Studie:Wie Bayer seine Steuerzahlungen kleinhält

Lesezeit: 4 min

Wo fallen Gewinne an, wo werden sie wie versteuert? Eine wichtige Frage bei international tätigen Unternehmen. Im Bild ein Mitarbeiter des Forschungs- und Entwicklungszentrums von Bayer HealthCare im chinesischen Qidong. (Foto: Zhang Yuwei via www.imago-images.de/imago images/Xinhua)

Eine Studie im Auftrag der Grünen im Europaparlament nimmt sich Bayer vor. Der Dax-Konzern reagiert empfindlich - schon vor der eigentlichen Veröffentlichung.

Von Elisabeth Dostert, München

Die Reaktion kam vor der eigentlichen Aktion. Noch bevor eine Studie über das Steuergebaren von Bayer in die breite Öffentlichkeit gelangte, löste der dem Dax-Konzern zur Stellungnahme zugesandte Entwurf ungewöhnlich heftige Gegenwehr aus. Unter der Schlagzeile "Pure Polemik" äußerte sich schon am Donnerstag Bernd-Peter Bier, Leiter der Finanzen, auf der Homepage des Konzerns. Die Vorwürfe entbehrten jeder Grundlage, kritisiert Bier. Es handele sich um einen "PR-Stunt", also eine Veranstaltung, um Aufmerksamkeit zu erzielen. Das ist eher ein Begriff aus dem Vokabular von Presseleuten. Mit PR-Stunts kennt sich auch Bayer aus. Im sozialen Netzwerk Clubhouse befragte am Freitag Christian Maertin, Leiter der Unternehmenskommunikation, Matthias Berninger, den Chef-Lobbyisten des Konzerns, Finanzer Bier und Christoph Trautvetter, einen der Autoren der Studie.

Für das Papier haben sich die Autoren Trautvetter und Steffen Redeker die Bilanzen aus den Jahren 2010 bis 2019 angesehen. Für Deutschland, die Schweiz, die USA, Brasilien und China, die laut Studie rund die Hälfte des Konzernumsatzes ausmachen, ermittelten sie eine effektive Steuerquote von im Mittel 23,8 Prozent. In die Rechnung flossen Steuern auf Unternehmensgewinne ein. Die Quote liege damit fast zehn Prozentpunkte unter dem Durchschnittssatz dieser Länder und dem in Leverkusen, wo der Agro- und Pharmakonzern seinen Sitz hat. Die Differenz beschere Bayer einen Steuervorteil von fast drei Milliarden Euro.

SPD-Wahlprogramm
:Vermögensteuer, Korrekturen an Hartz IV und ein Tempolimit

Wenige Seiten, viel Wumms: Was die SPD in ihrem schmalen Wahlprogramm verspricht, hat es in sich.

Von Mike Szymanski

Das Papier ist nicht die erste Fallanalyse zum Steuergebaren von Unternehmen. Alle belegen, sagt Trautvetter, der für das Netzwerk Steuergerechtigkeit und als selbständiger Politikberater arbeitet: "Multinationale Konzerne nutzen Bilanzierungstricks, um Gewinne in Steueroasen zu verschieben, und befördern damit den internationalen Steuerwettbewerb." Das verschaffe ihnen im Vergleich zu lokalen Anbietern unfaire Wettbewerbsvorteile und bringe Länder um Einnahmen, die sie für ihre Gesundheitssysteme und den Kampf gegen den Klimawandel dringend benötigten. Insgesamt erhöhte sich der Studie zufolge der Teil der von Bayer auf die weltweiten Gewinne in Deutschland verbuchten Steuern binnen zehn Jahren von 20 Prozent auf fast 60 Prozent 2019, der Anteil der Beschäftigten und der Erlöse in Deutschland sank in dieser Zeit.

Die Bayer-Leute reizt schon der Titel der Studie - im Original: "Harmful tax competition. How Bayer rigs corporate taxation in Europe". Übersetzt: "Schädlicher Steuerwettbewerb. Wie Bayer die Unternehmensbesteuerung in Europa manipuliert". Sie fühlen sich dem Vorwurf des Steuerbetrugs ausgesetzt. Dem ist nicht so, weder in der Studie noch in der Clubhouse-Veranstaltung. "Wir haben bei Bayer keinen Steuerbetrug und kein außergewöhnlich aggressives Steuervermeidungsverhalten gefunden", sagt Trautvetter auf Clubhouse. Bayer sei ein "typisches Dax-Unternehmen, ganz ähnlich aufgestellt wie zum Beispiel BASF, auch von der Steuerstrategie ... mit einer großen Präsenz in Holland." Das Land liegt auf Platz 4 im Steueroasenranking 2019 des Netzwerks Tax Justice.

