Lebensmittel:Fleischersatz für die Massen

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Zum Anbeißen: rein äußerlich lässt sich ein Burger mit echtem Fleisch nicht von der Veggie-Variante unterscheiden. (Foto: Richard Drew/AP)

Anleger reißen sich um Firmen, die Alternativen im großen Stil züchten oder aus Pflanzen herstellen wollen. Branchenbeobachter sehen darin einen riesigen Wachstumsmarkt, der auch Investoren ganz neue Chancen bietet.

Von Silvia Liebrich, München

Ob es nun um ein saftiges Steak oder eine Currywurst geht - viele Menschen können sich schwer vorstellen ganz auf Fleisch zu verzichten. Doch so langsam verändert sich etwas im Verhalten der Konsumenten. Immer mehr Menschen greifen zumindest hin und wieder zu Fleischersatz - etwa einem Burger oder einem Schnitzel aus Erbsen- oder Sojaprotein, sich selbst und dem Klima zuliebe. Und das macht die Branche auch für Kapitalgeber und Anleger interessant.

Was im Moment noch ein Nischenmarkt ist, wird sich nach Einschätzung von Experten in den nächsten Jahrzehnten zu einem Milliardengeschäft entwickeln, das der Fleischindustrie harte Konkurrenz macht: Zuchtfleisch oder Fleischersatz, der aus Pflanzen oder Insektenproteinen hergestellt wird. Während der Umsatz mit konventionellem Fleisch langfristig sinkt, wächst der Bedarf an veganen Ersatzprodukten und Zuchtfleisch rasant (Grafik). Das prognostizieren etwa die Unternehmensberater von AT Kearney.

Investoren reißen sich um Start-ups und bereits etablierte Firmen, die solche Produkte entwickeln. Doch Finanzprodukte wie Fonds oder Aktien für Privatanleger sind noch dünn gesät. Zu den wenigen Unternehmen aus diesem Segment, die bereits an der Börse notieren, gehört der Burger-Hersteller Beyond Meat, an dem Stars wie Leonardo DiCaprio oder Microsoft-Gründer Bill Gates beteiligt sind.

Doch im Hintergrund wachsen Beteiligungsgesellschaften wie die Schweizer Firma Blue Horizon. Sie besteht seit 2015 und hat sich auf nachhaltige Lebensmittel spezialisiert. Dort wird derzeit ein Gesamtkapital von mehr als 300 Millionen Dollar verwaltet. An einer Tochtergesellschaft von Blue Horizon ist unter anderem die deutsche PHW-Gruppe beteiligt, bekannt durch ihre Marke Wiesenhof. Auch der große Geflügelproduzent setzt zunehmend auf fleischlose Alternativen.

Vergangene Woche schloss Blue Horizon eine neue Finanzierungsrunde ab. Die US-amerikanische Tochterfirma Livekindly, die bis vor kurzem noch Foods United hieß, habe mehr als 200 Millionen Dollar eingesammelt, teilte das Unternehmen in New York mit. Kapital, das in pflanzenbasierte Lebensmittel investiert werden soll, unter anderem in die Firmen The Fry Family Food Co. (Süd-Afrika), und Likemeat (Deutschland) sowie die digitale Medienplattform Livekindly für nachhaltigen Lebensstil (Kanada). Hinzu kommt die Puris Holding (USA), die gentechnikfreie, pflanzenbasierte Zutaten herstellt.

Die Dachgesellschaft Blue Horizon selbst ist inzwischen an mehr als 40 Unternehmen beteiligt, mit Beträgen, die meist zwischen 100 000 und einer Million Dollar liegen. Einige Firmen entwickeln Fleisch- und Fischersatz, etwa Impossible, Beyond Meat, Good Catch, Finless Foods und Ocean Hugger Foods. Im Portfolio befinden sich Zuchtfleischpioniere wie Mossa Meat und Super Meat, außerdem Firmen, die mit Algen arbeiten (Algama) und pflanzliches Collagen herstellen (Geltor), das in der Kosmetik und Gesundheitsbranche gefragt ist. Bekannt wurde Blue Horizon 2019 mit einem ungewöhnlichen Angebot an den Papst: Sollte der sich in der Fastenzeit nur vegan ernähren, wollten die Schweizer dem Vatikan eine Million Dollar spenden. Worauf der freilich gar nicht erst einging.

Die Menschen hinter Blue Horizon sind der Schweizer Roger Lienhard, selbst Veganer, sowie seine Geschäftspartner Thomas Kindler und Björn Witte. "Blue Horizon ist keine Fondsgesellschaft im klassischen Sinn", sagt Witte, der aus der Lebensmittelbranche kommt. "Wir denken langfristig und wollen die Transformation der globalen Lebensmittelindustrie vorantreiben." Blue Horizon beteiligt sich direkt an Firmen, hat aber auch einen Venture Capital Fonds sowie einen Privat Equity Fonds aufgelegt.

Tatsächlich ist es für viele junge Firmen schwer an frisches Kapital zu kommen. Neue Produkte müssen entwickelt und zudem große Produktions- und Vertriebskapazitäten aufgebaut werden. Das ist teuer. Zugleich ist das Risiko groß, dass viele Projekte scheitern, nur ein geringer Prozentsatz neuer Produkte setzt sich am Markt durch. Banken halten sich daher zurück. "Wichtig ist, die Produkte müssen schmecken, verfügbar und gesund sein, und auch der Preis muss stimmen", sagt Witte. Letzteres ist noch ein Problem. So kostet ein Veggie-Burger deutlich mehr als einer mit echtem Fleisch. Das dürfte sich aber mit einer anlaufenden Massenproduktion ändern.

Die Unternehmensberatung AT Kearney, die eine große Marktstudie herausgegeben hat, sieht die Fleischbranche vor einem gewaltigen Umbruch. Der weltweite Fleischkonsum werde auf lange Sicht nicht weiter wachsen, sondern sinken, heißt es darin. 2040 werden demnach nur noch etwa 40 Prozent sogenannter Fleischprodukte von echten Tieren stammen. Neben pflanzlichem Ersatz soll auch der Anteil von Zuchtfleisch deutlich steigen. Der Blue-Horizon-Manager Witte dämpft hier allerdings die Erwartungen: "Bis Petrischalen-Fleisch auf den Markt kommt, das dauert länger als viele hoffen." Für ihn ist es aber nur eine Frage der Zeit, bis daraus eine Massenproduktion entstehen wird.

© SZ vom 16.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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