Politiker in Nicaragua wollen dem Land einen alten Traum erfüllen: Mit großer Mehrheit hat das Parlament den Bau einer neuen Verbindung zwischen Atlantik und Pazifik beschlossen. Schon seit dem 19. Jahrhundert spukt die Idee für die etwa 200 Kilometer lange Wasserstraße durch das zentralamerikanische Land - jetzt soll dem Panamakanal endlich Konkurrenz gemacht werden. Das Projekt wird wohl Milliarden verschlingen, soll aber noch viel mehr Geld einbringen.
Nicaragua bietet gute geographische Voraussetzungen für das Vorhaben, die zwei Weltmeere zu verbinden. Schon während des kalifornischen Goldrauschs zur Mitte des 19. Jahrhunderts verlief durch das Land eine der wichtigsten Routen von der Ost- zur Westküste der USA. Denn die Landenge ließ sich großteils auf natürlichen Wasserwegen durchqueren: dem Fluss San Juan und dem Nicaragua-See. Schon früh kam in den USA die Idee eines Kanals durch Nicaragua auf - doch die Wahl fiel schließlich auf Panama.
Nachdem die Franzosen mit ihrem Kanalbau-Projekt in Panama dramatisch gescheitert waren, verfolgten die USA den Bau später weiter. 1914 eröffneten sie den Kanal und kontrollierten ihn bis 1999, als sie die Kontrolle an Panama übergaben. Durch den Kanal schwimmen derzeit etwa fünf Prozent des Welthandels. Er erspart den Schiffen den etwa 15.000 Kilometer langen und mühsamen Umweg um das Kap Hoorn an der Südspitze Südamerikas. Seit Panama den knapp 82 Kilometer langen Kanal selbst verwaltet, beschert er dem Land jährliche Einnahmen von einer Milliarde Dollar.
Derzeit wird der Kanal in Panama erweitert, die Arbeiten an einer der größten Baustellen der Welt laufen noch. Der Ausbau soll etwa 5,3 Milliarden US-Dollar kosten und bis zum 100-jährigen Jubiläum 2014 abgeschlossen sein. Dann sollen auch Schiffe mit bis zu 12.000 Containern an Bord durch die Wasserstraße fahren. Bisher können das nur kleinere Schiffe, die höchstens 34 Meter breit und 305 Meter lang sind. Sie können maximal nur 4600 Container transportieren. Da sich der Preis für die Passage nach Art und Größe des Schiffes richtet, dürften die Einnahmen von 2014 an stark steigen.
Nicaragua wagt eine Rieseninvestition
In den Ohren nicaraguanischer Politiker klingt das so verlockend, dass am Dienstag 85 der 91 Abgeordneten für den Bau der Ozean-Verbindung stimmten. Sie schufen damit einen rechtlichen Rahmen für das Bauprojekt, der auch die Einrichtung einer Aufsichtsbehörde vorsieht. Noch ist nicht klar, auf welcher Strecke die Verbindung entstehen soll. Die Regierung hält sechs verschiedene Varianten bereit und plant dafür eine Rieseninvestition.
30 Milliarden Dollar, gut das Vierfache seines jährlichen Bruttoinlandsprodukts, will Nicaragua ausgeben. Ganz allein kann und muss es die Summe wohl auch nicht stemmen, denn mögliche Investoren gibt es laut Projektleiter Eden Pastora schon: "Wir haben mit Japan, China, Russland, Venezuela, Brasilien sowie Südkorea gesprochen - und alle sind interessiert."
Der Welthandel werde weiter wachsen und natürlich werde die eigene Wasserstraße "breiter und tiefer" als der Panamakanal. "Diese Initiative ist der Gipfelpunkt eines historischen Bestrebens Nicaraguas, von seiner geografischen Lage zu profitieren", sagte Jaime Incer, Umweltexperte im Präsidialamt.
Kritiker wollen sich von den Zahlen nicht beeindrucken lassen. Sie halten das Vorhaben aber für unrealistisch und werfen der Regierung vor, nur von der Armut im Land ablenken zu wollen. "Auch wenn der Kanalbau einen wirtschaftlichen Impuls geben kann, bedeutet das nicht notwendigerweise, dass er auch den Menschen eine positive Entwicklung bringt", sagte Eliseo Núñez Morales, Abgeordneter der kleinen Partei BND der Zeitung El Nuevo Diario.
Der frühere Parlamentsabgeordnete José Pallais sagte: "Es ist schwer vorstellbar, dass das Projekt in den kommenden Jahren angegangen wird. Europa ist in der Rezession, Japan auch. Chinas Wirtschaft wächst langsamer, und Russland geht es wirtschaftlich schlecht." Der Kanal sei bislang nur "ein Traum".
Grenzkonflikte machen Probleme
Aber nicht nur die Finanzierung dürfte schwierig sein. Auch Grenzkonflikte könnten das Projekt behindern. Eine der anvisierten Routen würde den Río San Juan nutzen. Der Fluss bildet einen Großteil der Grenze zu Costa Rica, die schon seit einem Jahrhundert umstritten ist. So forderte Costa Rica nach Bekanntwerden der Kanalpläne auch umgehend Erklärungen von Nicaragua.
Panama wiederum sorgt sich angeblich nicht wegen der möglichen neuen Konkurrenz: "Wir sind nicht beunruhigt, wir sind konkurrenzfähig", sagt der dortige Kanal-Chef Alberto Alemán. Zudem sei "jedes Infrastrukturprojekt in der Region positiv".