Innovation:Radikal digital

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Frank Thelen und Dorothee Bär beim Plan-W-Kongress in Berlin. (Foto: Stephan Rumpf)

Dorothee Bär und Frank Thelen geht vieles zu langsam voran beim Thema Digitalisierung.

Von Vivien Timmler, Berlin

Von Frank Thelen ist man klare Worte gewohnt. Das Innovationstempo in Deutschland empfindet er als "beschämend", die Autobranche sei ohnehin "null digitalisiert" und die Deutschen "ein Volk der Angsthasen". Der Wunsch, den der Start-up-Investor im Gespräch mit Deutschlands Staatsministerin für Digitales, Dorothee Bär, äußert, ist dann aber auch für ihn radikal: "Ich wünsche mir manchmal, dass Deutschland für vier Jahre einfach China wäre."

Ein kühner Wunsch, schließlich hat Thelen ist Mitglied* im sogenannten "Innovation Council", das seine Gesprächspartnerin Bär gegründet hat - ein Gremium der Bundesregierung, das die Digitalisierung in Deutschland antreiben soll. Doch Thelen erklärt sich. "Wir sind in vielem einfach viel zu langsam, verheddern uns in Regulierungen", sagt er. "Da schaue ich schon neidisch auf China. Einmal vier Jahre lang alles per Order und im Eiltempo aufbauen und dann ist auch wieder gut, dann können wir zurück zu unserer Staatsform." Eigentlich finde er die Demokratie nämlich sehr richtig, beeilt er sich noch zu sagen.

Bär und Thelen kennen sich gut. Ihr Gremium kommt zwar nur zwei Mal im Jahr zusammen, aber die beiden haben viel Kontakt, tauschen sich manchmal täglich, mindestens aber wöchentlich aus, sagt Thelen. "Die Doro, die hat Bock, die hat Drive", beschreibt er die Ministerin. Auch auf der Bühne merkt man, dass sie sich schätzen, ähnliche Ziele haben, in vielem einer Meinung sind. Thelens Wunsch nach einer Autokratie kann und will Bär dann aber doch nicht stützen. "Die Chinesen finden unsere Demokratie furchtbar, das stimmt", sagt sie. Wenn man Menschen entscheiden lasse, stürze alles in Chaos, sei die Auffassung vieler chinesischer Kollegen. Bär aber will die Digitalisierung in Deutschland nicht per staatlichem Masterplan verordnen. Sie setze vielmehr auf Allianzen mit anderen westlichen Staaten - und auf den Faktor "made in Germany". "Ich bin überzeugt davon, dass Menschen sich lieber von einer Künstlichen Intelligenz durch die Gegend fahren oder aufschneiden lassen, wenn sie aus Deutschland kommt und nicht aus irgendeiner Diktatur", sagt sie.

Trotzdem weist auch Bär nicht von der Hand, dass hierzulande in vielen Dingen großer Aufholbedarf besteht: "Es gibt Bereiche, wo wir ultra-schlecht sind. Das Thema Digitalisierung an Schulen macht mich total fertig. Ich muss mich jeden Tag drüber streiten, ob wir das überhaupt brauchen. Da stehen wir wirklich ganz am Anfang." Thelen vermutet den Ursprung des Problems in der Scheu der Menschen vor Veränderungen. "Wir brauchen da ein neues Mindset in Deutschland", fordert er. "Wir müssen endlich anfangen, die Digitalisierung als Chance zu begreifen und nicht als etwas, vor dem man Angst haben muss." Bär stimmt zu - und richtet eine ungewöhnliche Bitte an den Politikberater: "Die Wirtschaft muss denjenigen, die sagen, das Internet geht wieder vorbei, mal kräftig in den Hintern treten."

In seiner Rolle als Investor prangert Thelen im Gegenzug die Regeln für Wagniskapitalgeber in Deutschland an. "Wir haben ein riesiges Venture-Capital-Problem", sagt er, "wir können gar keine großen Schecks schreiben, selbst wenn wir wollten. Auch hier: zu viel Regulierung." Vergleichsweise kleine Investitionen in Höhe einiger weniger Millionen Euro gebe es hierzulande genug, das sei nicht das Problem. "Schecks über 100 Millionen Euro oder mal einer halbe Milliarde können wir hingegen nicht einfach schreiben." Genau die brauche es aber, um international mithalten zu können. "Das echte Problem ist, dass wir keinen internationalen Champion mehr haben. SAP war der letzte wirklich globale Player. Wenn wir relevant bleiben wollen, müssen wir das in Europa gemeinsam hinbekommen."

*Anmerkung der Redaktion: Thelen ist Mitglied im Innovation Council, das Bär gegründet hat. In einer früheren Version hieß es irrtümlich, Thelen sei Mitgründer gewesen.

© SZ vom 06.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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