Erderwärmung:Solidarität scheint wertlos geworden zu sein

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Ein Plastiksammler im Slum Dandora in Kenias Hauptstadt Nairobi. Die Umweltverschmutzung durch die Überreste von Konsumgütern ist nicht nur auf dem afrikanischen Kontinent eine der großen Herausforderungen. (Foto: AP)

Auf Verantwortung und wissenschaftliche Erkenntnis gibt manch ein Staats- oder Regierungschef schon länger nichts mehr. Bei der Klimakonferenz in Kattowitz muss Europa sich neue Verbündete suchen.

Kommentar von Michael Bauchmüller

Die Erleichterung über den Klimavertrag von Paris war kaum in Worte zu fassen. Jahrelang hatten die Staaten über ein Abkommen verhandelt, das alle Länder zum Klimaschutz verpflichtet. Als es im Dezember 2015 verabschiedet wurde, war der Jubel so groß, dass seine Schwächen darin untergingen. Etwa, dass der Vertrag zwar Ziele für den Klimaschutz aufstellte, die Wege dorthin aber nur grob umschrieb. Dass er auf freiwilligen Anstrengungen der Staaten beruhte, aber offenließ, wie sie den Erfolg dieser Anstrengungen messen und dokumentieren würden. Es ließ sich nicht alles auf einmal regeln, aber an gutem Willen mangelte es ja nicht. Damals.

Drei Jahre später hat sich die Welt dramatisch verändert. Im polnischen Kattowitz treffen sich in dieser Woche Minister aus aller Welt, sie sollen das Herzstück des Pariser Abkommens schaffen: jenes exakte Regelwerk, für das 2015 keine Zeit mehr war. Doch in Washington regiert nun Donald Trump, und in Brasília wird bald sein Geistesbruder Jair Bolsonaro übernehmen. Die beiden reden einem Nationalismus das Wort, in dem ein multilaterales Abkommen keinen Platz hat, nicht mal für ein Umweltproblem, das alle nationalen Grenzen sprengt. Überall in Europa stellen Populisten den Multilateralismus infrage, mitunter sogar den Klimawandel selbst. In Österreich etwa hat der Vizekanzler von der FPÖ es zur "offenen Frage" erklärt, inwieweit der Mensch das Klima beeinflussen kann. Solidarität, Verantwortung, wissenschaftliche Erkenntnis - all das scheint plötzlich wertlos geworden zu sein.

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Wer Kinder oder Enkelkinder hat, muss sich um deren Zukunft Sorgen machen. Sie werden den Klimawandel in all seinen Formen und Facetten zu spüren bekommen. Entgegen allen Beteuerungen und guten Absichten steigen die globalen Treibhausgas-Emissionen wieder an, folgerichtig auch deren Konzentration in der Atmosphäre, mithin die Temperatur und das Risiko von Katastrophen, unter denen der heiße Sommer 2018 noch eine der harmloseren gewesen sein dürfte. Am härtesten wird es die treffen, die mit und von der Natur leben, denen die Mittel fehlen, sich zu schützen oder Vorsorge zu treffen. Es zählt zu den größten Ungerechtigkeiten auf der Welt, dass diese Ärmsten der Armen zugleich diejenigen sind, die für den Klimawandel am wenigsten können.

Ob der Klimawandel immer dramatischere Ausmaße annimmt, hängt nicht zuletzt von der Konferenz in Kattowitz ab. Und hier kommt es vor allem auf die Europäer an. Zusammen mit den Kanadiern sind sie in der industrialisierten Welt mittlerweile die letzten, die sich ihrer Verantwortung stellen und auf klare, harte Regeln für den Pariser Klimavertrag drängen können. Nur so lässt sich verhindern, dass sich nur einige wenige für den Klimaschutz anstrengen, während der Rest weitermacht wie bisher.

Schwierigster Gegenspieler der Europäer sind die Chinesen. Sie geben sich als Freunde des Klimaabkommens, aber das nur nach ihren eigenen Regeln: Sie sehen kontrollbewehrte Pflichten vor allem für andere Staaten vor. China, der größte Problemfall für das Weltklima, betrachtet sich nach wie vor als Entwicklungsland, das aufholen muss. Zu diesem Aufholprozess zählt, dass Peking daheim Kohlekraftwerke stilllegt, in Afrika aber neue Anlagen hochzieht, als gäbe es kein Morgen.

Für die Europäer steht in Kattowitz mehr auf dem Spiel als ein paar Regeln: Es droht ein Drei-Klassen-Klimaschutz, in dem die Europäer selbst die meisten Pflichten haben, Staaten wie China und Indien laxe Regeln befolgen und die USA und Brasilien gar keine. Das würde nicht nur das Pariser Abkommen aushöhlen, sondern auch den Klimaschutz in Europa schlechthin. Niemand litte mehr unter dieser Niederlage des Multilateralismus als die EU, die ein multilaterales Gebilde ist.

Die Klimapolitik gerät an den Scheideweg

In dieser ernsten Lage fallen wichtige Verbündete aus. Brasilien war bisher Bindeglied zwischen Industriestaaten und Schwellenländern. Doch seit der Wahl des Rechtspopulisten Bolsonaro sind diese sonst so konstruktiven Verhandler verstummt. Und die USA empfanden sich immer als Chinas Gegenspieler in der Klimapolitik, drängten auf gleiche Regeln für alle, auf maximale Transparenz. Ein Staat aber, der selbst aus dem Abkommen austreten will, kann kaum noch glaubhaft für dessen Schlagkraft eintreten.

So gerät die Klimapolitik in Kattowitz an den Scheideweg. Die Europäer werden nur dann strenge Regeln durchsetzen können, wenn sie eine breite Allianz bilden: mit den Willigen unter den Industriestaaten, aber vor allem auch mit den Opfern der Erwärmung, mit Inselstaaten und den besonders verletzlichen Entwicklungsländern. Die Europäer werden bis ans Äußerste gehen, ein Scheitern der Konferenz riskieren müssen. Denn wenn sie sich nicht durchsetzen, verliert ihre Klimapolitik große Teile ihrer Legitimation. Dumm nur, dass sich manche in der EU genau das wünschen - womöglich sogar die polnischen Gastgeber der Konferenz.

© SZ vom 10.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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