Nachdem genügend Leichtgläubige auf ihn hereingefallen sind, wandte sich der Betrüger an seine Abnehmer im Netz. Er habe derzeit "Unmengen an Opfern", schrieb er am Mittwochmorgen. Frische deutsche Bankkonten seien im Angebot, zu haben für 499 Euro das Stück, zahlbar in Bitcoin. Eröffnet bei Online-Banken wie N26, von ahnungslosen Dritten, angelockt über eine schlecht gemachte Webseite, auf der der Betrüger schnelle Kredite verspricht. Wer darauf anspringt, dessen Identität wird missbraucht, um ein Konto zu eröffnen.
Klingt verrückt, doch ist das nur ein kleiner, aktueller Ausschnitt aus einer Betrugsmasche, die den Behörden mehr und mehr zusetzt. Mal sind es vermeintliche Marktforschungsfirmen, die Kunden anstiften, per Video-Identifikation Bankkonten zu eröffnen. Mal sind es Webseiten ohne Impressum, über die Menschen in Geldnot an Betrüger geraten, die sie veranlassen, ihnen Ausweiskopien zu schicken und sogar Zugangsdaten zu neu eröffneten Konten.
Man muss noch nicht einmal ins Darknet abtauchen, um zu sehen: Der illegale Handel mit Bankverbindungen, die Ebay-Betrügern oder Betreibern von Fake-Shops offenstehen, floriert. Die Ermittlungsbehörden sind zu langsam, betroffene Banken kontrollieren zu lasch. Der Schaden geht mittlerweile in die Millionen.
Sobald eine Bank verdächtige Geldströme bemerkt, ist sie verpflichtet, einen Geldwäscheverdacht an die Financial Intelligence Unit (FIU) beim Zoll zu melden. Nach Recherchen von NDR und Süddeutscher Zeitung verzeichnet die Behörde einen bedenklichen Rekord: Mehr als 70 000 Verdachtsmeldungen erhielt sie im vergangenen Jahr. 2017 waren es noch etwa 59 000. Vor zehn Jahren, als die FIU noch beim BKA angesiedelt war, zählte man gerade einmal 7300 Meldungen. In der Zwischenzeit sind die Banken sensibler geworden und die Vorgaben zum Umgang mit verdächtigen Geldern strenger. Nach Angaben von Ermittlern gibt es aber auch mehr Fälle. So viele, dass die FIU kaum hinterher kommt und sich Fälle bereits stapeln.
Je schlechter die Kontrollsysteme einer Bank funktionieren, desto beliebter sind sie bei Kriminellen
Von nahezu jeder Bank gibt es "Bankdrops", wie die gehandelten Konten im Szenejargon heißen. Der Preis variiert je nach Qualität: Je länger es dauere, bis ein Konto geschlossen werde, desto mehr koste es, heißt es in Ermittlerkreisen. Je schlechter die Kontrollsysteme einer Bank funktionieren, desto beliebter ist sie also bei Kriminellen. Klickt man sich durch die Treffpunkte der Internetbetrüger, tauchten die Namen von Online-Instituten wie der Smartphone-Bank N26 in den vergangenen Monaten besonders häufig auf.
NDR und SZ hatten Mitte April erstmals über eine Liste mit mehr als 400 Konten bei N26 berichtet, die mutmaßliche Betrüger dort eröffnet hatten - wobei die Liste offenbar nur einen kleinen Teil der missbräuchlich verwendeten Konten zeigte.
Das Problem war dabei nicht nur die Zahl der Konten, sondern auch die Zeit, bis sie geschlossen wurden. Die Finanzaufsicht Bafin verlangt von Finanzinstituten, dass Banken auffällige Transaktionen unverzüglich der FIU melden. Nach Informationen von NDR und SZ aber ist genau das bei N26 in zahlreichen Fällen wesentlich langsamer passiert als "unverzüglich". Statt nur wenige Stunden oder Tage waren einige der Konten mehrere Wochen aktiv, bevor die Online-Bank sie einfror und anschließend schloss. N26 teilt mit, man habe das Monitoring nun im Griff; es seien zusätzliche Systeme im Einsatz. Darüber hinaus gehe man aktiv gegen Fake-Konten vor. Lediglich bei der Kommunikation mit Kunden sei man in der Vergangenheit zu langsam gewesen, räumt die Bank ein.
Sensibilität der Banken ist hoch
Die Finanzaufsicht sieht das offenbar anders. Zuletzt hat sie eine "Anordnung" an N26 verschickt, in der sie explizit auf Mängel in der Geldwäscheprävention aufmerksam machte. Einen solchen Schritt geht die Bafin sonst fast nie.
Auch die ermittelnden Behörden sind alarmiert. Das Bundeskriminalamt bestätigt auf Anfrage: "Bisher sind mehrere Hundert Fälle dieser betrügerischen Kontoeröffnungen bei N26 bekannt geworden." Zu diesen Fällen kommen Hunderte bei anderen Banken. Das niedersächsische Landeskriminalamt betont: "Die Problematik, dass bei Direktbanken mit Video-Ident-Verfahren betrügerische Kontoeröffnungen stattfinden, beschränkt sich nicht allein auf die N26 Bank." Womöglich sind also Tausende Konten betroffen. Multipliziert mit der Summe, die möglicherweise über jedes Konto verschoben wird, erscheint ein Schaden von mehreren Millionen Euro realistisch.
Die Sensibilität der Banken ist hoch: Lieber melden sie einen Verdacht zu viel, als sich vorwerfen zu lassen, ihre Systeme nicht im Griff zu haben. So entsteht mehr Aufwand als nötig. "Wie gut die FIU ihre Arbeit erfüllen kann, hängt auch wesentlich von der Qualität der Verdachtsmeldungen ab. Diese ist noch nicht bei allen Meldeverpflichteten gleichbleibend hoch, obwohl sie sich erkennbar Mühe geben", sagt FIU-Chef Christof Schulte.
Er bemängelt zudem: "Oft sind die Verdachtsmeldungen mangelhaft ausgefüllt, weshalb wir nachhaken müssen." Das kostet Zeit, die der FIU bei der Analyse und Verteilung der Fälle fehlt und Betrügern tendenziell einen Vorsprung verschafft. Zwar wurden die Planstellen bei der FIU bereits verdreifacht, doch angesichts von mehr als 70 000 Meldungen ist das ein strammes Programm. "Die Arbeitsauslastung ist sehr hoch für all unsere Abteilungen", sagt Schulte. Es fehlt zudem am Abgleich mit den Datenbanken der Landespolizeibehörden, der gesetzlich nicht vorgesehen ist.
Eine erste Besserung ist in Sicht: Die Verbraucherminister wollen die Bürger vor Fake-Shops schützen und wollen eine Ausweispflicht bei der Eröffnung einer de-Domain einführen. Bis die aber in Kraft tritt, dürfte es noch dauern. Es sind gute Zeiten für Internetbetrüger in Deutschland.