Digitales Leben:Böser Streich

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Touchscreeens im Haushalt - ein offensichtliches Missverständnis. (Foto: N/A)

Warum braucht heute eigentlich jedes Haushaltsgerät einen Touchscreen? Die Wischtechnik ist oft völlig überflüssig - und manchmal sogar gefährlich.

Von Simon Hurtz

Vielleicht wäre dieser Wutausbruch nicht nötig, wenn Matt Jefferies etwas mehr Geld zur Verfügung gehabt hätte. Doch das Budget der ersten "Star-Trek"-Episoden in den Sechzigerjahren war begrenzt. Also sparte der Szenenbildner Jefferies am Design der Enterprise. Während die Cockpits echter Raumschiffe zu dieser Zeit voller Hebel und Knöpfe waren, steuert Captain Kirk, indem er tippt und wischt: Die Enterprise wird von Touchscreens dominiert.

Jefferies hätte damals gern echte Schaltinstrumente gekauft, erzählte Michael Okuda, der künstlerische Leiter der späteren "Star-Trek"-Filme, dem Portal Ars Technica: "Wenn er das Geld gehabt hätte, diese Dinge zu kaufen, hätte die Enterprise ganz anders ausgesehen." Aber glatte, schwarze Flächen waren nun mal unschlagbar günstig.

Der Rest ist Technikgeschichte: Touchscreens haben die Welt erobert, seit iPad und iPhone kommt kaum ein Produkt mehr ohne berührungsempfindliches Display aus. Die Apple-Designer wären nicht die ersten Entwickler, die sich von Science-Fiction-Filmen inspirieren haben lassen. Womöglich verkörpern omnipräsente Wischbildschirme auch einfach den natürlichen Lauf der technischen Evolution, und "Star Trek" ist unschuldig. Fest steht nur: Die Touchscreenisierung des Alltags nervt kolossal.

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Wer über Technik schimpft, wirkt schnell wie ein mürrischer Kulturpessimist. Das liegt mir fern: Ich mag Touchscreens. Auf Handys und Tablets wischt es sich völlig problemlos. Nur macht nicht alles, was schick und modern anmutet, das Leben der Nutzer einfacher.

Am offensichtlichsten ist das Missverständnis in der Küche. Plane Oberflächen mögen wunderbar ins minimalistische Designerloft passen. Wer seine Kücheninsel aber nicht nur nutzt, um Cocktails zu servieren, macht sich zwangsläufig die Hände schmutzig. Zum Kochen gehören Wasser und Öl, in der Küche spritzt und brodelt es. Wann lassen sich Touchscreens besonders schlecht bedienen? Wenn die Finger feucht und fettig sind.

Nach sieben Mal Tippen ist der Herd eingestellt. Oder auch nicht.

Den meisten Designern ist das offensichtlich egal. Fast kein Hersteller bietet moderne Induktionskochfelder mit Knöpfen an. Natürlich wird das Essen auch mit einem Touchscreen warm, aber Spaß macht es nicht. Von scharfem Anbraten auf sanftes Schmoren wechseln: sieben Mal tippen. Das Nudelwasser kocht über: piep piep piep, Fehler E 13. Alle Töpfe und Pfannen vom Herd, wischen, warten, weiter geht's. Wirklich? Nein, erst die Hände und die Herdplatte abtrocknen, sonst lässt sich das Ding ja nicht mehr anschalten.

Kochfelder, Backöfen, Mikrowellen, Wasserkocher und sogar Toaster, überall sollen Kunden tippen und wischen, statt zu drücken und zu drehen. Das ist nicht nur lästig, weil die angeblich innovative Technik in der Hitze des Gefechts rasch versagt. Es ist auch unverständlich, weil sich ihr analoger Vorgänger seit Jahrhunderten bewährt hat.

Drehknöpfe verbrauchen keinen Strom und fallen fast nie aus. Mit einer beherzten Bewegung aus dem Handgelenk lässt sich in Sekundenbruchteilen das gesamte Leistungsspektrum ausschöpfen. Fettige Finger sind kein Problem, und man muss nicht mal den Blick vom Kochtopf abwenden: Wie alle Knöpfe, Hebel und Schalter quittiert der Drehregler die Eingabe mit einem satten haptischen Feedback, auf das jeder Touchscreen-Entwickler neidisch wäre.

Leider lassen sich Knöpfe nicht als Technikrevolution vermarkten, sie sind vom Aussterben bedroht. Als Kind hatte ich einen Radiowecker, den ich blind und im Dunkeln bedienen konnte. 20 Jahre später steht ein Wlan-Lautsprecher neben meinem Bett, der viel mehr kann und besser klingt. Aber alle Funktionen werden durch Wischgesten auf der glatten Oberfläche ausgelöst. Deshalb wünsche ich mir oft den Radiowecker zurück, denn um die Musik auszuschalten, muss ich jetzt das Licht anmachen, ertasten lässt sich nichts.

Kürzlich wollte ich einen neuen Kopfhörer kaufen. Viele große Hersteller haben die rechte Hörmuschel in ein Touch-Bedienfeld verwandelt. Das hat nur Nachteile: Die Technik streikt regelmäßig bei Kälte, mit Handschuhen lässt sich der Kopfhörer gar nicht steuern. Gleichzeitig joggen und zielgerichtet wischen? Schwierig. Und wer beim Auf- und Absetzen nicht aufpasst, pausiert versehentlich die Wiedergabe oder startet einen Anruf.

