Doch an all das ist momentan ja nicht zu denken. Die Verwaltung soll sich daher nur noch mit betriebsnotwendigen und rechtlich vorgeschriebenen Arbeiten beschäftigen, etwa dem Jahresabschluss für 2020. Für alle anderen Prozesse wird die Kurzarbeit "auf das maximale Niveau erhöht". Kantinen in der Verwaltung werden geschlossen. Die Flächen im "Squaire", dem raumschiffartigen Gebilde über dem ICE-Bahnhof des Frankfurter Flughafens, sind gekündigt. Ableger Eurowings gibt alle Büros in Düsseldorf auf.

Alle Hoffnungen ruhen auf einem Impfstoff

Und das sind nicht die einzigen Sparmaßnahmen. Die Airlines des Konzerns sollen nur die kleinsten und sparsamsten Flugzeuge und nur die gesetzlich vorgesehene Mindestzahl an Flugbegleitern einsetzen. Swiss und Austrian dürften wohl praktisch alle Kurz- und Mittelstreckenflugzeuge der Airbus-A320-Familie stilllegen, konzernweit sind das 125 Maschinen mehr als geplant. Die geparkten Jets sollen als Ersatzteillieferant für Komponenten wie Triebwerke, Hilfsturbinen, Fahrwerke oder Monitore dienen. Geplante große Wartungsarbeiten an der Boeing 747-400-Flotte werden abgesagt - die Maschinen fliegen sowieso nicht mehr.

Die Kern-Airline Lufthansa selbst wird im Winter nur etwa 80 Flugzeuge betreiben, so wenige wie zuletzt Mitte der 70er-Jahre. Im Juni hatte die Lufthansa über den Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) Staatshilfen in Höhe von neun Milliarden Euro erhalten, ohne das Geld wäre das Unternehmen seit Monaten in der Insolvenz. Die Verluste sind immer noch drastisch: Alle zwei Stunden verbrennt die Airline derzeit eine Million Euro. Immerhin: Am Anfang war es eine Million in einer Stunde. Doch der Vorstand warnt, dass in den ersten neun Monaten der Verlust 4,1 Milliarden Euro betragen habe und sich dieser im vierten Quartal "noch deutlich erhöhen" werde.

Es sei momentan unmöglich vorauszusagen, wie lange Reisewarnungen, Einreiseverbote und Lockdowns einzelner Länder andauern und wie steil oder flach die Erholung ausfallen werde. Alle Hoffnungen ruhen wie in vielen anderen Branchen darauf, dass es schnell einen wirksamen Impfstoff gibt. Der Vorschlag, alle Passagiere im internationalen Verkehr vor Abflug auf Covid-19 zu testen und so die für die Branche desaströsen Quarantäneregeln zu ersetzen, war bislang politisch nicht durchsetzbar. Vor allem die Bundesregierung zeigte sich bis zuletzt skeptisch. Im November sollen die Vorschriften neu gefasst werden, aber Quarantäne ist immer noch für einen Teil der Passagiere vorgesehen. Die Kunden sind verunsichert. Viele von ihnen fliegen daher eher nicht. Noch vor Kurzem träumte Carsten Spohr davon, dass sein Konzern im Frühjahr wieder deutlich mehr Langstreckenverbindungen anbieten wird. Doch das wird immer unwahrscheinlicher.

So deutlich wie nie macht der Vorstand auch, dass es "nachhaltige Effekte" auch nach der Krise geben könne, die die Branche treffen. "Sei es durch die verstärkte Nutzung von Videokonferenzen, Kaufkrafteinbußen bis hin zu einer globalen Rezession oder auch verändertes Reiseverhalten vor dem Hintergrund der Nachhaltigkeitsdiskussion."

Dennoch sei man "fest entschlossen", mindestens 100 000 der 130 000 Arbeitsplätze zu erhalten, auch wenn es derzeit nicht annähernd genügend Beschäftigung für so viele Mitarbeiter gebe. Der Weg zu einer kleineren, aber auch effizienteren Lufthansa, er werde "lang und beschwerlich".

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