Entwicklungshilfe:Gegen Armut brauchen wir Revolutionen

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Armut in Afrika: Szene aus einem Slum in Nairobi, Kenia (Foto: AFP)

Die UN wollen den Menschen in der Welt helfen, die weniger als 1,10 Euro am Tag zum Leben haben. Das geht nur gemeinsam mit den Armen.

Kommentar von Michael Bauchmüller

Was es bedeutet, in "extremer Armut" zu leben, das ist in den Wohlstandsoasen des Nordens selbst für einen Bettler schwer vorstellbar. Nach den Maßstäben der Weltgemeinschaft muss man schon weniger als 1,25 Dollar am Tag haben, um extrem arm zu sein. Das sind umgerechnet 1,10 Euro am Tag oder 33 Euro im Monat. Sich von 33 Euro im Monat jeden Tag zu ernähren, sich zu kleiden, seinen Kindern eine Schulbildung zu finanzieren, das sprengt jede Vorstellungskraft. Mehr als 800 Millionen Menschen müssen das trotzdem schaffen, Tag für Tag.

Seit dieser Woche hat die Weltgemeinschaft immerhin neue Ziele für diese Menschen. Bis 2030 soll die extreme Armut "ausgerottet" sein, lauten die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen. Die Ungleichheit soll schwinden, und zwar sowohl zwischen den Staaten als auch innerhalb derselben. In einer Welt, in der demnächst das eine Prozent der Reichsten mehr besitzen wird als der gesamte Rest, sind das überfällige, ja selbstverständliche Ziele. Doch allein der Kampf gegen die Armut verlangt wahre Revolutionen.

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Nur auf den ersten Blick wirken die neuen Ziele wie eine logische Fortschreibung der alten. Im Jahr 2000 verständigten sich die Vereinten Nationen darauf, die Zahl der Menschen in extremer Armut zu halbieren, bis 2015. Dies ist gelungen. So gesehen steht nur noch die zweite Hälfte an. Aber das ist die schwierigere.

Entwicklungshilfe muss in Bildung investieren und Eigeninitiative fördern

Denn Millionen von Armen verschwanden allein durch rapides Wachstum in Fernost aus der Statistik. Nur ist das kein Modell für die übrigen 800 Millionen, viele davon in Afrika. Angesichts der Umweltfolgen, die sich in China auftun, oder der miesen Sozialstandards, zu denen in Südostasien viele ihr Auskommen finden, mag man das den Ärmsten auch nicht unbedingt wünschen.

Extreme Armut hat viele Gesichter. Sie zeigt sich nicht nur in Slums, in denen Menschen sich als Tagelöhner verdingen oder als fliegende Händler die gleichen Produkte anbieten wie Dutzende andere auch. Sondern auch in Millionen Kleinbauern, die fernab der Städte von dem leben, was ihr kleines Stück Land abwirft, die schon deshalb kaum eigenes Einkommen haben. Bis 2030 die extreme Armut auszurotten heißt deshalb auch, ihnen eine Perspektive zu bieten, bevor auch sie in die Slums der Städte fliehen.

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Das verlangt Revolutionen hier wie dort. Ein Bauer, der vom eigenen Acker lebt, kann Einkünfte nur durch Überschüsse erzielen. Ein Land, das mit diesen Überschüssen Handel treiben will, wird das nur mit einer eigenen Wertschöpfung schaffen, durch "Veredelung" von Produkten - und sei es nur dadurch, dass aus Tomaten Ketchup wird. Beides kann nur gelingen mit Bildung und Eigeninitiative, mit Wissen über die Reichtümer, die Erträge guter Böden bieten können. Beides erfordert auch eine Infrastruktur, die es erlaubt, mit der Ernte zu handeln, ehe sie verfault. Und all das hilft nur, wenn die Ärmsten endlich die faire Chance erhalten, am Weltmarkt mit den etablierten Reichen zu konkurrieren.

Wer Entwicklungsländer gesehen hat, mag ahnen, wie weit der Weg ist. Durch die gängige Praxis der Entwicklungshilfe wird er nicht kürzer - solang viele der Geberstaaten ihr eigenes Süppchen kochen, oft getrieben von Rohstoffhunger und trüben Hintergedanken. Wenn das UN-Ziel der "Agenda 2030" auch nur in Reichweite rücken soll, dann allein als gemeinsames, planvolles Unterfangen der entwickelten Welt. Und auch nur gemeinsam mit den Armen, mit ihrer Befähigung und ihrem Willen zur Veränderung. Es gibt mehr als 800 Millionen Gründe, neue Wege aus der Armut zu suchen.

© SZ vom 02.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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