Studie:So süchtig sind die Deutschen nach Glücksspiel

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Automaten- und Casinospiele gehören zu einer riskanten Form des Glücksspiels. (Foto: Robert Haas)

Mehr als eine Million Menschen sind abhängig von Online-Casinos, Sportwetten oder Automatenspiel. Welche Gruppe besonders gefährdet ist - und wie das soziale Umfeld unter der Sucht leidet.

Von Nils Wischmeyer, Köln

Deutschland ist ein Paradies für Glücksspielfirmen. Es gibt hierzulande nicht nur das klassische Lotto, sondern auch Online-Casinos, Rubbellose, Sportwetten, virtuelles und stationäres Automatenspiel und viele weitere Möglichkeiten, Geld mit Zockern zu verdienen. Die Bruttospielerträge, also die Differenz zwischen Einsatz und Gewinn der Spieler, lagen im Jahr 2022 bei 13,4 Milliarden Euro. Für die Firmen also ist es ein einträgliches Geschäft. Doch wer spielt in Deutschland eigentlich um Geld? Und wie groß ist das Suchtproblem beim Glücksspiel?

Mit diesen Fragen beschäftigt sich der alle zwei Jahre erscheinende "Glücksspiel-Survey". Die Umfrage unter zuletzt mehr als 12 000 Menschen gilt als wichtigster Gradmesser dafür, wie sich die Teilnahme an Glücksspielen und die Probleme damit in Deutschland entwickeln. Am Mittwoch haben die Wissenschaftler des Instituts für interdisziplinäre Sucht- und Drogenforschung (ISD) sowie die Universität Bremen den 2023er-Bericht vorgestellt. Die SZ konnte die Studie bereits vorab einsehen.

2,4 Prozent der Deutschen sind spielsüchtig

Der Untersuchung zufolge hat jeder Dritte Deutsche in den zwölf Monaten vor der Befragung mindestens einmal um Geld gespielt. 12,2 Prozent der Befragten zockten sogar jede Woche. Am häufigsten spielen die Menschen Lotto und den Eurojackpot. Beide Spielarten gelten als vergleichsweise harmlos, weil von ihnen kein gesteigertes Suchtpotenzial ausgeht. Anders ist es bei Automaten- und Casinospielen sowie bei Sportwetten und dem Glücksspiel Keno: 2,2 Prozent der Befragten gaben an, mindestens einmal in der Woche bei so einem riskanten Glücksspiel mitzumischen. Gerhard Meyer, Professor von der Universität Bremen und Mitautor der Studie, hält das für bedenklich: "Sportwetten und andere riskante Formen des Glücksspieles führen mit höherer Wahrscheinlichkeit in die Spielsucht."

Schon heute ist das in Deutschland ein Problem. Der Studie zufolge sind 2,4 Prozent der deutschen Bevölkerung zwischen 18 und 70 Jahren süchtig nach Glücksspiel - etwa genau so viele wie schon 2021. Grob überschlagen sind das mehr als eine Million Betroffene in der Bundesrepublik, die mit der Sucht leben müssen. "Damit liegt Deutschland nach aktuellen Studien im Mittelfeld, aber dass über eine Million schon süchtig sind: Das zeigt die Brisanz des Themas", so Meyer.

In der Öffentlichkeit wurde Spielsucht lange unterschätzt. Die Folgen für die Betroffenen sind oft dramatisch. Süchtige entwickeln oft gesundheitliche Probleme, verzocken große Teile ihres Vermögens, und auch das soziale Umfeld ist erheblichen finanziellen und gesundheitlichen Belastungen ausgesetzt. So hatte mehr als ein Viertel des sozialen Umfelds Schlafprobleme, fast genau so viele empfanden ein Gefühl der Hilflosigkeit, und 14,5 Prozent berichten von verstärkt auftretenden Depressionen.

Junge Männer sind häufig betroffen

Besonders häufig glücksspielgestört sind der Studie zufolge Männer im Alter von 18 bis 25 Jahren. Sie gelten in der Regel als deutlich risikobereiter als gleichaltrige Frauen. Personen mit Migrationshintergrund weisen ebenfalls häufiger eine Glücksspielstörung auf. Das deckt sich mit bisherigen Untersuchungen in Deutschland wie auch dem Ausland und ist für die Forscher daher wenig überraschend. Auffällig aber ist, dass der Anteil der 18- bis 25-Jährigen mit einer schweren Glücksspielstörung stark angewachsen ist.

Dass schon heute ein signifikanter Teil der Bevölkerung unter einer Spielsucht leidet, führt Gerhard Meyer von der Universität Bremen auf die ständige Verfügbarkeit und ein immer breiter werdendes Angebot zurück. So ist seit einigen Jahren das Online-Glücksspiel in Deutschland ebenso erlaubt wie Sportwetten. "Je verfügbarer ein Glücksspiel ist, desto größer ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass Teile der Bevölkerung ein Suchtverhalten entwickeln, und das zeigt sich in diesen Zahlen", sagt Meyer.

Neue Methodik soll realistischeres Bild zeigen

Neben den schon heute Spielsüchtigen gibt es weitere 6,1 Prozent, die ein "riskantes Spielverhalten" aufweisen. Das bedeutet, sie erfüllen mindestens eines der Kriterien, die eine Spielsucht charakterisieren und sind damit suchtgefährdet. "Wir brauchen eine deutliche Einschränkung der Werbung für Glücksspiel, besonders bei riskanten Formen wie Sportwetten und Automatenspielen", fordert Meyer. Unterstützung aus der Bevölkerung würde er bekommen: Nahezu 75 Prozent der Befragten plädieren für eine Beschränkung der Werbung für Glücksspiele.

Vergleicht man die Zahlen mit früheren Ergebnissen, fällt schnell auf, dass die aktuellen Ergebnisse einen deutlich größeren Anteil an Glücksspielsüchtigen als noch 2019 oder in den Jahren davor ausweisen. Das liegt aber weniger an einem allgemeinen Trend als vielmehr an der Veränderung der Methodik. Bis 2019 führte die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung die Auswertung durch. 2021 haben diese das Institut für interdisziplinäre Sucht- und Drogenforschung (ISD) sowie die Universität Bremen übernommen und von einer reinen Telefonbefragung auf einen Mix aus Telefon- und Online-Umfrage umgestellt.

Die Forscher versprechen sich davon ein realistischeres Bild von der tatsächlichen Situation in Deutschland. Gefördert wurde die Erhebung, wie auch schon 2021, finanziell vom Deutschen Lotto- und Totoblock, einem Zusammenschluss der Lotteriegesellschaften der 16 Bundesländer. Die Studie ist inhaltlich unabhängig.

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