Gipfelstürmer:Auf Leonardos Spuren

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Raketen-Triebwerk aus dem Drucker: Die Raumfahrt hat in der Familie von Hyperganic-Chef Lin Kayser Tradition. (Foto: Hyperganic/oh)

Software des Start-ups Hyperganic entwickelt vom Radhelm bis zur Rakete alles mit künstlicher Intelligenz und 3-D-Druck. Die Technologie könnte die Arbeit von Ingenieuren revolutionieren.

Von Dieter Sürig, München

Die Gründerszene der Raumfahrtbranche ist überschaubar, man kennt sich. Einer Anekdote zufolge würde es die vielversprechende Raketenfirma Isar Aerospace womöglich gar nicht geben, wenn Hyperganic-Chef Lin Kayser nicht gewesen wäre. Er habe die Münchner Gründer 2017 davon überzeugt, eine eigene Firma aufzubauen anstatt sich einen Job zu suchen, erzählt der Softwareunternehmer. Schauplatz war der Parkplatz des Raketenbauers Space-X in Hawthorne bei Los Angeles. Dort fand gerade der Hyperloop-Wettbewerb von Elon Musk statt, den dann ein Team der Technischen Universität München gewann. Kayser berät Isar Aerospace immer noch, und Hyperganic hat auch mit Raumfahrt zu tun - aber nicht nur.

Mit dem Münchner Start-up Hyperganic entwickelt Kayser den Prozess des 3-D-Drucks weiter. "Ich war fasziniert davon und habe mich gefragt, wie diese neue Technologie das Design verändern würde", sagt der 46-Jährige. Er will damit Dinge herstellen, die mit künstlicher Intelligenz entwickelt werden - und das kann in vielen Branchen genutzt werden. "3-D-Druck ist eine neue Art und Weise, Dinge zu schaffen, die potenziell so komplex sind wie die Natur selbst." Nicht nur das: Er will Ingenieure durch Algorithmen ersetzen. "Engineering wird künftig weitgehend ohne Menschen stattfinden", glaubt er. "Wir müssen dafür das, was der Ingenieur im Kopf tut, in den Algorithmus packen."

Dies bedeutet, dass Fragestellungen, Probleme und Anforderungen formuliert und in den Algorithmus der Design-Software eingespeist werden müssen. "Für den Entwurf eines Fahrwerks bräuchte ich damit nur Sekunden anstatt Jahre", sagt er. Kayser ist der Überzeugung, dass der Vorgang des Entwickelns mit der Technologie revolutioniert werden könnte - egal, um was es sich handelt. "Wir wollen die Gestaltung von Gegenständen auf eine komplett neue Ebene bringen. Seit Leonardo da Vinci werden Entwürfe aufgemalt, dies ist künftig nicht mehr nötig."

Dies klingt ambitioniert und wird polarisieren. Müssen sich Ingenieure einen neuen Job suchen? Nein, versichert Kayser, "Ingenieure werden eine andere Rolle haben: Sie müssen anfangen Fragen zu stellen, anstatt Antworten zu finden." Dies erledige dann der Algorithmus. Und das Tüfteln und Basteln? "Das wird nicht verloren gehen", sagt er, weniger Kreative würden sogar aus der Reserve gelockt.

Kayser demonstriert, was bereits möglich ist: Das kann ein Fahrradhelm sein, der individuell an den Kopf des Nutzers angepasst werden kann, bevor er gefertigt wird, oder eben auch - ein kleines Raketentriebwerk. Für Kayser schließt sich hier ein Kreis. Denn sein Onkel Lutz Kayser war Raketen-Ingenieur und hatte in den Siebzigerjahren Aufsehen mit Teststarts in Zaire erregt.

