Kommentar:Recht, aber nicht billig

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(Foto: Bernd Schifferdecker)

Im Kampf gegen Steuerflucht müssen Konzerne künftig mehr Geschäftszahlen veröffentlichen. Das hat eine kleine positive Folge - und eine fundamentale.

Von Bastian Brinkmann

Es macht keinen Spaß, die eigene Steuererklärung zu machen, es macht keinen Spaß, Geschäftszahlen von Konzernen zu studieren. Das ist auch völlig okay, denn es geht bei dieser großen Transparenzreform nicht um Spaß - sondern um Geld, zumindest vordergründig. Im Kern geht es um viel mehr: die Glaubwürdigkeit der sozialen Marktwirtschaft.

Konzerne müssen künftig transparent aufzeigen, wie die Eckdaten ihres Geschäfts in einzelnen Ländern lauten. Aufzulisten sind die Beschäftigtenzahl, der Umsatz, der Gewinn, die Körperschaftsteuer. Das haben die Wirtschaftsminister der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union dieser Tage entschieden, nach jahrelangem Streit. Die entsprechende EU-Richtlinie muss noch vom EU-Parlament und den Nationalstaaten umgesetzt werden; bis sie in Kraft tritt, wird es noch dauern. Das öffentliche "Country-by-Country-Reporting", wie es in der Fachwelt genannt wird, ist ein enormer Fortschritt.

Die Firmen müssen diese Berichte schon erstellen, noch liegen sie aber nur den jeweils zuständigen Finanzbehörden vor, sind nicht öffentlich. Unter strengen Auflagen, die den Datenschutz und das Steuergeheimnis berücksichtigen, können Forscher mitunter mit solchen Daten arbeiten. Ökonomen vom Ifo-Institut haben vor Kurzem solche Geschäftszahlen ausgewertet. Die Ergebnisse sind gesellschaftlich relevant und zeigen somit, wie wichtig diese Zahlen sind.

Vermutlich bekommt der Staat etwas mehr Geld. Noch wichtiger: Die Wirtschaft wird fairer

Deutsche Unternehmen verschieben demnach Gewinne in Steueroasen, sodass dem Staat jährlich rund sechs Milliarden Euro an Einnahmen entgehen. Das klingt nach viel Geld, zumal wenn man gerade in die eigene Steuererklärung Zahlen mit wesentlich weniger Nullen eingetragen hat. Doch für den Staat ist das gar nicht so viel Geld. Bund, Länder, Kommunen und Sozialkassen haben 2019 rund 1540 Milliarden Euro eingenommen. Würden alle deutschen Konzerne alle Steuertricks sofort einstellen, würde der Staat also 0,4 Prozent oder weniger zusätzlich bekommen. Das ist beileibe nicht nichts, aber kein Steuerplus mit Wumms.

Betroffen sind Firmen mit mindestens 750 Millionen Euro Umsatz. Viele von ihnen und ihre Interessensverbände haben die neuen Transparenzregeln vehement abgelehnt. Chinesische Konzerne, argumentierten sie beispielsweise, könnten die Veröffentlichungen ausnutzen, durch billigere Preise oder Übernahmen. Wenn für die Konkurrenz solche Transparenzpflichten nicht gelten, kann das im Einzelfall ein Wettbewerbsnachteil werden - aber höchstens ein marginaler, weil etwa Börsenaufsichten bereits schon einiges an Transparenz verlangen.

Dass das Plus an Transparenz auch zu einem Plus bei den Staatseinnahmen führt, ist nicht gesichert, die Wirkung kann schließlich nur eine mittelbare sein. Die Hoffnung ist aber nicht abwegig. Für Banken gelten nämlich die Transparenzregeln bereits seit Jahren. Mussten europäische Finanzhäuser dadurch neu offenlegen, dass sie in Steueroasen aktiv sind, zahlten sie anschließend spürbar mehr Steuern im Vergleich zu Banken, die nichts offenlegen mussten. Auch die Aktionäre der Institute merkten das. Sie bestraften Banken, die in gewissen Steueroasen aktiv waren, weil die Transparenz im zweiten Schritt die Kosten - das sind Steuern aus Konzernsicht - erhöhen könnte. Der Unmut der Aktionäre traf außerdem Institute, die relativ wenig Firmenkunden und relativ viele Privatkunden haben, die Geschäftsbeziehungen führen mit Menschen, die sich über Steuertricks von Konzernen aufregen können.

Sich in die Länderberichte schauen zu lassen, bringt manchen Unternehmen Ärger. Bayer und die Grünen haben soeben darüber gestritten, ob und wie sehr der Konzern sich vor Steuerzahlungen drückt. Solche Debatten sind anstrengend, aber wichtig. Die Wut auf Konzerne, die sich vermeintlich oder tatsächlich aus der Verantwortung stehlen, ist groß. Wenn ein Unternehmen steuerlich nichts zu verbergen hat, kann es einfach die Daten online stellen - fertig. Einzelne Konzerne machen dies bereits, ohne dass dramatische Nachteile bekannt geworden sind.

Zur Debatte stehen nicht nur potenziell Milliarden Euro für den Staat. Sondern vor allem die Frage, ob alle nach den gleichen Regeln wirtschaften. Es ist konstitutiv für die soziale Marktwirtschaft, dass keiner sich unfaire Vorteile verschafft. Die neuen Transparenzberichte helfen herauszufinden, wann dem so ist - und wann nicht.

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