Kursabsturz:Herzstillstand an Chinas Börse

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Börsencrash in China: Eine elektronische Anzeigetafel in Shanghai zeigt chinesische Börsenkurse (Archiv) (Foto: Reuters)

Mit einer neuen Regel wollte Chinas Regierung die Börse beruhigen: Sinken die Kurse zu stark, wird der Handel ausgesetzt. Prompt passiert das am ersten Handelstag. Auch in Deutschland bricht die Börse ein.

Analyse von Harald Freiberger, München

Der Kursverlauf der chinesischen Börsen vom Montag erinnert an die Herzschlagkurve eines Patienten auf der Intensivstation, der nicht mehr zu retten ist. Setzt das Herz aus, ist auf dem Monitor eine waagrechte Linie zu erkennen. Beim Chart der chinesischen Börse gibt es am Montag gleich drei solche Linien. Das bedeutet, dass der Börsenhandel dreimal zum Stillstand kam. Die erste Linie hat nicht viel zu bedeuten, sie ist täglich zu sehen, von 11.30 bis 13 Uhr haben die Börsenhändler Mittagpause.

Gefährlicher ist die zweite waagrechte Linie, die gegen 13.15 Uhr Ortszeit einsetzt und bis etwa 13.30 Uhr läuft. In diesem Moment wurde der Handel erstmals unterbrochen, weil der CSI-300-Index, der die 300 größten Aktien der Börsen in Shenzhen und Shanghai zusammenfasst, um fünf Prozent ins Minus rutschte. Eine neue Börsenregel sieht vor, dass der Handel dann unterbrochen werden muss. Gewaltige Kursstürze wie im vergangenen Sommer, als der chinesische Börsenboom kläglich endete, sollen damit abgemildert werden. An diesem Montag ist die Regel in Kraft getreten - und schon entfaltet sie ihre Wirkung.

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Als nach der ersten 15-minütigen Unterbrechung der Handel wieder aufgenommen wird, geht der Absturz weiter. Innerhalb von vier Minuten geht es noch einmal um zwei Prozent nach unten. Um 13.34 Uhr Ortszeit setzt die dritte waagrechte Linie ein, und damit ist der Börsentag gelaufen. Denn die neue Regel sagt, dass bei einem Minus von sieben Prozent der Handel komplett ausgesetzt wird.

Der schlimmste Fall ist eingetreten: Herzstillstand an der chinesischen Börse, und das gleich am ersten Handelstag des Jahres. Prompt brach auch der Deutsche Aktienindex (Dax) um mehr als vier Prozent ein, an anderen asiatischen und europäischen Börsen sah es kaum besser aus. Auch an der Wall Street startete die Börse mit deutlichen Verlusten. "Da China in den letzten zehn Jahren als Wachstumslokomotive für die Weltwirtschaft diente, wird jeder Einbruch dort auch die Handelspartner und Investoren in Mitleidenschaft ziehen, die in der jüngsten Vergangenheit vom China-Boom profitierten", sagt Sebastian Heilmann, Leiter des Mercator Institute for China Studies in Berlin. Vor allem Deutschlands Automobilindustrie, der Maschinenbau und die Chemieunternehmen seien durch negative Entwicklungen in der Volksrepublik verwundbar.

Auslöser für den Kurssturz waren chinesische Wirtschaftsdaten, die am Morgen veröffentlicht wurden. Ein Indikator zur Industrieproduktion war im Dezember den zehnten Monat in Folge gesunken. Hinzu kam ein weiterer Faktor, der mit der Regulierung durch Chinas Regierung zu tun hat: Am 8. Januar läuft ein Verkaufsverbot von Aktien für Großinvestoren aus, das ebenfalls aus dem turbulenten vergangenen Sommer stammt. Viele Anleger trennten sich deshalb am Montag von ihren Papieren, weil sie erwarten, dass die Großaktionäre dies ebenfalls bald tun und die Kurse dann weiter sinken. Das sind die offensichtlichen Gründe. Hinzu kommt ein psychologischer Effekt: Es ist fatal, dass die Sonderregeln, die eigentlich für den Notfall vorgesehen sind, gleich am allerersten Handelstag greifen. Die chinesische Führung hat mit ihrer Regel zur Börsenunterbrechung des Gegenteil dessen bewirkt, was sie eigentlich erreichen wollte: Sie hat die Panik verstärkt.

An Frankfurter Börse kann der komplette Handel nicht automatisch unterbrochen werden

Nervös blicken die Börsianer nun dem Dienstag entgegen, wenn die Börsen in Shenzhen und Shanghai wieder öffnen. Werden die Kurse erneut abstürzen? Wird es wieder eine Unterbrechung geben? Das größte Problem am chinesischen Aktienmarkt ist das mangelnde Vertrauen der Investoren. Die herrschende Kommunistische Partei hat es schon im Sommer stark strapaziert, als sie massiv in den Markt eingriff und zum Beispiel Aktienverkäufe großer Investoren verbot oder sogenannte Leerverkäufe, bei denen Anleger von sinkenden Kursen profitieren. Die automatische Unterbrechung des Handels vom Montag ist für internationale Anleger ein erneuter Vertrauensbruch.

An der Frankfurter Börse gibt es ein solches Instrument nicht. Es ist nicht vorgesehen, den Handel des gesamten Aktienmarktes zu unterbrechen - lediglich einzelne Aktien können ausgesetzt werden. "Wir sind überzeugt, dass eine Handelsunterbrechung für einzelne Wertpapiere sinnvoller ist als für den gesamten Markt, weil sich Kursausschläge so besser steuern lassen", sagt Michael Krogmann, Leiter der Marktentwicklung im Kassamarkt der Deutschen Börse.

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"Volatilitätsunterbrechung" nennen Fachleute das. Es ist eine Art Verschnaufpause für Anleger. An jedem Handelstag kommt es dazu im Schnitt 60 Mal, bei nervöser Stimmung weitaus häufiger. Das Tag mit den meisten Unterbrechungen in Frankfurt war der 10. Oktober 2008 auf dem Höhepunkt der Finanzkrise nach der Pleite der US-Investmentbank Lehman: 1021 Mal kam es damals zum Kursstopp für Wertpapiere.

An den amerikanischen Börsen dagegen gibt es keine automatischen Volatilitätsunterbrechungen für einzelne Aktien. In besonders kritischen Phasen kann dort ebenfalls der gesamte Markt zum Erliegen kommen. Zum Beispiel am 11. September 2001. Danach war der Handel in New York für sechs Tage unterbrochen worden. Als er wieder eingesetzt wurde, notierten die Kurse zunächst um sieben Prozent niedriger, nach vier Tagen sogar um 14 Prozent. An der Frankfurter Börse dagegen lief der Handel auch in den Tagen nach dem Terroranschlag weiter. "Wir glauben, dass wir mit unserem Mechanismus besser aufgestellt sind als andere Börsen", sagt Krogmann.

Den chinesischen Anlegern hilft das jedoch wenig. Sie müssen weiter mit den Turbulenzen auf dem heimischen Markt klarkommen.

© SZ vom 05.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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