Jetzt besitze ich einen Kopfhörer mit zwei Knöpfen und zwei analogen Wippschaltern. Wenn ich sie verleihe, muss ich niemandem erklären, wie man sie bedient. Play und Pause, lauter und leiser, vor und zurück, alle wichtigen Funktionen erschließen sich intuitiv. Sie trotzen dem nasskalten Berliner Winter, und selbst beim Sport oder mit dicken Handschuhen machen sie keine Probleme. "It just works", würde Apple sagen. Wunderwelt analoge Technik.

Der Touchscreen-Fetisch mancher Designer ist nicht nur lästig, sondern gefährlich. 2017 schrillten in Alsdorf bei Aachen in der Nacht die Rauchmelder. Eine Katze war über das berührungsempfindliche Kochfeld gelaufen und hatte mit ihren Pfoten den Herd angeschaltet. Anfang 2019 brannte in Niederösterreich ein ganzes Wohnhaus ab. "Es deutet vieles darauf hin, dass eine Katze über den Touchscreen die Kochplatte aktiviert hat", sagt die Polizei. Im vergangenen Herbst mussten 40 Feuerwehrleute einen Brand im Kanton Bern löschen. "Zu 99 Prozent hat eine Katze den Touchscreen eines Kochherdes in Betrieb gesetzt", sagt die Feuerwehr.

Touchscreens können sogar Schiffe versenken: Im Sommer 2017 rammte ein 9000-Tonnen-Zerstörer der US-Navy einen riesigen Öltanker, zehn Seeleute ertranken. Zwei Jahre später wurde der Unfallbericht veröffentlicht: Die Behörde, die den Vorfall untersucht hat, nennt schlecht designte Touchscreens auf der Kommandobrücke als eine der Ursachen für den Zusammenstoß. Die Besatzung sei mit der Bedienung überfordert gewesen. Die Navy zog Konsequenzen: Von 2020 an werden Zerstörer wieder mit Hebeln, Knöpfen und deutlich vereinfachten Touchscreens ausgestattet.

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Daran könnte sich mancher Autohersteller ein Beispiel nehmen. Wer am Steuer sitzt, sollte seine gesamte Aufmerksamkeit dem immersiven, hochauflösenden Display widmen, das sich Windschutzscheibe nennt. Stattdessen starren viele Autofahrer auf den Bildschirm in der Mittelkonsole und versuchen, bei 200 Kilometer pro Stunde kleine Symbole auf einer unübersichtlichen Oberfläche zu treffen, um die Lüftung zu regulieren oder das Radio einzuschalten. Was spricht noch mal gegen einen Drehknopf?

Moderne Technik könne Autofahren sicherer machen, schreiben Forscher, die Teslas Touchscreen-Steuerung untersucht haben. "Aber nur, wenn Autodesigner das grundlegende Prinzip menschlicher Aufmerksamkeit verstehen: Sie ist begrenzt." Viele Displays im Auto ignorierten Erkenntnisse, die sich aus jahrzehntelanger Entwicklung von Computer-Oberflächen ergeben hätten.

Die Allianz-Versicherung schätzt, dass sogenannte Ablenkungsunfälle für etwa zehn Prozent der Verkehrstoten verantwortlich sind. Mehr als 300 Menschen sterben demnach pro Jahr, weil Autofahrer oder Fußgänger ihre Aufmerksamkeit nicht auf die Straße richten. Die Hauptursache dafür seien Smartphones, aber auch komplizierte Bordcomputer mit Touchscreens spielten eine Rolle.

Heiliger Gral der Mensch-Maschine-Interaktion

Natürlich gibt es auch mieses Design mit Knöpfen, und vielleicht sollte ich mich besser mit Touchscreens abfinden. Denn eine Sache nervt mich noch mehr, als über meine Geräte zu wischen: mit meinen Geräten zu sprechen. Dummerweise scheinen alle Tech-Unternehmen fest davon überzeugt zu sein, dass Alexa, Siri und der Google Assistant der heilige Gral der Mensch-Maschine-Interaktion sind. Facebook geht sogar noch einen Schritt weiter und forscht an einem Brain-Computer-Interface, um Geräte oder Roboter durch reine Gedankenkraft steuern zu können.

Im Kinofilm "Star Trek IV: Zurück in die Gegenwart" gibt es eine berühmte Szene. Captain Montgomery Scott versucht, mit einem Mac-Rechner zu sprechen. "Computer! Computer? Hello Computer?" Das altmodische Ding reagiert einfach nicht auf seine Stimme. "Nutzen Sie doch die Tastatur", schlägt Doctor Nichols vor. "Die Tastatur? Wie kurios!"

Dieser Text ist auf einer Tastatur entstanden. Sie funktioniert seit vier Jahren tadellos, meine Finger finden sich blind zurecht. Ich drücke lieber Tasten, als zu wischen, zu diktieren oder Facebook meine Gedanken lesen zu lassen.

© SZ vom 08.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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