Lingen (dpa) - Mehr als sechs Monate nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine wird im Emsland eine Uranlieferung aus Russland erwartet. Das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) bestätigte aktuelle Transporte von Russland in die Brennelementefabrik im niedersächsisJchen Lingen. Grundlage seien Genehmigungen aus dem Jahr 2021, sagte ein BASE-Sprecher. Die maximal zulässige Anzahl von Transporten sei bisher noch nicht ausgeschöpft. „Es sind also bezüglich dieser Genehmigungen weitere Transporte möglich“, sagte der Sprecher. Zuletzt wurde auf Grundlage dieser Genehmigungen am 18. Januar Uran aus Russland nach Lingen geliefert, also gut einen Monat vor Kriegsbeginn am 24. Februar.
Nach Angaben des Bündnisses Atomkraftgegner_innen im Emsland (AgiEL) befindet sich zurzeit ein Schiff mit angereichertem Uranhexafluorid von Russland auf dem Weg ins niederländische Rotterdam. Dort soll es am Sonntag ankommen, die Atomladung soll anschließend nach Lingen gebracht werden. Das BASE wollte sich am Donnerstag nicht genauer zum Transport äußern. „Zu Fragen von laufenden Transporten - auch bereits genehmigten - können wir aus Sicherheitsgründen keine Angaben machen“, sagte der Sprecher.
Ein Sprecher des Bundesumweltministeriums sagte, wenn alles technisch in Ordnung sei, müsse das BASE die Transporte genehmigen. „Es gibt kein Uran-Embargo auf EU-Ebene“, betonte zudem ein Sprecher des Bundeswirtschaftsministeriums am Donnerstag. Hintergrund sei, dass der Versorgungskanal aus Russland für den Betrieb der europäischen Atomkraftwerke offen bleibe.
In Lingen werden seit mehr als 40 Jahren Brennelemente für die nukleare Stromerzeugung in Europa hergestellt. Die Fabrik gehört dem französischen Unternehmen Framatome. Sie beliefert unter anderem Atomkraftwerke in Belgien, Frankreich, der Schweiz, den Niederlanden, Großbritannien, Spanien, Schweden und Finnland. Auf Anfrage von dpa äußerte sich das Unternehmen bis zum späten Donnerstagnachmittag nicht.
Kritik an der Uranlieferung kommt vom Umweltverband BUND. „Wer immer noch behauptet, Atomkraft befreie Europa aus der Energieabhängigkeit von Russland, ignoriert die Fakten: Tatsächlich hat Russlands verstaatlichte Atomindustrie den Nuklearsektor so fest im Griff, dass Europa sich ein Atom-Embargo bislang nicht leisten will“, sagte BUND-Chef Olaf Bandt. 20 Prozent des in der EU verwendeten Natururans stammen dem BUND zufolge aus Russland, weitere 20 Prozent aus Kasachstan. 26 Prozent des angereicherten Urans kommen ebenfalls aus Russland. 18 Reaktoren in der EU seien vollständig abhängig von russischen Brennelementen. Bandt forderte, neben den Akws auch die Uranfabriken in Deutschland zu schließen.
Auch das Bündnis AgiEL verlangte eine Stilllegung des Brennelementewerks im Emsland. „Unsere Bundesregierung arbeitet angeblich an der Energie-Unabhängigkeit von Russland und predigt harte Sanktionen“, sagte Alexander Vent vom Bündnis. Es passiere aber das Gegenteil: „In Russland angereichertes Uran wird nach Deutschland gebracht und spült Putins Staatskonzern Rosatom weiter Geld in die Kriegskasse.“ Das Bündnis kündigte eine Demonstration für den 1. Oktober in Lingen an.
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