Immobilienkrise in Spanien:Hausbesetzer hilft Hausbesitzern

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Wer in Spanien seinen Kredit schuldig bleibt, fliegt viel schneller aus der Wohnung als Immobilieneigentümer in Deutschland. Ganze Familien sitzen auf der Straße. Noch haben die Spanier zu viel zu verlieren, um Krawall zu machen. Noch.

Sebastian Schoepp, Madrid

Sie können den Kredit für ihre Wohnung oder ihr Häuschen nicht mehr bezahlen. Und dann müssen sie ausziehen. Sechsköpfige Familien landen in Spanien auf der Straße. Pferchen sich in Einzimmer-Wohnungen, die sie irgendwie ergattern. Es sei denn, Vicente Pérez kann ihnen helfen. Ausgerechnet Vicente Pérez, der einst dem Diktator Francisco Franco die Stirn bot und später Häuser besetzte.

Leerstehende Neubauten im spanischen Sesena: Käufer lassen sich derzeit nur schwer finden. Eine Million Spanier drohen ihre Wohnung zu verlieren. (Foto: Bloomberg)

Es gibt in diesen Tagen in Spanien wenige Einrichtungen, die Konjunktur haben. Eine davon ist auf jeden Fall Vicente Pérez' Plattform gegen Zwangsräumungen. Eine Million Spanier drohen ihre Wohnung zu verlieren, weil sie die Kreditraten nicht mehr bezahlen können, sagt Pérez. Die spanischen Banken sind wesentlich radikaler als deutsche Geldhäuser. Allein in Madrid kommen deshalb jede Woche mehrere hundert Menschen zum Büro der Plattform. Zu Pérez.

Dann versammeln sich die Aktivisten vor der Wohnung oder der betreffenden Bank und versuchen, sie zum Einlenken zu bewegen. Schon fünfzig Ableger der Plattform sind in verschiedenen Städten entstanden. Sie formierte sich mit der Bewegung 15 M, die am 15. Mai 2011 an der Puerta del Sol in Madrid bei den ersten Massendemonstrationen gegen die Sparprogramme der Regierung zusammenfand.

15 M - auch "die Empörten" genannt - wurde zum Vorbild für die weltweite Occupy-Bewegung. Den Indignados wird oft vorgeworfen, ein diffuser Haufen ohne Konzept zu sein. Doch wenn man dieser Tage wissen will, was die Spanier denken, die sich nicht mit den Sparzwängen aus Brüssel und Berlin abfinden wollen, muss man mit Leuten von 15 M sprechen. Die regierende Volkspartei hat kein anderes Konzept, als Sparbefehle auszuführen. Und die Sozialisten schweigen schuldbewusst, weil die Misere in ihrer Regierungszeit begann.

Die Parteien bieten vielen Menschen keine Orientierung mehr, sagt Pérez. "Trotzdem wollen wir keine politische Vertretung sein." Der Soziologe ist in der Partei der Vereinten Linken aktiv, aber das spiele bei 15M keine Rolle. Entscheidend sei die praktische Arbeit. In der Tat sind Verbände wie die Plattform derzeit die einzigen, die politisch die Opfer der Krise repräsentieren.

In Pérez' Büro bei der großen Stierkampfarena im Nordosten der Stadt gibt es dicke Ordner mit Schicksalen. Viele Immigranten sind dabei, Bolivianer, Ecuadorianer. Sie kamen mit großen Hoffnungen nach Spanien, fanden Arbeit als Altenpfleger oder Putzfrauen, verdienten mit zwei, drei Jobs 1500 Euro im Monat - und bekamen von Banken Wohnungskäufe aufgeschwatzt. Nach Zahlen der Steuerbehörden sind 63 Prozent der arbeitenden Spanier so genannte Mileuristas, also Leute, die mit um die 1000 Euro im Monat auskommen müssen. Künftig wird es noch weniger sein, denn Spanien soll ja seine Lohnkosten senken, um konkurrenzfähig zu werden.