Bayer hat dort 27 Tochterunternehmen mit zusammen gut zwei Milliarden Euro Gewinn in den Niederlanden. Die Bayer-Leute weisen darauf hin, dass der Konzern dort ein großes operatives Geschäft hat, unter anderem das Geschäft mit Gemüsesaaten. In der Studie wird allerdings explizit darauf hingewiesen, dass ein Firmensitz in einer Steueroase nicht zwangsläufig bedeute, dass Gewinne dorthin verschoben wurden. Welcher Anteil in solchen Ländern erwirtschaftet und versteuert werde, lasse sich nicht nachvollziehen, weil Bayer keine konsolidierten Gewinne für einzelne Länder veröffentliche.

Die Studie legt dar, wie der Steuerwettbewerb von Bayer befördert wird. Anfang des Jahrtausends seien die Unternehmenssteuern in Deutschland von rund 50 Prozent auf weniger als 40 Prozent gesenkt worden. Einer der "zentralen Treiber" der rot-grünen Reform sei der mittlerweile verstorbene Heribert Zitzelsberger gewesen, der 1987 vom Bundesfinanzministerium zu Bayer wechselte und 1999 als Finanzstaatssekretär nach Berlin ging. In der Folge senkten dann auch die Niederlande die Unternehmenssteuern und führten 2007 die Patentbox ein, immaterielle Güter werden niedriger belastet.

Trautvetter und sein Co-Autor haben sich auch "innerdeutsche Steueroasen" angesehen. Als solche werden Kommunen definiert, in denen die Gewerbesteuer unter 10,5 Prozent liegt. Der Studie zufolge haben 15 der 59 Tochtergesellschaften von Bayer in Deutschland ihren Sitz in solchen innerdeutschen Steueroasen. Darunter fallen Monheim und Schönefeld bei Berlin. Monheim, halten die Bayer-Leute dagegen, sei schon seit Jahrzehnten der Sitz des Agrargeschäfts, Berlin sei ein wichtiger Pharmastandort.

Kommunen nutzen die Gewerbesteuer als Lockmittel

Die Studie zeigt auch, wie Sitzverlagerungen innerhalb Deutschlands den Steuersätzen folgen. 2012 begann Monheim die Gewerbesteuer zu senken. "Sie macht ungefähr die Hälfte der Unternehmenssteuern in Deutschland aus", sagt Trautvetter. Von Leverkusen nach Monheim sind es rund 15 Kilometer. Kurz nach der Entscheidung siedelte Bayer laut Studie dort einige Tochtergesellschaften an, darunter die Bayer Intellectual Property GmbH. Viele Firmen folgten den verlockenden Steuersätzen. 2019 entschloss sich Leverkusen, ebenfalls die Gewerbesteuer zu senken. Im Dezember 2020 verlagerte Bayer laut Studie den Sitz einiger Immobilientöchter von Schönefeld nach Leverkusen.

Bayer verlagere Dinge nicht ohne wirtschaftliche Substanz, widersprach Bayer-Mann Bier. 2012 habe Bayer seine gesamten Patentabteilungen in Monheim zusammengeführt, "um Synergien zu heben", so Bier: "Dass am Ende natürlich so ein Steuersatz noch etwas Positives ist, ist vom Gesetzgeber so gewollt." Im Grundgesetz sei "ganz bewusst" den Gemeinden ein Steuerhebesatzrecht eingeräumt worden, damit der kommunale Steuerwettbewerb stattfinde. Am Ende sei Steuerpolitik auch Standortpolitik.

In dem Clubhouse-Gespräch sei die Studie "in der Substanz in keinster Weise angegriffen" worden, sagt der Grünen-Europaabgeordnete Sven Giegold. Er war selbst nicht dabei, ließ sich aber von einer Mitarbeiterin berichten. An der Substanz der Studie "müsse kein Federstrich geändert werden." Steuervermeidung brauche eine politische Lösung, fordert Giegold: "Wir brauchen verbindliche länderbezogene Steuertransparenz und Mindeststeuersätze für Unternehmensgewinne." Dann komme der Wettbewerb um die niedrigsten Steuern für mobiles Kapital endlich zu einem Ende, sagt Giegold der SZ.

Bayers Politikchef Berninger, selbst Mitglied der Grünen, was er gerne und oft betont, gibt sich auf Clubhouse emotional: "Wir sind nicht diejenigen, auf die man ständig einschlagen kann, das muss irgendwann aufhören." Er war Anfang 2019 geholt worden, wenige Monate nach der Übernahme von Monsanto. Er wäre kein Cheflobbyist, wenn er nicht eigene Wünsche für den Titel der Studie hätte: "Bayer zahlt Steuern in Europa und Deutschland im Einklang mit den Gesetzen."

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Europäische Union
:Neuer Anlauf für die Aktiensteuer

Finanzminister Scholz kam mit seinem Vorstoß für eine EU-Abgabe auf Börsengeschäfte nicht weiter. Nun versucht sich Portugals Regierung an der undankbaren Aufgabe.

Von Björn Finke

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: