Korruptionsaffäre Ferrostaal:Das Schweigen der MANer

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Der MAN-Vorstand ignorierte Warnungen über Missstände bei der früheren Unternehmenstochter Ferrostaal - und verkaufte die Handelsgesellschaft an den arabischen Staatsfonds. Nun muss MAN Ferrostaal womöglich zurücknehmen.

Thomas Fromm und Klaus Ott

Der Patriarch hatte sich wie immer fest im Griff. Nur manchmal, da verhaspelte er sich ein wenig. Ferdinand Piëch wollte sich keine Blöße geben beim Aktionärstreffen von MAN Anfang der Woche. Immerhin hat sich der 74-Jährige vorgenommen, den größten Fahrzeugkonzern der Welt zu schaffen. Mit VW, Porsche und eben auch MAN.

Schwarze Löcher im Reich von Ferdinand Piëch. (Foto: N/A)

Doch jetzt knirscht es an allen Ecken und Kanten. Die angestrebte Verschmelzung von VW mit Porsche kommt wegen juristischer und steuerlicher Hindernisse nicht voran. Gegen Ex-Porsche-Chef Wendelin Wiedeking wird nach wie vor ermittelt. Die Kooperation mit dem japanischen Partner Suzuki stockt. Und während des MAN-Treffens musste Piëch verkünden, dass er seinen Plan, drei VW-Vorstände in den MAN-Aufsichtsrat zu hieven, wegen Bedenken der EU-Kommission zurückstellen muss. Die geplante Lastwagen-Allianz zwischen VW, MAN und Scania lässt auf sich warten.

Bei MAN kommen noch ganz andere Probleme hinzu. Die Korruptionsaffäre bei der ehemaligen Tochter Ferrostaal könnte den Lastwagen-Konzern mehr als eine halbe Milliarde Euro kosten. MAN hat die Essener Handelsgesellschaft Ferrostaal, die Industrieanlagen, U-Boote und vieles mehr in alle Welt verkauft, vor zwei Jahren mehrheitlich an den arabischen Staatsfonds IPIC veräußert. Später flogen viele mutmaßliche Schmiergeldpraktiken auf, die Justiz ermittelt. Nun stellt sich heraus: Die Vorstände von MAN und Ferrostaal waren schon vor dem Verkauf der Essener Handelsgesellschaft an IPIC über Missstände bei Ferrostaal informiert. Das belegen interne MAN-Prüfberichte, die der IPIC offenbar vorenthalten worden waren. Schlimmstenfalls gefährdet das alles Piëchs Pläne für die Lkw-Allianz.

Einfach weitergemacht?

Dass bei der Tochter Ferrostaal vieles im Argen lag, das hatte die eigene Revision den damaligen Konzernchefs von MAN und Ferrostaal, Hakan Samuelsson und Matthias Mitscherlich, und deren Vorstandskollegen aufgeschrieben. Die Abteilung Compliance in Essen existierte jedoch de facto nicht. Ausgerechnet jene Abteilung also, die mit Kontrollen und hausinternen Ermittlungen für saubere Geschäfte sorgen sollte. Nach Lektüre der Prüfberichte G 0264 vom 1. Oktober 2007 und G 0312 vom 18. November 2008 mussten die Vorstände im Bilde sein über die Missstände bei Ferrostaal. Die waren auffällig: Keine systematischen Kontrollen von Beraterverträgen, die durch den Siemens-Skandal generell unter Korruptionsverdacht geraten waren; keine Strategie, wie "Risiken identifiziert, beurteilt, gesteuert und überwacht werden können", kein Überblick, nichts, gar nichts. Nur eine "Black Box", ein schwarzes Loch.

Die Prüfberichte legen den Eindruck nahe, dass der Ferrostaal-Vorstand mit Wissen der MAN-Spitze nach dem Siemens-Skandal einfach weitermachte wie vorher - nach dem Motto, Augen zu und durch. Nun ist Ferrostaal ein großer Fall für die Justiz, wegen ganz offenkundiger Schmierereien beim Verkauf von U-Booten nach Griechenland und Portugal und weiterer Verdachtsfälle. In München liegt eine erste Anklage vor. Ferrostaal zieht gegen MAN vor Gericht. Auch der heutige Ferrostaal-Hauptaktionär IPIC aus Abu Dhabi am Persischen Golf streitet mit MAN.

Die Münchner sollen für den Betrag haften, den die Justiz bei Ferrostaal abschöpfen will (177 Millionen Euro). Die Münchner sollen auch die Kosten für die internen Ermittlungen bei Ferrostaal übernehmen (80 Millionen Euro). Sie sollen Gewinne, die sie aus Essen kassiert haben, herausrücken (103 Millionen Euro). Und die Münchner sollen schließlich mögliche Steuer-Nachzahlungen von Ferrostaal für falsche verbuchte Betriebsausgaben begleichen (geschätzte 180 Millionen Euro). Gesamtrisiko: mehr als eine halbe Milliarde Euro. Für MAN könnte es am Ende günstiger sein, heißt es aus Konzernkreisen, Ferrostaal zurückzunehmen. Dann müssten 450 Millionen Euro zurückgezahlt werden.

So hat Piëch bestimmt nicht kalkuliert, als er seine Lastwagen-Allianz aus VW, MAN und Scania plante. Nun ist daraus eine Rechnung mit vielen Unbekannten geworden. Wer setzt sich durch, wer muss zahlen? Das hängt wesentlich davon ab, was MAN den Arabern vor dem Verkauf von Ferrostaal über die Essener Handelsgesellschaft erzählt hat. Ein MAN-Sprecher sagt, die beiden Prüfberichte und die darin dokumentierten Risiken "sollten IPIC nicht vorenthalten werden". IPIC habe alle angeforderten Unterlagen und Informationen bekommen, und zum Thema Compliance habe es sogar eine gesonderte Telefonkonferenz mit "umfassenden Antworten" gegeben. Die Revisionsberichte waren dem Vernehmen nach nicht dabei.

In Essen sollte Vorstandschef Mitscherlich nach dem ersten Prüfreport vom Oktober 2007 für konsequente Kontrollen sorgen. "Verantwortlich für die Umsetzung: Dr. Mitscherlich", stand im Verteiler. Aber auch der MAN-Vorstand unter Samuelsson wäre gefordert gewesen. Schließlich enthielt der Prüfbericht verdächtige Fälle: Beraterhonorare in Turkmenistan und Libyen ohne irgendwelche Nachweise, was dafür getan worden sei. Alles alarmierend genug. Doch offenbar änderte sich kaum etwas. Bei der Staatsanwaltschaft in München ist sogar ein Schmiergeldfall bei Ferrostaal in Argentinien aus dem Jahr 2008 aktenkundig, lange nach Beginn des Siemens-Skandals Ende 2006 und nach dem ersten internen Prüfbericht von 2007.

MAN will sich mit IPIC vergleichen, aber nicht um jeden Preis. "Ein Fehlverhalten von MAN liegt nicht vor", sagt ein Konzernsprecher. MAN werde seine Rechte gegenüber IPIC wahren. Was aber, wenn MAN doch verlöre? Dann hätte Piëch ein Unternehmen mehr. Nur: Was will der Patriarch, der ein globales Auto- und Lkw-Konglomerat schmiedet, mit einem Industrieanlagenbauer und Handelskonzern wie Ferrostaal?

© SZ vom 01.07.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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