Ist jemand, der mit so wenig Gehalt eine Wohnung für 200.000 Euro kauft, nicht irgendwie selber schuld? Vicente Pérez weist das zurück. Mit der Frage, ob das Land über seine Verhältnisse gelebt habe, kann er nichts anfangen. Viele Schuldner seien kleine Leute, die sich für den höchst nachvollziehbaren Wunsch nach einer Wohnung verschuldet hätten, weil ihnen die Banken die Kredite förmlich nachgeworfen hätten. Und einen Mietmarkt gebe es in Spanien ja praktisch nicht. Wie die Rechnung je aufgehen sollte? - "Im blinden Glauben an die ständige Wertsteigerung." Schuld sind für Pérez deshalb die Banken, die Immobilienhaie und die Regierungen, die nicht rechtzeitig eingeschritten seien. Andererseits sagt auch Pérez: Welcher Politiker hätte sich schon getraut, die Immobilienblase platzen zu lassen, als sie gerade voll aufgepumpt war?

Die Schuldfrage findet Pérez aber sowieso irrelevant. Die Menschen können die Kredite niemals zurückzahlen, sagt er, mit dieser Situation müsse man leben. Um Massenobdachlosigkeit zu verhindern, fordert Pérez, dass der Staat die Banken zwingt, die von ihnen beschlagnahmten und häufig leerstehenden Wohnungen billig zu vermieten. Restschulden müssten mit der Übergabe der Wohnung erlöschen. Solche politischen Forderungen werden in Spanien mehr und mehr gehört. Pérez fühlt sich in seinem Lebensentwurf bestätigt. Der 52-Jährige begann mit 15, sich politisch zu engagieren, also noch zu Zeiten des Diktators Franco. Er ist sozusagen ein Veteran des Widerstandes. Er war mal Hausbesetzer. Die gibt es in Spanien anders als in Deutschland bis heute. In der Krise werden wieder mehr Häuser besetzt. Pérez handelte damals in den 80er Jahren einen Vertrag aus, inzwischen ist sein Wohnverhältnis legalisiert - und vor allem bezahlbar. Er fühlt sich in seinen früheren Warnungen vor einer Systemkrise bestätigt, triumphiert aber nicht. Während der Boomjahre sei Spanien eben eingeschlafen und nun ziemlich abrupt aufgewacht.

Unter den Regierungen Aznar und Zapatero habe Spanien die Richtung verloren, meint Pérez. "Es hieß, wir würden zur Champions League gehören, Frankreich überholen und solche Sachen." Der neue Ministerpräsident Rajoy habe dann gedacht, er könne eine konservative Allianz schmieden mit Merkel, aber Merkel pfeife auf Rajoy. Jetzt suche er plötzlich Hilfe bei Frankreich, "diese erratische Politik steigert nicht eben die Glaubwürdigkeit".

"In diesem Land ist es derzeit schwer, Optimist zu sein", sagt Pérez. Er legt diese Reserviertheit an den Tag, auf die man als Deutscher dieser Tage oft trifft in Spanien. "Was wollen Sie erwarten, wenn die Nachrichten zu allen Vorschlägen stets dasselbe verkünden: Merkel sagt nein!" Die Kanzlerin verteidige ihre Interessen, sagt Pérez, das sei aus ihrer Sicht verständlich. Aber eine europäische Perspektive sei das nicht.

Das Problem Spaniens sind aus Pérez' Sicht weniger die Ausgaben, als die ausbleibenden Einnahmen. Dafür brauche es Wachstum, aber das sei ohne Ankurbelungsprogramme für die Wirtschaft nicht zu haben. Pérez bezeichnet sich als Keynesianer, für einen völligen Umsturz des Systems ist er nicht - "das würden wir teuer bezahlen". Die griechische Situation sei schlimmer als die spanische, "aber wir gehen in dieselbe Richtung". Er verweist aufstreikende Lehrer und U-Bahnführer, die marschierenden Minenarbeiter aus Asturien. Noch hätten die Spanier zu viel zu verlieren, um Krawall zu machen. Noch.

© SZ vom 21.07.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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