Auch dieser Fahrradhelm ist am Computer entstanden - individuell angepasst an den Nutzer. (Foto: Hyperganic/oh)

Lin Kayser hat schon als Achtjähriger angefangen zu programmieren, nach dem Abitur ein Semester lang Physik studiert und ist dann lieber als Softwareentwickler zu einem Start-up gegangen, als an der Uni zu bleiben. Im Jahre 2000 gründete er die Firma Iridas, die bei der Digitalisierung der Filmindustrie mitmischte und dabei eine Software entwickelte, die auch bei der Produktion einiger Filme der Science-Fiction-Reihe "Matrix" zum Einsatz kam.

Iridas war so erfolgreich in der Branche, dass der US-Softwarekonzern Adobe die Münchner Firma übernahm - und Lin Kayser gleich mit. Daraufhin arbeitete er einige Zeit im Silicon Valley, war jedoch später froh, wieder in seine Heimat zurückkehren zu können. "München ist ein unglaublich toller Standort für Start-ups", sagt er. Durch den Verkauf seiner Firma hatte er genug Geld, um damit Venture-Capital-Firmen aufzubauen und ein Start-up zu gründen, das robotische Forschungs-U-Boote entwickelt. Parallel dazu baute er ab 2017 Hyperganic auf.

Er hätte auch im hippen Kalifornien bleiben und womöglich eine Karriere in Hollywood machen können, doch Lin Kayser wollte etwas anderes. "Irgendwann hatte ich Zweifel, ob ich wirklich den Rest meines Lebens in der Entertainmentbranche verbringen will", sagt er. "Ich bin unzufrieden mit dem, was wir unseren Kindern hinterlassen", sagt er nachdenklich. Er habe früher gedacht, dass die Technologien 2020 viel weiter seien, als sie es heute tatsächlich sind. Also machte er sich auf, die Welt der Fiktion zu verlassen, um die Realität zu verändern.

"Das sieht so aus, als ob es ein Außerirdischer designt hätte."

Und sollte sich sein Vorhaben durchsetzen, Leonardos Arbeitstechniken aus dem 15. Jahrhundert mit einem Algorithmus zu ersetzen, dann kann schon von einem Paradigmenwechsel gesprochen werden. Doch wie soll die Software funktionieren? "Wir können extrem komplexe Gegenstände frei definieren und jedem Punkt im Raum ein eigenes Material geben", erläutert Kayser. Das Programm bestimmt also für jedes Pixel, wie es in der Realität beschaffen sein soll. "Das sieht dann so aus, als ob es ein Außerirdischer designt hätte", witzelt er. Dies soll die Entwicklung von Dingen beschleunigen - ähnlich wie beim Computerchip, dessen Leistung sich regelmäßig verdoppelt - bekannt als das Mooresche Gesetz. "Wir möchten Moores Law in das Design von physischen Gegenständen bringen, um globale Herausforderungen zu lösen - beispielsweise eine effizientere Energieproduktion."

Kayser sieht Einsatzmöglichkeiten im Prinzip überall - "von der Luft- und Raumfahrt bis hin zur synthetischen Biologie". Dazu können dann auch Knochenersatzteile gehören, was andererseits auch schon wieder für die Raumfahrt interessant wäre. Er will mit Hyperganic eine Plattform aufbauen, "auf der jedes Konstruktionsproblem mit Algorithmen und KI gelöst werden kann". Ziel sei letztlich der digitale Handel von Objekten.

Allerdings brauchen die Gründer noch Investoren. "Bisher haben wir uns weitgehend aus eigener Kraft finanziert, auch mit Hilfe der Mitarbeiter", sagt Kayser. Weltweit hat er bereits einige Unterstützer, die die Technologie in ihren Ländern einführen wollen. Doch da mag es sich ähnlich verhalten wie mit der Zuordnung von Pixeln im Entwicklungsprozess. "Es ist nicht einfach zu definieren, wo der Stamm eines Baumes aufhört und das Blatt anfängt." Kayser will deshalb nun verstärkt externe Investoren suchen, "wir streben einen höheren einstelligen Millionenbetrag an" - dann kann die Design-Revolution weitergehen.

(Foto: SZ)
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