Linde:Hoher Besuch aus Connecticut

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Linde-Chef Angel berichtet über das gute Geschäftsjahr 2019. Es bleiben Sorgen.

Von Caspar Busse, München

Agora heißt das sehr weiße Bürogebäude von Linde im Süden Münchens. Unten ist die Kantine, innen winden sich in einem großen Lichthof die Treppen hinauf, oben gibt es Sonnenterrassen, von denen man sogar die bayerischen Berge sehen kann. Agora - das kommt aus dem Griechischen und bedeutet Marktplatz. 1901 hat Carl von Linde hier eine Versuchsstation für Sauerstoffmaschinen aufgebaut, im Pullacher Ortsteil Höllriegelskreuth - ein Name, der besonders von Amerikanern nicht so leicht auszusprechen sein dürfte.

Hierher ist also der Amerikaner Steve Angel, der Chef des fusionierten Industriegaseunternehmens Linde, an diesem Donnerstag gekommen, um über die Geschäfte 2019 und 2020 zu berichten. Normalerweise ist er in Danbury im US-Bundesstaat Connecticut, denn dort ist die Zentrale von Praxair, der Firma also, mit der Linde Ende 2018 fusioniert hatte. "Guten Tag and welcome in Pullach", sagt er zur Begrüßung. Dann erinnert er erstmal an die stolze Historie des Unternehmens, dessen Anfänge bis ins Jahr 1871 zurückgehen. Der 64-jährige betont, dass Pullach der mit Abstand größte Standort des neuen Konzerns sei. Der Vorstandschef ist sichtlich um die Deutschen bemüht. Denn viele Mitarbeiter hierzulande sind verunsichert und machen sich Sorgen um ihren Arbeitsplatz. "Linde droht mittelfristig ein Kahlschlag", hatte die IG Metall gerade erst gewarnt.

Der Gewinn des neuen Konzerns steigt um ein gutes Fünftel

Angel hat auch die erste Bilanz des neuen Linde-Konzerns mitgebracht. Ende 2018 taten sich die beiden Industriegaseanbieter Linde und Praxair zusammen und sind nun der weltweite Marktführer. Die Synergien greifen offenbar, denn die neuen Zahlen sind gut, so gut, dass die Linde-Aktie deutlich um fast fünf Prozent nach oben ging und nun fast schon bei 210 Euro notiert, so hoch wie noch nie. Die Linde-Aktie ist weiterhin im Deutschen Aktienindex (Dax) notiert, das Unternehmen kommt auf einen Börsenwert von rund 115 Milliarden Euro und zählt zu den hundert wertvollsten Konzernen der Welt.

"Wir hatten ein exzellentes Jahr 2019", sagte Angel. Der Nettogewinn stieg um 21 Prozent auf vier Milliarden Dollar. Linde hatte seine Prognosen 2019 dreimal angehoben. Grund für die Steigerungen seien Preiserhöhungen in Asien und in Europa sowie Einspareffekte aus der Fusion gewesen. Der Umsatz stieg währungsbereinigt um vier Prozent auf 28 Milliarden Dollar. Der französische Konkurrent Air Liquide hatte Anfang der Woche für 2019 auch ein Umsatzplus und mehr Gewinn verkündet, das Plus fällt bei Linde aber deutlich höher aus. Industriegase werden weltweit in vielen industriellen Produktionsprozessen benötigt, aber auch von Lebensmittelherstellern und Krankenhäusern.

Auch der Ausblick von Linde erfreute die Anleger: Im laufenden Jahr sei zwar eine weitere Abschwächung der weltweiten Konjunktur möglich, so Angel. Aber: "Trotzdem erwarten wir auf Basis unseres Auftragsbestandes und unserer anhaltenden Bemühungen, das Geschäft weiter zu optimieren, ein zweistelliges Wachstum des Gewinns je Aktie." Dieser soll um neun bis zwölf Prozent auf acht bis 8,25 Dollar steigen. Für das erste Quartal erwartet Linde sogar einen Zuwachs von bis zu 16 Prozent.

Das Zusammengehen von Linde und Praxair war eine der größten deutsch-amerikanischen Fusionen überhaupt - und einer der umstrittensten. Erst nach sehr langen Verhandlungen war das Projekt im zweiten Anlauf geglückt. Es gab Kritik bei Arbeitnehmern, aber auch bei Aktionärsvertretern. Von Ausverkauf war die Rede. Offiziell handelte es sich um einen Zusammenschluss auf Augenhöhe. Viele bemängelten jedoch, dass in Wirklichkeit die Amerikaner das Sagen hätten und die Bedeutung der Deutschen rapide abnehmen werde. Chef des neuen Unternehmens, das weiterhin den Namen Linde trägt, ist der langjährige Praxair-Chef Angel, als Vorsitzender des Verwaltungsrats fungiert der ehemalige Linde-Boss Wolfgang Reitzle, 70.

Die Gewerkschaft kritisiert, es gehe um kurzfristigen Profit und nicht mehr um Strategie

"Das kurzfristige Shareholder-Denken ist an die Stelle einer nachhaltigen, strategischen Unternehmensplanung getreten", sagte der bayerische IG-Metall-Chef Johann Horn am Donnerstag der dpa. Im Vordergrund stehe nun die Senkung von Kosten, Aufträge würden weltweit im Konzern verschoben. "Die Kolleginnen und Kollegen in Deutschland stehen unter großem Druck, dass Produkte und Aufträge an den Standorten bleiben." Derzeit werden bei Linde in Deutschland laut IG Metall rund 850 Jobs gestrichen. Zuletzt gab es hierzulande noch rund 7000 Beschäftigte, weltweit sind es bei Linde rund 80 000. Angel bestätigte nun einen Stellenabbau, aber ohne Zahlen zu nennen.

Linde war von Carl von Linde, der unter anderem die Kältemaschine erfunden hat, in München gegründet worden. Praxair ist aus einer ehemaligen Linde-Tochterfirma in den USA hervorgegangen. Die beiden Unternehmen hatten eine Integrationsphase bis Ende 2021 vereinbart. Bis dahin soll es zwei Verwaltungen in den USA und bei München geben. Der offizielle Sitz des Unternehmens ist in Irland, die Sitzungen des Verwaltungsrats sollen in Großbritannien stattfinden. Ende 2019 hatte Linde seine bisherige Zentrale in der Münchner Innenstadt aufgeben und diese an den Produktionsstandort Höllriegelskreuth im Süden Münchens verlegt. Hier sitzt auch der Anlagenbau, der laut Angel "ein historisch gutes Jahr gehabt" habe. Hier würden eher Stellen aufgebaut.

© SZ vom 14.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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