Ukraine-Krieg:Bereit sein für "permanente Auseinandersetzungen"

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Ein russischer Panzer in der Ukraine: Die Folgen des Krieges werden noch lange anhalten, sagt Claudia Major. (Foto: Viktor Antonyuk/imago)

Die Welt ist durch den Ukraine-Krieg in ein Zeitalter ständiger Konflikte eingetreten, sagt Sicherheitsexpertin Claudia Major. Was das für Deutschland und die EU bedeutet.

Von Florian Müller

Als Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kurz nach dem Kriegsbeginn eine "Zeitenwende" ausrief, konnten sich wohl die Wenigsten darunter etwas Konkretes vorstellen. Waffen für die Ukraine und die Bundeswehr, Sanktionen gegen Russland, das sind die naheliegendsten Maßnahmen. Doch laut Claudia Major, Expertin für Sicherheitspolitik bei der Stiftung Politik und Wissenschaft, reicht das nicht. Deutschland muss sich auf eine "permanente Auseinandersetzung" mit Russland und seinen Verbündeten wie China einstellen, sagte sie bei den Munich Economic Debates von Ifo-Institut und Süddeutscher Zeitung. Denn auch wenn irgendwann die Waffen in der Ukraine schweigen werden, werde die Welt nicht zur vorherigen Ordnung zurückkehren.

Kurzfristig müssten die Europäer lernen, mit den Folgen des Kriegs und der Sanktionen umzugehen. Dazu gehören beispielsweise steigende Energiepreise und Inflation. Schon hier fürchtet Major um die Geschlossenheit des Westen, "wenn die Kosten sichtbarer werden". Langfristig geht es jedoch darum, die deutsche Wirtschaft widerstandsfähiger zu machen, sowohl nach innen wie nach außen. Denn die Konflikte und das Chaos würden sich fortsetzen. "Das ist nicht in ein, zwei Jahren vorbei."

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Nach innen bedeutet dies, kritische Infrastruktur besser vor Cyberangriffen und der Übernahme durch Unternehmen aus feindlichen Staaten zu schützen. Die Kranken- und Energieversorgung müsse gestärkt, die Infrastruktur modernisiert und die Energiewende vorangetrieben werden, fordert Major. Aber auch das Bildungssystem müsse angepasst werden, etwa im Umgang mit Desinformation.

Nach außen geht es um eine "Neuorientierung der Lieferketten". Bislang hätte bei den deutschen Wirtschaftsbeziehungen Effizienz oberste Priorität gehabt. Flankiert wurden die Kostenüberlegungen von dem Glauben, "dass gegenseitige Abhängigkeit Konflikte verhindern würde", sagte Major. Diesen Glauben hat Russland durch den Angriff auf die Ukraine trotz der engen wirtschaftlichen Verknüpfung mit dem Westen zerstört. "Jetzt geht es um politische Fragen." Neue Konzepte seien gefragt, wie das "Friendshoring", die Verlagerung von Produktion und Handel in befreundete Länder. Auch "Reshoring", also die Rückholung der Produktion nach Deutschland, erhält Auftrieb.

Beim Umbau der Handelbeziehungen sollen jedoch nicht nur ideologische Argumente gelten, sondern auch Sicherheitsüberlegungen. Das heißt konkret, die Handelspartner zu diversifizieren, also für jedes gehandelte Gut mehrere Lieferanten und Abnehmer zu suchen. Dabei stößt Deutschland mit seinem bisherigen Ansatz jedoch bei vielen Schwellenländern an seine Grenzen. Denn wirtschaftliche Unterstützung hatten Deutschland und die EU bislang häufig an politische Bedingungen wie Korruptionsbekämpfung oder demokratische Wahlen geknüpft - ganz anders als China. Dadurch ist Europa für nicht-demokratische Regierungen ein "schwieriger Partner". Angesichts der Rivalität mit China kommt es nun immer häufiger vor, dass Länder sich nicht mehr zwischen den beiden Blöcken entscheiden wollen. Major sagte: "Daran müssen wir uns gewöhnen."

Claudia Major ist Politikwissenschaftlerin und Leiterin der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik. (Foto: Jürgen Heinrich/imago)

Schließlich forderte die Forscherin und Politikberaterin, die wirtschaftliche und militärische Unterstützung für die Ukraine nicht abreißen zu lassen. Dass die Ukraine gegen Russland besteht, sei auch im Sicherheitsinteresse Deutschlands, weil nur so dem russischen Machthaber Wladimir Putin die Grenzen aufgezeigt werden könnten. Der beste Schutz für das Land seien "einsatzfähige, gut ausgebildete Streitkräfte", damit es sich selbst wehren kann. Irgendwann sei die bisherige militärische Ausrüstung aus sowjetischen Beständen jedoch "zerschossen". Dann sei die Ukraine völlig von westlicher Militärtechnik abhängig. Diese Waffenlieferungen reißen aber bei der Bundeswehr Lücken, die die Rüstungsindustrie schließen muss, sagte Major. Die Waffenhersteller sollten sich deshalb stärker an die Bedürfnisse der Ukraine anpassen.

Und das bedeutet: immer schwerere Waffen zu produzieren. Die Ukrainer sollten in die Lage versetzt werden, von Russland besetzte Gebiete zu "befreien", sagte Major. Die Entwicklung der vergangenen Monate zeige da eine "Lernkurve" bei der Bundesregierung. Major zufolge ist es deshalb nur eine Frage der Zeit, bis Deutschland Schützenpartner des Typs Marder liefert und dann "mit weiteren Partnern oder nach einer US-Entscheidung schwereres Gerät".

Bislang sind es meist die USA gewesen, die bei den Waffenlieferungen den Ton angaben. Doch Europa kann sich der amerikanischen Aufmerksamkeit für den Konflikt vor seiner Haustür nicht sicher sein; das Hauptaugenmerk der USA liegt Major zufolge auf ihrer Rivalität mit China. Deutschland müsse daher die eigene Aufrüstung weiter vorantreiben, das Nato-Ziel von zwei Prozent Verteidigungsausgaben gemessen am Bruttoinlandsprodukt erreichen und halten. Das wären rund 75 Milliarden Euro im Jahr. Das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für Anschaffungen wie nuklearwaffenfähige Kampfjets, Hubschrauber und bewaffnete Drohnen wirkt da gar nicht mehr so groß. Deutschland müsse sich endlich bewusst werden, dass es eine "Schlüsselrolle" für die Sicherheit Europas spielt, forderte Major. Die "Zeitenwende" des Kanzlers müsse in den Köpfen ankommen. Erfahrungsgemäß dauere so ein Mentalitätswandel etwa eine Generation. Aber: "Die Zeit haben wir nicht."

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