Steuerpolitik:Finanza creativa

Lesezeit: 3 min

Luxusjachten im Badeort Portofino. Viele Italienerinnen und Italiener zahlen viel zu wenig Steuern, auch, weil das System so viele Lücken lässt. (Foto: Paolo Gallo Modena/Imago/Zoonar)

Wie kommt Italien an das Geld von Steuerhinterziehern? Die rechtspopulistische Regierung in Rom hat da eine besonders ausgefallene Idee: Sie fragt einfach die Bürger, wie viel sie zahlen wollen.

Von Ulrike Sauer, Rom

Der Deal klingt verwegen. 'Sag uns, wie viel Steuern du zahlen willst, und das Finanzamt verschont dich vor Kontrollen.' So lautet das ultimative Angebot, das die Regierung in Rom an den harten Kern der Steuerhinterzieher in Italien richtet: an 4,5 Millionen Selbständige, Freiberufler sowie Kleinunternehmer mit einem Jahresumsatz von weniger als fünf Millionen Euro. Es gilt für zwei Jahre und ist verlängerbar. Dahinter steht eine inständige Bitte: 'Hauptsache, ihr meldet euch beim nächsten Finanzamt. Dann lassen wir euch in Ruhe.'

Seit das Kabinett von Giorgia Meloni Ende Januar die generöse Offerte verabschiedete, diskutiert das Land hitzig über den Vorstoß. Die Debatte spaltet Italien, wie so oft, in zwei unversöhnliche Hälften. Was für die einen eine "präventive Massenamnestie" ist, preisen andere als gerissenen Trick, endlich hartnäckige Steuerverweigerer an die Kandare zu legen.

Sicher ist: Die neue "präventive Vereinbarung zwischen Steuerbehörde und Steuerpflichtigem" ist kein Überraschungscoup. Seit Wochen beherrscht die Kampagne für die Europa- und für die italienischen Regionalwahlen Anfang Juni den Politikbetrieb südlich der Alpen. Insbesondere die rivalisierenden Koalitionsparteien sind voll im Wahlkampfmodus. Im Mittelpunkt steht wie immer das Thema Steuern. "Mit ihrem jüngsten Angebot schaut die Regierung ihrer Wählerschaft ganz tief in die Augen", schreibt die Mailänder Wirtschaftszeitung Il Sole 24 Ore. Offensichtlich verspricht sie sich viel davon: Die außerordentlich große Zahl der Selbständigen in Italien gilt seit Langem als wahres Rückgrat der rechtspopulistischen Regierung in Rom.

Melonis Vize-Finanzminister hat ein Dutzend Steueramnestien für Regelbrecher auf den Weg gebracht

Melonis Mann für Steuerfragen ist ihr Parteifreund, der Vize-Finanzminister Maurizio Leo. Er hat in 16 Monaten Regierungszeit bereits ein Dutzend Steueramnestien für Regelbrecher auf den Weg gebracht. Besonders beliebt machte sich Leo bei der Wählerbasis aber mit der Absenkung des pauschalen Steuersatzes für Selbständige mit einem Jahreseinkommen bis 85 000 Euro. Der Satz beträgt nun, egal, wie hoch das Einkommen ist, nur noch 15 Prozent. Wohlgemerkt: In der italienischen Verfassung ist der Grundsatz einer progressiven Besteuerung verankert. Auch wirft der Mini-Satz ein Problem der Steuergerechtigkeit auf. Zum Vergleich: Die Einkommen von Arbeitnehmern, die mehr als 50 000 Euro verdienen, werden mit 43 Prozent besteuert.

Italien ist nicht nur EU-Spitzenreiter bei der Steuerhinterziehung, es schlägt sich auch mit einem völlig undurchsichtigen und ineffizienten Steuersystem herum. "Die Einkommenssteuer ist wie ein riesiger Schweizer Käse voller Löcher", sagt Alessandro Santoro, Finanzprofessor an der Mailänder Universität Bicocca. Auf jeden Einkommenssteuerzahler, der dem Finanzamt mindestens einen Euro überweist, kommen zwei Beitragszahler, die gar nichts abführen. 42 Prozent der Steuerpflichtigen tragen 91 Prozent des Gesamtaufkommens.

Und nun kommt Leo mit seiner neuesten Idee. Die Regierung übertraf sich in ihrer Großzügigkeit selbst. Sie gibt Millionen Beitragszahlern die Möglichkeit, sich vorab - bis zum 15. Oktober - mit dem Finanzamt darüber zu verständigen, welche Einkünfte sie versteuern wollen. Nun hängt viel davon ab, zu welchen konkreten Deals sich die Finanzämter bereit erklären. Wie niedrig dürfen die gemeldeten Einkünfte sein, um für zwei Jahre vom Radar der Steuerfahnder zu verschwinden? Erweisen wird sich das erst im Herbst, doch die Operation zielt auf maximales Entgegenkommen. "Wir wollen die Schwelle für die Steuerloyalität schrittweise anheben", sagt Leo. Er verteidigt seine umstrittene Regelung damit, dass sie "die einzige Möglichkeit für den Fiskus darstellt, Einnahmen zu erzielen". Denn die Finanzämter könnten allenfalls ein Prozent der Selbständigen überprüfen.

"Dieses Gesetz ist die Kapitulation des Staates", sagt Carlo Cottarelli, Mailänder Ökonom und ehemaliger Leiter der Abteilung Finanzpolitik beim Internationalen Währungsfonds in Washington. Die Regierung schwäche so die Glaubwürdigkeit der italienischen Behörden im Kampf gegen die Steuerhinterziehung noch weiter. Von den Oppositionsbänken wirft man der Rechtsregierung die Legalisierung eines Massenbetrugs vor. Die Gewerkschaft CGIL geißelt "die gigantische Amnestie für eine Kategorie, die fast 70 Prozent ihrer Einkünfte vor dem Finanzamt versteckt".

Die Regierung Meloni lässt sich von der Kritik nicht beirren. Sie hat bei ihrem Amtsantritt im Oktober 2022 eine neue Strategie im Kampf gegen die Steuerpreller ausgerufen. Sie heißt: fisco amico, das freundschaftliche Finanzamt. Fragt sich nur, wessen Freund das Finanzamt in Italiens sein soll.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusArbeitgeber
:"Die Generation Z wird oft overhyped"

DHL ist einer der größten Arbeitgeber weltweit und sucht dringend Mitarbeiter. Trotzdem sagt ihr Personalchef, die ganze Debatte um die Generation Z sei übertrieben.

Interview von Caspar Busse

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: