Die Machtprobe kommt mit einem unscheinbaren Aktenzeichen daher: Nummer B7 - 61/21. Wird es gelingen, Google in die Schranken zu weisen? Kann eine nationale Behörde, das Bundeskartellamt, die Marktmacht des Internetriesen wirksam beschneiden? Viel hängt ab von diesem Großversuch, auch für die Machtverteilung rund ums weltweite Netz.
Der Versuchsaufbau steht seit gut einer Woche. Das Kartellamt hatte formal die Macht Googles festgestellt und seine Ergebnisse dem Konzern mitgeteilt. Allein die Zusammenfassung des Falls lässt keinen Zweifel an der Größe der Aufgabe. "Eine Gesamtwürdigung aller vorliegend relevanten Umstände hat ergeben, dass Google über eine marktübergreifende wirtschaftliche Machtposition verfügt", befindet die Bonner Behörde in ihrem Fallbericht. Diese Position eröffne Google "vom Wettbewerb nicht hinreichend kontrollierte marktübergreifende Verhaltensspielräume". Das Unternehmen könne die "Rolle eines Regelsetzers" einnehmen, es verfüge über "breiten und tiefen Zugang" zu Nutzerdaten und beherrsche mit 80 Prozent Marktanteil hierzulande die Suche im Internet. Über sein mobiles Betriebssystem Android und seinen App-Store "Play Store" sei es zudem vertikal integriert. Auf Android-Handys könne es dafür sorgen, dass bestimmte Apps vorinstalliert sind. Letztlich, so führt das Kartellamt aus, könne Google auf immer neue Märkte vordringen.
Einen Tag vor Silvester war Google die Entscheidung zugestellt worden, fünf Tage später verzichtete der Konzern auf jeglichen Einspruch. Damit läuft das Verfahren. "Das ist ein ganz wesentlicher Schritt, denn auf dieser Grundlage kann das Bundeskartellamt jetzt konkrete, für den Wettbewerb schädliche Verhaltensweisen aufgreifen", sagt Behördenchef Andreas Mundt.
Grundlage dafür ist ein neuer Passus im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, der Paragraf 19a. Seit gut einem Jahr gibt er dem Kartellamt Handhabe gegen den Marktmissbrauch bei den großen Plattform-Konzernen. So könnte die Behörde Google untersagen, eigene Angebote gegenüber denen von Wettbewerbern zu bevorzugen. Es könnte jede Praxis unterbinden, mit denen Newcomer etwa beim Angebot von Apps benachteiligt werden könnten. Oder Deals verbieten, bei denen Inhalte um so prominenter angezeigt werden, je mehr Rechte oder Daten im Gegenzug überlassen werden. Der Paragraf mit seinen vielen Unterpunkten wirkt sehr detailliert - er ist aber offen genug, um alles und nichts darunter zu fassen. Das gibt dem Kartellamt viel Spielraum. Bei Google hat es derzeit schon die Konditionen der Datenverarbeitung und das Nachrichtenangebot "Google News Showcase" im Visier.
"Das ist völliges Neuland."
"Der spannende Schritt ist der, der jetzt kommt", sagt Achim Wambach, Präsident des Mannheimer Leibniz-Zentrums für europäische Wirtschaftsforschung und Mitglied der Monopolkommission. "Die Frage ist jetzt: Gelingt es, schon in einer sehr frühen Phase einzugreifen?" Denn anders als bei herkömmlichen Missbrauchsverfahren muss das Kartellamt mit dem neuen Paragrafen nicht mehr umständlich einen Missbrauch nachweisen, um einschreiten zu können. Es kann nun auch schon gegen die Bedingungen vorgehen, die einen Missbrauch möglich machen. "Das ist völliges Neuland."
Wie das Kartellamt dieses Neuland nutzt, wie das Unternehmen darauf reagiert und was Gerichte dazu sagen - das alles zeigt sich erst jetzt, in Schritt zwei des Verfahrens. Die Feststellung der "überragenden marktübergreifenden Bedeutung" ist die Bedingung, um diesen zweiten Schritt zu gehen. Für den aber ist der Rechtsweg verkürzt: Er führt gleich zum Bundesgerichtshof. Google selbst reagierte gelassen auf Schritt eins. "Wir sind zuversichtlich, dass wir die Vorschriften einhalten", sagte eine Sprecherin. Sollten dennoch Änderungen nötig werden, "werden wir weiterhin konstruktiv mit dem Bundeskartellamt zusammenarbeiten".
Doch Gegenwind kommt nicht nur aus Bonn. Auf europäischer Ebene ist der "Digital Markets Act" in Arbeit, der aus den Betreibern so genannter digitaler Ökosysteme "Gatekeeper" macht, die Pflichten erfüllen müssen. Im ersten Halbjahr, unter französischer Ratspräsidentschaft, könnte er erlassen werden. Just am Donnerstag brummte Frankreichs Datenschutzbehörde CNIL den Konzernen Google und Facebook Strafen von 150 respektive 60 Millionen Euro auf - weil Nutzerinnen und Nutzer zwar leicht der Verwendung von Cookies zustimmen, sie aber nur mit vielen umständlichen Clicks ablehnen können. Auch das Kartellamt will es nicht bei Google bewenden lassen. "Wir betreiben mit Nachdruck weitere Verfahren", sagt Behörden-Präsident Mundt. "Gegen Amazon, Apple und Meta, ehemals Facebook."