Die Britin Jemma Rogers wollte auf Facebook nicht von Menschen belästigt werden, mit denen sie nichts tun haben möchte. Deshalb meldete sie sich 2008 als "Jemmaroid Von Laalaa" an. Das ging sieben Jahre lang gut, bis Facebook plötzlich verlangte, Rogers solle doch bitteschön nachweisen, dass ihr Pseudonym ihr "authentischer Name" sei, wie Facebook es ausdrückt.
Das konnte sie nicht, also sperrte Facebook den Account. Nach fünf Wochen ohne Zugriff auf ihre Fotos, Nachrichten und digitalen Erinnerungen war Rogers so verzweifelt, dass sie sich offiziell in "Jemmaroid Von Laalaa" umbenennen ließ, um Facebook einen Ausweis mit ihrem Pseudonym darin schicken zu können.
Ein Datenschützer will Facebook zwingen, die Klarnamenpflicht zu lockern
Dieser Fall zeigt exemplarisch, wie problematisch Facebooks Einstellung zu Authentizität ist. Jetzt hat der Hamburger Datenschutzbeauftragte Johannes Caspar den seit Jahren schwelenden Streit erneut entfacht. Mit einer Verwaltungsanordnung will er Facebook zwingen, in Deutschland auf die Klarnamenpflicht zu verzichten. Ein ähnlicher Vorstoß aus Schleswig-Holstein war 2013 gescheitert, nach Caspars Auffassung hat sich Rechtslage durch ein EuGH-Urteil im vergangenen Jahr aber geändert. Diese Interpretation ist unter Juristen umstritten, möglicherweise ist weiterhin der irische Datenschützer für Facebook in ganz Europa zuständig. Dieser hält Facebooks diesbezügliche Regelungen für zulässig, und auch das Unternehmen selbst hat schon angekündigt, sich "energisch zu verteidigen".
Aber rechtliche Zuständigkeiten sind nur ein Nebenkriegsschauplatz. Wichtiger ist die Frage: Warum weigert sich Facebook, Pseudonyme zuzulassen? Und wie sinnvoll ist das? Für Facebook ist die Sache eindeutig: "Wir glauben, dass authentische Namen zur Diskussionskultur beitragen", sagt ein Sprecher. Anonymität befördere "Hassreden, Mobbing und extrem aggressive Kommentare", das sei auf Facebook größtenteils nicht der Fall. Man wolle, dass Nutzer sich verantwortlich für die eigenen Aussagen fühlten.
Die schlimmsten Pöbler stehen zu ihrer Hetze
Diese Argumente klingen nachvollziehbar, doch wer in den letzten Wochen Online-Kommentare gelesen hat, mag nicht so recht daran glauben: Hass und Hetze gegen Flüchtlinge haben ein unerträgliches Ausmaß angenommen - nicht etwa in anonymen Foren, sondern auf Facebook. Dort schreiben Menschen mit ihrem echten Namen, einem Profil mit Foto und Arbeitgeber.
Durch Klarnamen hergestellte Authentizität ist weder Voraussetzung noch Bedingung für Verantwortlichkeit. Die Annahme, dass ein Verbot von Pseudonymen zu gesitteteren Kommentaren führe, war schon immer ein Mythos. Die schlimmsten Pöbler sind jene, die ihre Meinung mit voller Überzeugung vertreten und glauben, für eine schweigende Mehrheit zu sprechen. Sie stehen zu ihrer Hetze, sie sind sogar stolz darauf.
Ein weiteres Problem: Jeder kann andere Nutzer melden, wenn er meint, dass diese keinen authentischen Namen verwenden. Immer wieder werden deshalb Facebook-Accounts zu Unrecht gesperrt, etwa die Profile von Transgender, Drag Queens oder Amerikanischen Ureinwohnern. Oft dauert es Wochen oder Monate, bis sie sich ausgewiesen haben und wieder Zugriff auf ihren Account erhalten, teilweise bleiben sie dauerhaft ausgesperrt.
Mit großer Reichweite kommt große Verantwortung
Facebook sagt, dass man die Plattform für anderthalb Milliarden Menschen geschaffen habe. "Wenn manche beschließen, Facebook anders zu nutzen, als wir es vorgesehen haben, dann müssen diese Menschen verstehen, dass wir diese Fälle nicht unterstützen." Jeder zweite Mensch mit Internetzugang hat einen Facebook-Account, ein erzwungener Verzicht bedeutet häufig soziale Isolation.
Mit großer Reichweite kommt große Verantwortung. Was ist mit einem Stalking-Opfer, das auf Facebook nicht von seinem Peiniger gefunden werden will? Sollen solche Menschen für immer vom größten sozialen Netzwerk der Welt ausgeschlossen bleiben? Google hat es vorgemacht und erlaubt nach heftigen Protesten mittlerweile Pseudonyme bei Google+. Facebook sollte sich das zum Vorbild nehmen.
Zum Weiterlesen:
Die Journalistin Nadia Drake beschreibt in der Wired, wie Facebook ihren Account sperrte und wie sie - vergeblich - versuchte, wieder Zugriff darauf zu erhalten.