Knorr-Bremse:Der Übervater lässt die Börse rein

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Ein bedeutender Zulieferer öffnet sich für Aktionäre: Knorr-Bremse wurde von seinem langjährigen Eigentümer zu einem Weltmarktführer geformt.

Von Dieter Sürig und Markus Zydra, München/Frankfurt

Klaus Deller, der Chef des Fahrzeugzulieferers Knorr-Bremse, ist im September viel unterwegs. Eine Fachmesse folgt auf die andere. Deller, 56, präsentiert dort nicht nur einen vollautomatischen Lkw, sondern auch eine neue Generation von Bremssystemen. Zuhause in München haben sich die Aufsichtsräte des Konzerns derweil mit der künftigen Eigentümerstruktur von Knorr-Bremse beschäftigt. Auch hier soll es eine Art Generationswechsel geben. Eigner Heinz Hermann Thiele, 77, hatte zuletzt einen Börsengang in Aussicht gestellt. Doch die unsichere Wirtschaftslage, das ungünstige Umfeld in der Automobilbranche und mehrere abgesagte Börsengänge hatten Zweifel genährt, ob Knorr-Bremse wirklich an die Börse gehen wird.

Nun steht fest: Er kommt. Der Bremsenhersteller will im vierten Quartal einen "bedeutenden Minderheitsanteil" an die Frankfurter Börse bringen, wie das Unternehmen bekannt gab. In Finanzkreisen ist von bis zu 25 bis 30 Prozent die Rede, dort wird Knorr-Bremse mit etwa zwölf Milliarden Euro bewertet. Es wäre somit der zweitgrößte Börsengang in Deutschland in diesem Jahr, nach der 4,2 Milliarden Euro großen Neuemission von Siemens Healthineers im Frühjahr.

Knorr-Bremse will nur bestehende Aktien platzieren, Heinz Hermann Thiele und seiner Familie gehören noch 100 Prozent der Anteile. Sie werden auch nach dem Börsengang die Mehrheit behalten. "Knorr-Bremse wächst seit Jahrzehnten sehr erfolgreich und profitabel, und wir wollen diesen Weg fortsetzen", so Vorstandschef Deller. Aus Branchensicht ist der Zeitpunkt für den Börsengang allerdings nicht der günstigste. Sowohl Autohersteller als auch -zulieferer haben seit Jahresbeginn Kursverluste verzeichnet, wie der Index der Branche zeigt. Conti-Aktien verloren beispielsweise 32 Prozent, Schaeffler 26 Prozent, Daimler 22 Prozent. Conti hatte erst im August seine Ziele gestutzt, wegen hoher Kosten und geringerer Umsatzerwartungen. Ähnlich erging es Schaeffler im Frühjahr. Wegen des Handelsstreits mit den USA und des Dieselskandals senkte auch Daimler im Juni seine Prognose.

Produktion von Radbremsscheiben für Schienenfahrzeuge bei Knorr-Bremse in München. (Foto: dpa)

Während der globale Markt für Börsengänge wegen der Furcht vor einem Handelskrieg in diesem Jahr geschrumpft ist, zeigt sich in Deutschland ein anderes Bild, beobachtet die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY. Demnach verdoppelte sich die Zahl der deutschen Börsengänge im Vergleich zum zweiten Quartal 2017 auf acht. Weltweit waren es im zweiten Quartal 325, was einem Rückgang um 26 Prozent entsprach. In Deutschland seien in diesem Jahr auf Basis des starken ersten Halbjahres auch mehr als die am Jahresanfang prognostizierten 18 Börsengänge realistisch, sagt Martin Steinbach von EY. Allerdings blieben die Risiken hoch: "Geopolitische Spannungen, Unsicherheiten rund um den Brexit und neue Handelshemmnisse werden wahrscheinlich immer wieder vorübergehend für Unruhe an den Märkten sorgen", sagt Steinbach, der mit dem deutschen Markt für Börsengänge zufrieden ist: "Bezogen auf die Zahl der Emissionen war das erste Halbjahr das stärkste seit 2007." Bezogen aufs Emissionsvolumen ist es sogar das stärkste seit 2000.

Dass Knorr-Bremse an die Börse gehen könnte - diese Spekulationen gab es öfter. Allerdings hatte Thiele darauf hingewiesen, dass das teils rasante Wachstum in einem börsennotierten Unternehmen gar nicht denkbar gewesen wäre, weil die Familie jahrelang auf Dividenden verzichtet habe. Der jetzige Börsengang mag auch damit zusammen hängen, dass sich Thiele 2015 mit seinem Sohn Henrik überworfen haben soll. Der war schon als Vorstand für den Bereich Schienenfahrzeuge gesetzt, schied dann aber aus. Tochter Julia Thiele-Schürhoff leitet den sozialen Verein Knorr-Bremse Global Care und sitzt seit März 2016 im Aufsichtsrat. "Nun ist es an der Zeit, die Eigenständigkeit des Unternehmens auch für die Zukunft zu sichern", schreibt Thiele an seine Mitarbeiter.

Thiele wacht wie ein Übervater über sein Lebenswerk. Der Jurist hatte sich seit 1969 vom Sachbearbeiter in der Patentabteilung in die Geschäftsführung des 1905 gegründeten Unternehmens hochgearbeitet und Knorr-Bremse 1984 übernommen, nachdem sich die früheren Eigner zerstritten hatten. Er formte das Unternehmen zu einem Weltmarktführer für Bremsen für Nutzfahrzeuge und Schienenverkehr, führte bis 2007 selbst das Tagesgeschäft und wechselte dann in den Aufsichtsrat, den er bis 2016 leitete. Thiele setzte auf hohe Investitionen, aber auch auf Sparsamkeit. Er trat 2004 aus dem Arbeitgeberverband aus, war so nicht mehr tarifgebunden und führte die 42-Stunden-Woche ein.

Durch viele Übernahmen hat sich im Konzern eine Mehrklassengesellschaft gebildet, weil es sich oft um Betriebe mit Tarifbindung handelt. Das bedeutet, dass Mitarbeiter desselben Konzerns hier 35, dort 38 und anderswo 42 Stunden arbeiten müssen, mitunter für den gleichen Lohn. Die Beschäftigten sehen jetzt eine Chance dafür, dass sich die Firmenkultur ändern könnte, weil künftig auch andere Eigner mitentscheiden. In einem Flugblatt der Gewerkschaft IG Metall fordern sie nun "einheitliche Arbeitsbedingungen", zudem wollen sie am Erlös des Börsengangs beteiligt werden. "Die tollen Zahlen wären ohne die Kolleginnen und Kollegen nicht erwirtschaftet worden."

Knorr-Bremse hat zuletzt gute Halbjahreszahlen präsentiert, was vor einem Börsengang natürlich gut aussieht: Umsatz und Gewinn stiegen jeweils um rund zwölf Prozent. Von 3,3 Milliarden Euro blieben etwa 580 Millionen Euro als Gewinn.

© SZ vom 18.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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