Europas Wiederaufbauplan:Roms Entgleisung

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Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni. (Foto: Domenico Cippitelli/IMAGO/ZUMA Press)

Italiens Rechtspopulisten pfeifen auf das beispiellose Hilfsangebot der EU. Ist Giorgia Meloni noch bei Sinnen?

Kommentar von Ulrike Sauer

Als Giorgia Meloni im Oktober an die Regierung kam, entschied man sich in Brüssel und Berlin für einen entgegenkommenden Modus Vivendi. Solange die aufstrebende Rechtsnationale in Rom in zwei für Europa wesentlichen Fragen nicht zu weit vom Kurs ihres Vorgängers Mario Draghi abdriftet, blickt man über ihre nationalistische und illiberale Politik hinweg. EU-Funktionäre bedachten Meloni mit Vorschusslorbeeren. Deutsche Diplomaten zollten auch nach vier Monaten Amtszeit Anerkennung. In den Hauptstädten nannte man den toleranten Umgang mit Italiens Regierung pragmatisch. Weit gekommen sind die europäischen Partner mit dieser Taktik nicht. Denn es lässt sich nicht mehr leugnen: Rom liefert nicht.

Da nützt es jetzt auch wenig darauf zu verweisen, dass Meloni mit ihrer gradlinigen Pro-Ukraine-Haltung Wort hält. Denn gleichzeitig ließ die Regierungschefin das beispiellose, von der EU finanzierte Zukunftsprogramm für Italien entgleisen: Rom ist bei der Umsetzung des 191 Milliarden Euro schweren Wiederaufbauplans arg in Verzug geraten. Das hoch verschuldete Land setzt eine einmalige Chance aufs Spiel: seine jahrzehntealte Wachstumsschwäche zu überwinden.

Die Regierung macht bisher keine Anstalten, die neue Frist Ende April zu nutzen

Der Rückstand ist dabei nicht einmal das Beunruhigendste: Die Regierung erweckt nach knapp sechs Monaten den Eindruck, als hätte sie das Ziel bereits aufgegeben. Als würde sich der Kraftakt sowieso nicht lohnen. Ja, als fehle sogar ein Einverständnis darüber, dass die europäischen Mega-Investitionen in die Modernisierung Italiens erstrebenswert sind.

Der Elefant steht schon lange im Zimmer. Die EU-Kommission hält seit Ende Februar 19 Milliarden Euro der dritten Tranche zurück, weil Italien im vergangenen Dezember nicht alle Vorgaben erfüllt hat. Die römische Regierung erhielt zwei Mal Aufschub, um nachzubessern. Sie macht bisher keine Anstalten, die neue Frist Ende April zu nutzen.

Italien trägt eine enorme Verantwortung für alle Europäer. Das Land ist der größte Nutznießer der wichtigsten Solidaritätsaktion in der Geschichte der EU. Doch plötzlich scheint es, als könne es mit der Hilfe nichts anfangen. Ende März schlug der römische Rechnungshof Alarm: Erst sechs Prozent der Gesamtsumme seien in konkrete Projekte investiert worden. Nur die Hälfte der abgestimmten Summe ist tatsächlich ausgegeben worden.

Die Schuld an dem Schlamassel gibt die Regierung der italienischen Bürokratie. Dabei hat sie, kaum im Amt, das schlagkräftige Team aufgelöst, das Mario Draghi versammelt hatte, um die Herausforderung zu bewältigen. Erst entließ man die Schlüsselfiguren des Stabs, dann wurde die ganze Struktur demontiert. Der Rechnungshof warnt: "Es besteht die Gefahr, dass die Handlungsfähigkeit im entscheidenden Moment der Umsetzung gebremst wird." Leider besteht nun die Gewissheit.

Auch der eindringliche Aufruf von Staatsoberhaupt Sergio Mattarella stieß auf taube Ohren: "Es ist an der Zeit, dass sich alle ins Zeug legen." Das Gegenteil geschah. Je offensichtlicher die Schwierigkeiten der Rechtskoalition werden, desto schamloser stellt sie ihr Desinteresse zur Schau. "Der Plan stammt nicht von mir", sagte Meloni bockig, als sei die Regierung nicht zur Erfüllung des Vertrags verpflichtet. Ein führender Lega-Politiker regte an, auf einen Teil der Kredite zu verzichten: "Hat es Sinn, sich bei der EU zu verschulden, um Dinge zu tun, die nicht gebraucht werden?". Die EU-Kommission signalisiert seit dem Herbst ihre Bereitschaft, mit Rom über Änderungswünsche zu verhandeln. Auf dem Tisch liegt in Brüssel bis heute nichts.

Schlimmer hätte es für Europa und für Italien, nicht kommen können. Erst erhält Italien, was es immer gefordert hat: die Vergemeinschaftung der Schulden. Dann tun die Rechtspopulisten so, als könnte man das Geld nicht gebrauchen. Sie geben jenen Nordeuropäern recht, die es immer für schädlich hielten, dem Mittelmeerland mehr finanziellen Spielraum zu gewähren. Mit dem Versuch einer Vertiefung der Integration wäre es in der EU wohl vorbei. Mit der Glaubwürdigkeit Italiens auch. Schlägt Meloni einen Teil der Investitionshilfen aus, verzichtet sie auf Wachstum, auf Jobs, auf höhere Steuereinnahmen und damit auf den Abbau der Staatsschulden. Negative Reaktionen der Finanzmärkte und steigende Zinsen auf die 2700 Milliarden Euro Schulden wären die Folge. Es bleibt nur die Hoffnung: So dumm kann Meloni nicht sein.

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